How we came to live here ist ein Rollenspiel, bei dem die Spieler in die Kultur eines nordamerikanischen Indianerstammes schlüpfen (insbesondere ist an die Anasazi gedacht). Es geht in dem Spiel nicht etwa um irgendwelche Indianerkriege, sondern um das Eintauchen in die Kultur und Mythologie dieses Indianervolkes. Der
weiße Mann ist nicht vorgesehen. Das Spiel beschäftigt sich mit einem Indianerdorf und internen und externen Problemen, mit denen sich die Heldencharaktere auseinander zu setzen haben. Es ist für 3 – 5 Spieler gedacht. Ein Spieler ist der
äußere Spieler, einer ist der
innere Spieler, die übrigen sind die
Heldenspieler. Der
äußere Spieler leitet die Szenen, in denen eine Bedrohung von außen das Spiel bestimmt, der
innere Spieler dementsprechend die Szenen, die Bedrohungen des Volkes von innen betreffen. Die
Heldenspieler spielen einzelne Charaktere aus dem Dorf.
Alle Kapitel werden durch Mythen der Anasazi eingeleitet: Der erste dieser Mythen ist der Schöpfungsmythos, der mit den Worten „This is how we came to live here“ endet. Die anderen Mythen handeln von Monstern, Traditionen, Blutsbanden und Verbrechen. Auffällig ist der fast durchgängig thematisierte Geschlechterkampf. Mann und Frau sind gleichgestellt, besitzen aber sehr strikte Rollenzuweisungen und stehen auch oft in Konflikten miteinander. Auffällig ist weiterhin die mythologische Bedeutung der Zahl 4 (so wie bei uns alle guten Dinge 3 sind, sind es bei den Anasazi wohl 4).
Die Spielwelt wird relativ kurz in einigen Aspekten vorgestellt, verwandtschaftliche Beziehungen sind in Clans organisiert, in jedem Dorf gibt es zwei Häuptlinge: einen Häuptling für das Innere (in der Regel eine Frau) und einen Häuptling für das Äußere (in der Regel ein Mann). Einen etwas größeren Raum nimmt die Darstellung der Religion ein: Es existiert ein Ahnenkult, über den die Verstorbenen als Mittler zwischen Menschen und Göttern um Hilfe gebeten werden. Die Götter sind personifizierte Naturgewalten, die Gläubige belohnen und Menschen, die sich falsch verhalten, mit Katastrophen u. ä. strafen. Die wichtigsten Götter werden kurz vorgestellt. Es folgen ein paar Informationen zu religiösen Festen und Zeremonien. Besonders wichtig sind die über die zu bestimmten Zeiten stattfindenden Festtänze, die von den sogenannten Kiva durchgeführt werden. Die Kiva sind religiöse Geheimgesellschaften, die sich heimlich in Erdlöchern treffen. Ihre Mitglieder übernehmen verschiedene Aufgaben, die nur innerhalb der Kiva bekannt sind und nach außen hin geheim gehalten werden. Innerhalb einer Kiva werden auch magische Praktiken weitergegeben. Stammesmitglieder sind in der Regel mindestens Mitglied in einer Kiva – oft auch in mehreren (was allerdings manchmal zu Problemen führt, wenn Kivas untereinander Rivalitäten entwickeln). Alle Kivas haben magische Geheimnisse und stehen entweder ausschließlich Männern oder ausschließlich Frauen offen. Die Kiva sind die Stütze der gesamten Kultur und dafür zuständig, dass Monster ferngehalten werden und die Kultur nicht auseinanderbricht. In allen Kivas existiert eine Hierarchie aus vier Rangstufen: vom Jungmitglied ohne Ritualaufgabe über das normale Mitglied (normaler Ritualtänzer), die Elite (im Ritualtanz die Ahnendarsteller) bis hin zu den Anführern (im Ritualtanz die Götterdarsteller). Es folgt eine etwas ausführlichere Darstellung von 6 männlichen und 6 weiblichen Kiva. In der Regel haben die männlichen Kiva einen Gegenpart in Form weiblicher Kiva, mit denen sie rivalisieren. Nach der Darstellung des religiösen Lebens folgt die Beschreibung einiger übernatürlicher Gegner und Monster.
Das Spiel verwendet ein Poolsystem, das über die Werte von vier Fähigkeitsgruppen (Fertigkeiten, Stärke, Geist, Frömmigkeit) bestimmt, wieviele Würfel ein Charakter bei einer Konfliktresolution zur Verfügung hat. Die einzelnen Fertigkeitsgruppen werden dann noch individuell genauer spezifiziert, besonders durch bestimmten Prinzipien, die bei Mann und Frau unterschiedlich aussehen. Der Pool
Fertigkeiten beinhaltet bei den Männern beispielsweise Kampfstärke, Fitness, Kunsthandwerk und Wahrnehmung, bei den Frauen beinhaltet er Haushalt, Mutterschaft, Ausdauer und Vorsicht. Diese Prinzipien sind keine harten Skills, sondern nur Hinweise darauf, in welcher Richtung man sich Charaktere mit entsprechenden Schwerpunkten vorstellt. Auch eine Frau kann ein Kunsthandwerk ausüben, für die Männer allerdings ist es typisch. Ein letzter Pool heißt
Corruption. Er steigt, wenn sich ein Charakter außerhalb der Stammestraditionen bewegt und Verbrechen verübt. Ob der Charakter ein Verbrechen begangen hat und weshalb dafür sein Corruption Pool um wie viele Punkte steigt, entscheidet der
innere Spieler. Die Bandbreite reicht von Belügen anderer Stammesmitglieder (1 Punkt) bis zum Mord an Verwandten (5 Punkte). Die angesammelten Punkte im Corruption Pool kann der
äußere Spieler ausgeben und somit den Charakteren Probleme bereiten und ihnen Nachteile zukommen lassen. Im Extremfall kann ein Charakter auf diese Weise zu einem Außenseiter und letztlich zu einem Nichtspielercharakter des
äußeren Spielers werden. Abgesehen von den Pools besitzen Charaktere auch noch Vor- und Nachteile, die aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit und ihrer Erfahrungen in den Kiva-Gesellschaften zustande kommen.
Bei Spielbeginn werden nicht nur die Charaktere, sondern auch ihr Dorf erschaffen. Definiert werden in diesem Prozess die geographische Lage des Dorfes, die Clanzugehörigkeit der Charaktere, das Geschlecht der Charaktere, persönliche Stärken und Schwächen der Charaktere, die Prioritätenreihenfolge der für die Würfelpools zuständigen Fähigkeitengruppen, der Name des Charakters, die erste Kiva Geheimgesellschaft, der der Charakter angehört, die für das Spiel entscheidenden Bewohner des Dorfes, eine Beziehungsmatrix zwischen den Charakteren und den wichtigen Dorfbewohnern sowie eine Liste der Dinge, um die sich ein Charakter im Verlauf des Spiels bemühen möchte. Einige Bereiche der Charaktererschaffung werden frei formuliert, für andere Bereiche gibt es Auswahllisten. Interessanterweise soll sich vor der Benennung der Dinge, um die sich ein Charakter im Verlauf des Spiels bemühen möchte, vereinbart werden, wie viele Spielsitzungen gespielt werden sollen. Üblicherweise geht man dabei von 2 – 4 Sitzungen aus. Es wird also zuerst kollektiv die Kampagnendauer bestimmt, dann folgen die Ambitionen der Charaktere. Je länger die Kampagne geplant ist, desto mehr Ambitionen dürfen die Spieler für ihre Charaktere geltend machen.
Das Regelwerk enthält einigermaßen ausführliche Listen der Vor- und Nachteile, die Charaktere aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit oder ihrer Erfahrungen in den Kiva-Geheimgesellschaften erlangt haben können. Einige der Folgen eines Aufstieges innerhalb einer Kiva sind ziemlich konkret definiert, andere beinhalten Schlüsselwörter oder Phrasen, die erst noch ausgelegt werden müssen um sie im Spiel anwenden zu können.
Das Spiel gliedert sich in Szenen, die nach einer ganz bestimmten Gesetzmäßigkeit in stetigem Wechsel von den
Heldenspielern bzw. von
äußerem und
innerem Spieler eingeleitet werden. Nach Festlegung der äußeren Bedingungen eine Szene bilden die Heldenspieler eine Gruppe und
innerer und
äußerer Spieler sorgen für die Probleme. Szenen sind entweder
innen oder
außen, je nachdem ob es um Probleme innerhalb des Dorfes oder Probleme von außerhalb geht. Bei
inneren Szenen übernimmt der
innere Spieler quasi die Spielleiterfunktion und der
äußere Spieler übernimmt den ersten Nichtspielercharakter, der in der Szene auftaucht. Bei
äußeren Szenen ist es andersherum. Auf diese Weise bilden
innerer und
äußerer Spieler ein Team. Unterschieden wird außerdem zwischen Dramaszenen (reines Erzählspiel), Actionszenen (Szenen mit Konfliktresolution) und Erholungsszenen (Downtime, die Charaktere werden besser, erzählen, wie sich das in der vergehenden Zeit darstellt und
innerer und
äußerer Spieler wählen einen neuen Bedrohungspool). Die Bedrohungspool ist notwendig, da
innerer und/oder
äußerer Spieler häufig mehrere Charaktere übernehmen werden. Sie besitzen daher keine Fähigkeitsgruppen, die sich auf einen einzelnen Charakter beziehen lassen, wie das bei den
Heldenspielern der Fall ist. Stattdessen wird ihr Pool durch dramaturgische Gesichtspunkte gestaltet. Das Spiel liefert 5 mögliche Bedrohungsstränge mit wechselnden Poolwerten. Der Bedrohungsstrang
Gathering beinhaltet bei 3
Heldenspielern beispielsweise die Zahlenfolge 3-3-4-4-5-6-6-7-7. Jede Zahl stellt dabei den Pool der Gegenseite für einen Konflikt dar. Wie man sieht wird die Gegenpartei bei
Gathering immer stärker.
Gathering bietet sich daher als erster Bedrohungsstrang einer Kampagne an, in dem die Probleme erst aufgebaut werden. Der Bedrohungsstrang
Steady Assault beinhaltet bei 3
Heldenspielern die Poolwerte 4-5-5-4-5-4-4-5-4. Wie man sieht verfügt die Gegenseite hier über einen weitgehend konstanten Pool. So einen Bedrohungsstrang kann man sich daher eventuell in der Mitte einer Kampagne vorstellen. Zu Beginn eines Spielabends sollten sich
äußerer und
innerer Spieler auf einen Bedrohungsstrang einigen. Wenn er abgeschlossen ist, folgt eine Erholungsszene und ein weiterer Bedrohungsstrang wird festgelegt.
Am Schluss erklärt das Regelwerk Konflikte (die nicht nur kämpferisch sein müssen, sondern auch sozial sein können). Konflikte gibt es zwischen
Heldenspielern und
innerem bzw.
äußerem Spieler oder unter zwei
Heldenspielern untereinander. Für die Konfliktresolution werden Fudge Dice verwendet. Die Anzahl dieser Würfel werden durch die verwendete Fähigkeitengruppe (also die Pools) bestimmt. Wird beispielsweise die Fähigkeitengruppe
Geist verwendet und in dieser Fähigkeitengruppe besitzt der Charakter den Wert 3, dann wirft er 3 Würfel. Welche Fähigkeitengruppe in einem Konflikt die angemessenste ist, ist logischerweise interpretationsbedürftig. Das Regelwerk empfiehlt, sich in Zweifelsfällen an den persönlichen Stärken und Schwächen eines Charakters und den Prinzipien, die der Charakter für seine Fähigkeitengruppen gewählt hat, zu orientieren. Der Pool für den
inneren und
äußeren Spieler wird durch den Bedrohungsstrang bestimmt (denn diese Spieler besitzen keine Fähigkeitengruppen, da sie für wechselnde und mehrere Charaktere zuständig sind). Die Anzahl der Würfel, die sie verwenden können, entspricht der Zahlenfolge ihres Bedrohungsstranges. Wenn der Bedrohungsstrang
Gathering (3-3-4-4-5-6-6-7-7-) gerade verwendet wird, stehen
innerem oder
äußerem Spieler für den ersten Konflikt 3 Würfel zur Verfügung, für den dritten dann 4, etc. In einem Konflikt werfen dann beide Seiten ihre Würfel. + Ergebnisse zeigen Angriffsmöglichkeiten an, - Ergebnisse zeigen Verteidigungsmöglichkeiten an, 0 Ergebnisse sind neutrale Würfe, die erstmal keinen Wert haben, aber als Puffer herhalten können oder durch den Einsatz von Vorteilen o. ä. in + oder – Ergebnisse verwandelt werden können. Diese Würfel werden nun quasi ausgegeben und für Aktionen verwendet. Das System ist narrativ geprägt, besitzt aber eine recht ordentliche taktische Tiefe und beinhaltet Initiative, Angreifen, Verhandeln über Kompromisse, fliehen, Verzicht auf Abwehr, Verteidigung nach vorn und volle Defensive. Außerdem eröffnen sich über charakterliche Vor- und Nachteile, Artefakte oder gar das Begehen von Verbrechen noch diverse Möglichkeiten Ergebnisse zu manipulieren und (in geringerem Maße) zusätzliche Würfel hinzuzugewinnen. Ressourcen erneuern sich nicht so ohne weiteres und ihr Einsatz will gut überlegt sein. Konflikte sind normalerweise 1:1 geregelt, Charaktere können aber anderen Charakteren in Konflikten ihre Vorteile
leihen und auf diese Weise in einen Konflikt unterstützend eingreifen. Wenn so etwas geschieht, bleibt der nutznießende Spieler seinem Unterstützer einen Gefallen schuldig, der später eingefordert werden kann. Der
innere und der
äußere Spieler können darüber hinaus auch noch die Corruption Points der
Heldencharaktere zu ihren Gunsten einsetzen, damit sinken allerdings auch die Corruption Points der
Heldencharaktere. Im Verlauf eines Konfliktes gibt es verschiedene Gelegenheiten Siegpunkte zu sammeln, mit denen sich direkt im Anschluss an einen Konflikt Vorteile erkaufen lassen. Auf diese Art und Weise können Gegner geschwächt, die Spielwelt beeinflusst, Gefallen erkauft, Corruption Points vernichtet, Beziehungen verbessert, Verbrechen initiiert, Nachteile beseitigt oder erschaffen, Vorteile erlangt, Artefakte temporär ausgeschaltet oder gar zerstört, eine neue Kiva-Mitgliedschaft erwirkt, ein neuer Name erlangt, Fähigkeitengruppen erhöht oder gesenkt, in einer Kiva-Gesellschaft hierarchisch ein Aufstieg errecht, ein Gegner umgebracht, ein Ehrenamt erlangt oder ein gesellschaftlicher Wandel initiiert werden. Je größer die Auswirkung, desto mehr Siegpunkte kostet eine solche Aktion.
Im Anhang finden sich Extraregeln für kurze Spiele und Oneshots, außerdem ein paar Ideen für den Fall, dass Heldencharaktere in ein laufendes Spiel integriert werden sollen.
Fazit: Das Negative zuerst: Die Regeln sind nicht gerade besonders gut strukturiert und einige Dinge, die in meinen Augen einfach zusammengehören, wurden auf mehrere Kapitel aufgeteilt. Da die Regeln an sich nicht gar so umfangreich sind, geht das aber noch gerade so.
Das Spiel weist ein paar Besonderheiten auf, die interessanterweise mit seinem Thema, den Indianern, zu tun hat. Die zwei Spielleiter‚ (
innerer und
äußerer Spieler) bringen die Doppelspitze der Dorfgesellschaft an den Spieltisch, die Zahl 4 findet sich nicht nur in der Mythologie der Indianer, sondern auch immer wieder in den Regeln. Hier gehen Eigenschaften der thematisierten Kultur symbolisch in die Spielregeln ein, was ich erstmal beeindruckend finde.
Das Spiel kann relativ kompetitiv gespielt werden. Dazu trägt der stark thematisierte Geschlechterkampf bei, aber auch die etwas stärker als üblich ausgebaute Polarisierung zwischen
Heldenspielern auf der einen Seite und
innerem bzw.
äußerem Spieler (also der Spielleiterseite). Dennoch kann man das Spiel auch problemlos harmonischer spielen.
Das Konfliktsystem ist ungewöhnlich. Die zugrundeliegende Basis ist sehr simpel, die Vielzahl der taktischen Möglichkeiten ist für ein narrativ geprägtes Spiel aber relativ überraschend. Auf den zweiten Blick schienen mir ein paar Dinge zu fehlen, auf den dritten Blick scheinen sie mir aber möglicherweise auch absichtlich ausgespart. Es gibt kein Schadenssystem – aber die Auswirkungen der Siegpunkte können einem Gegner bei Bedarf durchaus auch körperliche Nachteile verschaffen. Es gibt auch keine Werte für Nichtspielercharaktere – die Stärke der Gegner wird über die nach dramatischen Gesichtspunkten gestalteten Bedrohungsstränge bestimmt. Der Buchführungsaufwand ist damit gleich null: Alles, was man tut, ist, ein paar Würfel auszugeben.
Insgesamt kann ich für einen Test des Spiels nur die Download-Sektion von Galileo-Games empfehlen, wo sich einige Blanko-Charakterbögen und ein ausgearbeitetes Setting für einen OneShot befinden, wichtiger noch sind hier aber die Spielübersichten für Konflikte (
https://brennan-taylor.squarespace.com/downloads/). Mit denen dürften auch die taktischen Möglichkeiten der Konflikte relativ flott zu durchschauen sein.
In meinen Augen hat das Spiel besonders deshalb eine Chance verdient, weil es etwas tut, was ich so noch nie gesehen habe: Es nutzt die Eigenschaft des Rollenspiels Spieler in fremde Welten zu versetzen, um eine Art kulturellen Austausch mit einer Minderheit zu ermöglichen. Rollenspiele können wichtiger sein, als ich mir jemals träumen lassen habe!