So viele Seiten in nur drei Tagen! Ihr seid mir alle viel zu schnell
Daher muss ich weit zurückgreifen.
Zunächst Off-Topic zu Tolkien:Ich kenne von Tolkien genau ein Zitat, in dem er in einem Brief Orks mit sinngemäß widerwärtigen Mongolen verglichen hat. Und genauso meine ich mich zu entsinnen, dass er a) sehr eindeutig Stellung gegen den Antisemitismus der Nationalsozialisten bezogen [...]
Tolkien in einem Brief an Rütten&Loening, der 1937 eine deutsche Ausgabe des Hobbit(?) herausgeben wollte: "Ich bin nicht von
arischer, nämlich indo-iranischer Abkunft, denn soweit mir bekannt sprach keiner meiner Vorfahren Hindustani, Persisch, die Zigeunerspracfhe oder einen der verwandten Dialekte. Wenn ich Sie aber so verstehen darf, daß Sie wissen möchten, ob ich von
jüdischer Abstammung bin, so kann ich nur erwidern, daß ich es bedaure, offenbar keine Vorfahren aus diesem begabten Volke zu haben."
Zum selben Thema an Allen&Unwin:
"ich habe viele jüdische Freunde und würde es bedauern, irgendeinen Grund zu der Auffassung zu geben, daß ich dieser ganz und gar bösartigen und unwissenschaftlichen Rassenlehre beipflichte."
(Aus Briefe, Nr. 29 und 30)
Trotzdem sehe ich durchaus rassistische Klischees in seinen Werken durchscheinen. Er war doch durch und durch ein Kind seiner Zeit.
Ich bin, glaube ich, als Tolkienliebhaber mittlerweile eher in der Unterzahl im Rollenspielbereich, daher würde ich nicht von "Überschätzung" sprechen. Vor einigen Jahren wurde von Skyrock und Zornhaus sogar angezweifelt, dass Tolkien überhaupt einen nennenswerten Einfluss, mittelbar oder unmittelbar, auf die Entwicklung des Fantasy-Rollenspiels hatte.
Ich halte Tolkien für sprachlich hervorragend (wenn man sich auf seinen Stil einlässt, der ganz bewusst altertümlich und sagenhaft ist), für einen visionären Weltenbauer und, im Silmarillion weit mehr als im Herrn der Ringe, mit einem Gespür für tragische Dramatik gesegnet. Dem stehen gegenüber eine streckenweise äußerst langatmige Schreibe, nur grobe, holzschnittartige Charaktere und eine große Unfähigkeit, seine Geschichten nach etablierten und erfolgreichen Erzählmodellen aufzubauen, wodurch ein großer Spannungsmoment verloren geht. Zusammenfassend zählt er sicher nicht zu den großen Literaten des 20. Jahrhunderts, dafür fehlt ihm einfach zu viel. Von seinem Niveau aber deutlich besser als die meisten anderen Fantasyautoren. Moorcock & Martin, um zwei prominente Namen zu nennen, zwischen denen auch schon 50 Jahre liegen, spielen da in einer ganz anderen Liga, sind meines Erachtens schwer mit Tolkien vergleichbar. Sie sind moderne Autoren, was Tolkien eben nicht sein wollte.
Als Rollenspielmetapher: Tolkien ist wie ein konsistentes Rollenspielsystem, z.B. SIM. Diesen Anspruch hatte er, und das hat er wunderbar erfüllt. Insofern ein gut designtes System. Wer aber kein SIM mag, der kann mit einem solchen System nichts anfangen.
Um jetzt die Verbindung zurück zu DSA-Romanen zu knüpfen: Ähnlich wie Tolkien bewerte ich Ulrich Kiesows Roman "Das zerbrochene Rad": Langatmige Schreibe, altertümelnde Sprache, aber auf seine verschrobene Art und Weise nett zu lesen. Mir hat der Roman gefallen, und nicht umsonst habe ich selbst mal einen Stammbaum derer von Scherpinskoje gebaut und meinen liebsten aventurischen SC "Tsawulf von Scherpinskoje" dort verortet. Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass wer Tolkien nicht mag, mit Kiesow auch nichts anfangen kann, außer er steht auf "lustige" Sexszenen. Der Umkehrschluss gilt nicht, da Kiesow sprachlich deutlich unter Tolkien liegt.
Es grüßt
Grimnir