Ich glaube, alles was hier über Marketing gesagt wird, ist an und für sich gut und richtig. nur kommt man um die unangenehme Tatsache nicht herum, dass außer Rollenspielern niemand Rollenspiele haben will. Ich weiß, das tut uns allen weh, weil wir halt Rollenspieler sind, bloß: der Rest der Welt kennt es nicht, will es nicht kennen oder kennt es und will aktiv nichts damit zu tun haben. Rollenspiel ist ein Hobby aus einer anderen Zeit, das in einer kleinen Nischen von einer schrumpfenden Zahl von Enthusiasten am Leben erhalten wird. Warum interessieren sich diese Leute noch dafür und andere nicht? Individuelle Charakterdeformation und biografische Zufälle. Da kann man sich auf den Kopf stellen. Es liegt nicht am Marketing, es liegt am Produkt selbst.
Mit Verlaub, das halte ich für Blödsinn. Es gibt so viele Formen des Eskapismus, die aktuell UND populär sind (und ja, auch Farmville oder ähnliches Gedöns IST für mich Eskapismus, denn die Leute spielen das, um mit anderen Leuten gemeinsam etwas zu erleben, "ich helf dir, du hilfst mir" und gleichzeitig ist noch Schwanzvergleich möglich, weil ich die tollere Farm, das höhere Level etc. habe) - ich bin eher der Meinung, dass viele Leute Rollenspiel einfach nicht kennen und nicht einmal wissen, was das genau ist, geschweige denn sich ein 300-Seiten-Regelwerk kaufen würden, nur um das mal auszuprobieren. So gesehen liegt es am Produkt, aber eben nicht am "Rollenspiel" an sich, sondern an der Art der Bereitstellung und der relativ hohen Schwelle, es "richtig" zu spielen (wobei dieses "richtig" jetzt das jeweilige Produkt meint - Rollenspiel an sich ist total einfach, komisch und kompliziert wird es ja erst, wenn man mit Regelwerken anfängt, da haben vermutlich die Rollenspieler - vermutlich genau deine "Enthusiasten" - selbst viel kaputt gemacht, in dem sie nach "größer, detaillierter, besser" gebrüllt haben und vergessen haben, dass es NICHT in erster Linie um die Mechaniken gehen sollte).
Komischerweise laufen ja Brettspiele und Kartenspiele durchaus besser, Computerspiele auch. Spielen ist also angesagt und wird praktiziert. Daran kann es also nicht liegen - denn Leute sind bereit, Feldherren, Raumschiffpiloten, Orkkrieger oder sonstwas zu sein und haben offenbar auch Spaß daran!
Die Frage, wie man Rollenspiele geschickter vermarkten könnte, erinnert so ein bisschen an die Frage, wie man tote Ratten besser verkaufen kann. Natürlich kann man sich allerlei moderne Strategietools zurechtlegen. Man kann in Zukunft von "Grufti-Rodents" sprechen, und betonen, dass in China selbst ganz angesagte Leute so was essen, und wieviel Protein die haben und dass sie ganz bestimmt schlank machen und dass man dabei noch lernt, geschundenen Kreaturen Toleranz entgegen zu bringen und außerdem, die neuen rules-light-Rodents essen sich viel schneller weg mit viel geringerer Vorbereitung, einfach rein in die Mikrowelle und ding!, und hey, auf jeder Ratte ist ein Code, mit dem kriegst du im Netz voll crazy Rattennews und Rattenklingeltöne, aber am Ende bleiben tote Ratten einfach tote Ratten, und die stinken und keiner will sie haben.
Auch wenn der Vergleich hinkt: Ja, sowas wie "Code im Deckel", "hier jetzt im Netz tolle Zusatzfunktionen freischalten" oder "3 Rubbelbilder gratis!" funktioniert nun mal. Warum es dann wieder verpönt ist, sowas zu machen, versteh ich nicht. Das ist wieder der Snobismus der "Enthusiasten": "Wenn der Nachwuchs Twilight mag, dann will ich keinen Nachwuchs." Ja, am Arsch! Wenn die älter werden, dann spielen sie vermutlich nicht nur das "Twilight"-Rollenspiel, sondern auch andere (oder nur noch andere). Oder sie lassen es vielleicht auch wieder. Das kann dem Verlag eigentlich auch wieder egal sein, solange sie mindestens einmal das Twilight-Regelwerk gekauft haben. Und wenn Leute den Szenarioband "Washington State" nur kaufen, weil 3 Poster von Edward und fünf Rubbeltattoos dabei sind, so what?
Ich find Poster in Rollenspielprodukten auch total geil, von manchen würde ich liebend gern Artbooks kaufen (gibt es nicht, dafür gäbe es aber schon Herr-der-Ringe- oder Harry-Potter-Posterhefte, auch "die Karte des Herumtreibers" als Merchandising-Produkt, dass man locker auch für das Spiel in Hogwarts zweckentfremden könnte...
Und ungefähr genau so beliebt sind Rollenspiele heutzutage. Für ein paar Jahre, zwischen wasweißich, 1975 und 1990 war die kulturelle Großwetterlage so, dass ziemlich viele Leute das Zeug mochten, aber heute nicht mehr, zumal in Deutschland.
Könnte eher was damit zu tun haben, dass die Leute, die es gerade spielen, nicht bereit sind, neue Wege zu gehen und die Verlage daher auch nicht auf ausgelatschten Wegen bleiben können (was ja eh meist der sicherer Weg ist). Komisch nur, dass das auch bei Presse und Buchhandel offenbar nicht mehr der Weg ist, der eingeschlagen werden sollte, aber ständig wird...
Sinnvoller fände ich, wenn man sich überlegt, wie die aktiven Spieler sich selber helfen können. Massenkompatibel wird es nicht mehr.
Juhu, zweckdienlicher Pessimismus!
Und wie oben schon einmal gesagt wurde: Wenn auf einmal Frauen und "Casual Gamer" Konsolen wie die Wii toll finden, weil sie damit was anfangen können, ja Herrgott, wieso soll das bei Rollenspielen nicht auch für bisher nicht erschlossene Zielgruppen funktionieren? Bedeutet nur, dass man denen vielleicht nicht unbedingt die bisherigen Systeme und Mechanismen versuchen sollte anzudrehen.