Nachdem der erste Faden zu diesem Thema mE schon ganz interessant war, aber an einzelnen Punkten hakelt, möchte ich hier auf Basis von ein paar anderen Setzungen weiterüberlegen. Für den Anfang nehme ich erst einmal:
- Die Welt (= fiktive Welt, Rollenspielwelt) sei das, was bereits beschrieben und damit statisch ist.
- Eine Weltsimulation dagegen ist ein dynamisches Ding, das von der Welt ausgeht und im Rahmen bestimmter Parameter zu bestimmten Ergebnissen kommt, wobei die Parameter bestimmen, inwieweit der angestrebte Endpunkt de Simulation sicher oder unsicher ist. (Die Simulation eines Tages unter erdähnlichen Bedingungen endet
immer damit, das es Nacht und wieder Morgen wird; eine brauchbare Simulation eines Münzwurfs dagegen kann mit zwei Ergebnissen enden usw.)
- Die Spielercharakterfreiheit kann mehr oder weniger eingeschränkt sein. Dabei gibt es verschiedene Faktoren, die einschränkend wirksam werden können. Das ist zum einen die rollenspielweltliche Plausibilität: Sind die Spielercahraktere bezogen auf die fiktive Welt gottähnliche Wesen, kann es plausibel sein, daß sie sehr frei schalten und walten können; sind sie "kleine Leute" in ihrer Umwelt, sind starke Einschränkungen ihres Wirkungshorizontes plausibel. Eine zweite Einschränkung kann von der Interaktion unter den Spielern herrühren, etwa indem Spieler zugunsten anderer Spieler auf bestimmte Freiheiten verzichten (müssen) oder der Spielleiter den Spielern Einschränkungen auferlegt. Schließlich kann auch das verwendete Regelwerk einem Spieler Einschränkungen vorgeben.
"Railroading" wird bestimmt als Problem thematisiert, also dazu ein paar Worte. Ich finde Bobas Definition in "Railroading und Weltsimulation" gar nicht schlecht:
Railroading ist eine Einschränkung von Einflussmöglichkeiten durch Entscheidung des Spielleiters mit der Intention, die zuvor prognostizierte Entwicklung der Handlung jenseits der vorhersagbaren Gesetzmäßigkeiten zu erzwingen.
Im ersten Teil nehme ich zwei Ergäzungen vor: "Railroading ist eine Einschränkung von Einflussmöglichkeiten der Spielercharaktere durch Entscheidungen", öffne aber mal die Situation etwas weiter: "von anderen". Diese anderen können der Spielleiter, andere Spieler oder der Autor eines vorgefertigten Abenteuerbandes sein. Das erfordert eine weitere Ergänzung zur Klarstellung: "die nicht durch die Weltbeschreibung oder die Weltsimulation bedingt sind".
Bleibt die Frage nach der Intention. Ich bin der Ansicht, daß man auch aus Unkonzentriertheit, Verlegenheit oder Hilflosigkeit Railroaden kann, ohne im Kopf zu haben, wo die Reise hingehen soll, solange nur der Wunsch da ist, sie nicht dahin gehen zu lassen, wohin ein Spieler sie gehen lassen würde, wenn man ihn nicht durch Railroading einschränkte. Gerade wenn die Spieler große Handlungsfreiheiten auch im "Grenzgebiet" zu den anderen Charakteren haben, kann durchaus ein Spieler versuchen, eine für seinen Charakter unwillkommene Festlegung in der Spielweltentwicklung abzulenken, indem er einen anderen Mitspieler (d.h. evtl. sogar den Spielleiter!) einschränkt. Ich werde die Intention damit also auch nicht los, ich weite nur den Bereich aus. Ich erweitere also meine Defintion noch um: "und die den Zweck haben, eine dem Mitspieler momentan unerwünschte Festschreibung in der Weltentwicklung zu verhindern."
Also, bis hierher steht:
Railroading ist eine Einschränkung von Einflussmöglichkeiten der Spielercharaktere durch Entscheidungen von Mitspielern, die nicht durch die Weltbeschreibung oder die Weltsimulation bedingt sind und die den Zweck haben, eine dem Mitspieler momentan unerwünschte Festschreibung in der Weltentwicklung zu verhindern.
Jede meiner Defintionen ist ausdrücklich nur ein neuer Ausgangspunkt der Diskussion und für Verbesserungen offen!
Und wie ist es dann jetzt mit Spielerfreiheit und Weltsimulation?
Sie können jede Beziehung zueinander annehmen: Die Weltsimulation hat eine klare Grundlage, die Weltbeschreibung (inklusive ihrer Umsetzung in Spielmechaniken). Die Spielerfreiheit, in einer Situation zu entscheiden, kann vollständig sein, wenn die Weltbeschreibung jede für den Spieler denkbare Weiterentwicklung zuläßt. Andererseits kann die Weltsimulation dem Spieler nur unbedeutende letzte Details zur Beschreibung offenlassen, wenn der Charakter in einer Situation ist, in der die Weltsimulation nur eine einzige Möglichkeit läßt, wie die relevante Handlung weitergeht, etwa wenn der Charakter gerade stürzt und keine Option besteht, ihn darin aufzuhalten: er kann schreien oder lachen oder Schwimmbewegungen machen, die (vermutlich) relevante Handlung wird sich so weiterentwickeln, daß er stürzt, bis er irgendwo aufkommt. Ist der Charakter gar bewußtlos, ist dem Spieler nahezu jeder Einfluß auf das Spielgeschehen genommen. Die Einflußlosigkeit unter Bewußtlosigkeit ist mithin
an sich kein Railroading; sie kann aber das Ärgernis einer Railroading-Entscheidung sein, wenn nämlich ein anderer Mitspieler ohne fiktivweltliche Notwendigkeit die Bewußtlosigkeit "verfügt" hat.
Kommen wir vielleicht von hier aus noch weiter? :-)