Na ja, ich würde sagen dass das Geschmackssache ist.
Gerade im Bereich von Kunst und Kultur ist die Annahme das neuer=besser ist, relativ hanebüchen. Oder würdest du behaupten, dass die
neuen Kirchenfenster im Kölner Dom intrinsisch schöner toller und besser sind als die
alten? (Ich will auch nicht behaupten, dass das andersrum zutrifft, sondern eher, dass Alter und Qualität in diesem Bereich relativ wenig miteinander zu tun hat).
Aber das nur am Rande.
Erstmal ist das Balancing bei DSA 4 nicht so schlecht wie es hier teilweise gemacht wird. Man braucht nur ein gewisses Gefühl für die Regeln (das gleiche gilt auch für das Kampfsystem. Ich habe bei gut der Hälfte der Leute, die sich über das DSA-Kampfsystem echauffieren den Eindruck, dass sie das System eben nicht voll nutzen oder verstanden haben.)
Ja, man braucht etwas Fingerspitzengefühl, und muß sich etwas koordinieren,
Vor allem aber ist Spielfiguren-balancing auch ganz stark davon abhängig, welcher Schwerpunkt in den jeweiligen Szenarios auftaucht. Anders als etwa bei D&D, wo es ein zentrales Thema gibt, dass quasi immer im Mittelpunkt steht (Dinge töten und deren Krams einsacken), ist DSA da einfach vielseitiger, und bietet auch schnell mal sehr unterschiedliche Lösungswege und weitaus mehr Problemstellungen. Spielbalance ist immer dynamisch und entsteht immer aus der Interaktion zwischen Charakter und Umwelt einerseits und Spieler und Spielleiter andererseits. Dementsprechend ist das Balancing bei DSA (das jetzt eh besser ausfällt als bei D&D 3.X, zu Mindest was die reinen Machtschwankungen zwischen einzelnen Charaktertypen/Klassen angeht) einfach ein Aspekt, der so szenario- und personenbezogen ist, dass dem Regelwerk eh nur sekundäre Bedeutung zugemessen werden kann. Und in dem Rahmen funktioniert es gut genug.
Des weiteren macht der Fokus auf den Hintergrund und die sehr detailierte Charaktererschaffung, die sich ja effektiv aus der Sozialisation des Charakters, seinem kulturellen und sozialen Umfelds speist und entsprechende Orientierungshilfen bietet, festkodierte Regeln zum Charakterspiel schlicht unnötig. Dadurch, dass der ideale DSA-Charakter eben organisch gewachsen ist und über die verschiedenen Hintergrundpakete auch Hintergrund und Persönlichkeit vermitteln. Idealerweise kommt dann ein Charakter dabei heraus, der gleich einer echten Person, eben das Produkt seiner Umwelt und seiner Sozialisation ist.
Darüber hinaus gibt es ja durchaus verschiedene Regelaspekte, die das Verhalten des Charakters beeinflussen und als verbindliche Regeln daherkommen. Diese sind unerfreulicherweise fast ausschliesslich über Nachteile, insbesondere über schlechte Eigenschaften geregelt, aber das ist ein anderes Problem.
Das Weglassen von reinen Metaebenen-Elementen finde ich persönlich hingegen super. Ich habe noch kein Spiel gefunden, bei denen reine, charakterunabhängige Metagaming-Aspekte und Ressourcen sich nicht wie ein redundanter Fremdkörper anfühlen. Ich finde derartiges in aller Regel aufdringlich und verregelt, und vor alllem wird eine neue Regelebene eingezogen, die das Spiel zwar komplexer machen, aber wenig bis nichts bieten, was ich nicht auch einfach über den Charakter selbst regeln kann, ohne ein weiteres Faß aufzumachen, dass sich dann zwischen Spieler und Charakter drängt.
Das ist sicherlich Geschmackssache, aber ich persönlich verzichte dankend auf jede Form von Glücksgummipunkten, Storygutscheinen und was noch. Da habe ich lieber keine Regeln für als mich mit schlechten herumzuschlagen. Und ich habe noch keine Regeln in diesem Bereich gesehen, die ich wirklich gut fand.
Wobei, wenn ich mich recht erinnere, gibt es den Scheiss auch bei DSA (und das sogar schon ziemlich lange, also seit KKO), ist aber glücklicherweise immer optional gewesen, was die beste Art und Weise sein sollte, wie man derartiges regeln kann- wer's mag soll damit glücklich werden, wer wie ich damit nichts anfangen kann, braucht sich nicht damit behelligen.
DSA hat bei weitem nicht so viele konzeptionelle Probleme wie dem Regelwerk gerne angedichtet werden. Die Probleme liegen viel mehr in der Umsetzung der Ideen, und da gibt es dann auch jede Menge davon. Daher geht auch viele Kritik einfach an den Ursachen vorbei, entweder weil die Kritiker falsche Erwartungen haben, oder weil sie sich bloß durch Provokationen auf Stammtischniveau profilieren wollen. Letztere Gruppe unterminiert dann natürlich jeglichen Legimitätsanspruch von berechtigter Kritik, was zu den vorhersehbaren Verhärtungen und Eskalationen führt.