Was folgt, ist erstmal eine Rezi zu dem Abenteuer »Unter Wudu« (UW) von Magnus Epping aus dem Abenteuer-Band »Helden der Geschichte«, der der DSA-Box Dunkle Zeiten (DZ) beiliegt. Ich stelle diese absichtlich nicht in das Rezi-Board, weil es mir mehr und eigentlich darum geht, aufgrund und anhand der Rezi einmal darzustellen, wie ich mir mein persönliches, perfektes, Wunsch-DSA-Abenteuer vorstelle. Und da diese Darstellung meiner Vorstellung sicher kommentiert, kritisiert, ausgebuht oder mit faulem Obst traktiert werden kann, will ich sie zur Diskussion stellen.
Die Rezi enthält Spoiler, die ich nicht extra kennzeichne. Meine mir angeborenen Anmerkungen und Abschweifungen packe ich der besseren Lesbarkeit wegen in Spoiler.
Das AB spielt vor Nemeka. Handlung: Helden erleben in Sylla einen Überfall der Wudu. Anschließend werden sie gebeten, ein Artefakt wiederzubeschaffen, das die Wudu vor einem halben Jahr aus dem hiesigen Boroun-Tempel entwedet haben und das den untoten Tschumbies die Fähigkeit verleiht, auch tagsüber umzugehen. Die Helden müssen in den großen Kral der Wudu und das Artefakt rauben.
Also eine einfache Mission.
In Sylla sammeln die Helden erst einmal Informationen, aufgrund derer sie einen Plan entwerfen können, wie und unter welchen Umständen sie in den Kral gelangen sollen: Sich einschleichen, als Gefangene oder als Tschumbie-Anwärter. Im letzten Fall müssen sie die Schlucht ohne Wiederkehr durchqueren, quasi als eine Art Eignungsprüfung, wenn man Tschumbie werden will.
Irgendwie also gelangen die Helden in den Kral, wo sie dann nur noch das Artefakt finden, entwenden, abhauen und überleben müssen.
Die Schlichtheit und Übersichtlichkeit des Handlungsrahmens ist schon einmal bestechend. Wie aber wird das Ganze präsentiert? Die Antwort: kurz, knapp und genial.
Das AB nimmt insgesamt knapp zwölf Seiten ein. In dem Überblickskapitel »Dem Meister zum Geleit« wird der Überfall auf Sylla und der Auftrag, also der AB-Einstieg in sechs Zeilen zusammengefasst. Die Ausarbeitung im eigentlichen AB ist kaum länger: Sylla im Krieg mit den Wudu: sieben Zeilen. Die Helden treffen ein und geraten in Kampfhandlungen: 7 Zeilen. Die Herrscherin erteilt den Auftrag: 6 Zeilen.
Keine Vorlesetexte, so gut wie kein Fluff, keine umständliche Erklärung, weshalb die Helden nach Sylla kommen, keine ehrfurchtgebietende Beschreibung der syllanischen Herrscherin samt ihrer Augenaufschläge und ihrer Büroräume, keine Flair-Begegnungen, damit die Helden sich in Sylla erst einmal wohlfühlen, keine Staffage – ich bin begeistert.
Zugegeben würden sich Rollenspielneulinge eventuell Tipps wünschen, wie sie ihre Gruppe ins AB bringen, aber Neulinge werden sich kaum die DZ kaufen, und irgendwie nervt es mich, nur wegen der Neulinge in jedem gottverlassenen AB wieder von Neuem lesen zu müssen, welche tollen Kniffs man anbringen könnte, um die Helden an den Ort der Handlung zu zerren.
Dann geht es weiter mit einer Auflistung der in Sylla erhältlichen Informationen: eine knappe Seite. Wunderbar übersichtlich, fein organisiert und ohne Zitate-Müll (der bei Gerüchten ganz amüsant sein kann, bei Info-Beschaffung aber nichts verloren hat). Hinter jeder Info steht, bei welcher von vier Quellen sie zu erhalten ist. Anhand dieser Infos können die Helden dann eine Strategie entwickeln.
Auf knapp zwei Seiten folgt die Beschreibung des Wegs durch den Dschungel, wobei der Großteil die Vorkommnisse behandelt, die auftreten, wenn die Helden als Tschumbie-Anwärter in den Kral wollen und den Weg durch die Schlucht ohne Wiederkehr wählen. Diese und die nachfolgende Begegnung mit den Wudu werden sehr benutzerfreundlich dargeboten. Klare Aussagen, klare Regeln, die Helden haben hier das Problem, nicht der SL.
Ansonsten wird der Weg durch den Dschungel mit einem Verweis auf WdS abgehakt. Das ist ein bisschen schwach. Zwar wird WdS für Benutzer der DZ-Box vorausgesetzt, was vollkommen in Ordnung ist, und dort stehen auch einige Regeln zu Dschungelreisen, aber eine harmlose Zufallstabelle mit Werten oder Seitenangaben in der ZBA hätte ich mir hier noch gewünscht. Vermutlich hat man eine solche Tabelle aber aus Platzgründen nicht aufgenommen.
Jetzt kommt das Herzstück des AB, bei dem ich richtig abgehe: Die Helden sind im Kral. Auf eine kurze Ermahnung an den Meister, Spielerideen zu honorieren und sie zu animieren, ihre Fähigkeiten zu nutzen (!), folgt die Beschreibung des Krals, die so ähnlich auch in einem Hârnmaster-Modul vorkommen könnte. Da gibt es zunächst einmal eine Karte, die eine ganze Seite einnimmt. Die zahlreichen mit Buchstaben markierten Stellen auf dieser Karte werden in kurzen (wirklich kurzen, die 26 Einträge nehmen gerade einmal eineinhalb Seiten ein), sinnvoll geordneten Einträgen beschrieben.
Der Handlungsort ist so klug konzipiert, dass sich diese Beschreibung trotz des Fehlens jeglicher »Handlung« ungeheuer spannend liest. Die Informationen sind so übersichtlich, dass man als SL an dieser Stelle eigentlich keine Arbeit mehr hat.
Übrigens ersetzen diese knappen Beschreibungen den fehlenden Fluff bestens, denn anstatt eines Vorlesetextes, der den Spielern den Kral vor Augen führt, wenn sie ihn betreten o.ä., wie man es nur zu gut kennt, entsteht aus der Kombination der knappen Texte und der hervorragenden Karte ein derart plastisches Bild, dass der SL nach Bedarf selbst drauflosfluffen kann.
Auf knapp zwei Seiten werden NSCs beschrieben, Infos zu Sprachbarrieren gegeben und der Tagesablauf im Kral skizziert. Bei den NSCs fällt auf, dass, wenn überhaupt, meist nur eine Äußerlichkeit genannt wird (»schlohweißes Haar«, »groß«), ansonsten spielrelevante Informationen geliefert werden. Dementsprechend gibt es natürlich auch keine Zitate. Wiederum: kurz, bündig, spielbar.
Genauso ist es mit den nächsten zwei Seiten, auf denen Spielsituationen genannt und skizziert werden, allesamt hilfreiche Bausteine, die je nach Vorgehen der Helden flexibel und optional einsetzbar sind.
Den Abschluss bildet ein einseitiger Anhang mit Infos zum Artefakt und Spielwerten.
Mein Fazit ist nahezu vollständige Begeisterung. Zwar habe ich den Verdacht, dass der knappe, fast telegrammartige Stil nicht Konzept ist, sondern nur der für den AB-Band erforderlichen geringen Seitenzahl geschuldet ist, aber er ist der größte Pluspunkt. Schönes Beispiel ist die Beschreibung des Giftpilzes in der Schlucht ohne Wiederkehr: »Dunkelbrauner Baumpilz (Holzzerstörer), der übergroße Fruchtkörper bildet. Sporen führen zu schwerer Atemnot und schließlich zum Ersticken.« Das ist die ganze Beschreibung, was folgt, sind lediglich Regeln über die Giftwirkung. Der Text beschränkt sich inhaltlich strikt auf die für das AB notwendigen Informationen. Adjektive wie »panthergleich« sucht man hier vergeblich
.
Wenn man die Anfangssituation in Sylla nicht ausführlicher gestalten will, kann man das AB nach halbstündiger Lektüre im Prinzip sofort spielen. Verwiesen wird zwar auf das Wudu-Kapitel in dem DZ-Quellenbuch »Im Bann des Diamanten«, ich habe dieses aber noch nicht gelesen. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass mir wesentliche Infos fehlen würden.
Trotz der Knappheit entwickelt der Text eine große Dynamik und Dramatik (wahrscheinlich, weil das SL-Hirn alles gleich so plastisch und ohne Fluff und Umwege vor Augen hat), und er schafft auch eine dichte, spannende Atmosphäre. Die völlig nüchterne Beschreibung der Ritualhöhlen, Opferplätze und krokodilverseuchten Gewässer versetzt den Leser direkt in den Schrumpfkopfdschungel einer Pulperzählung. Dieser Umstand hat mich mit am meisten erstaunt. Nicht einmal die Tschumbies werden, wie man erwarten sollte, mit den handelsüblichen, Horrorfeeling heraufbeschwörenden Adjektiven bedacht, und dennoch ersteht beim Lesen im Hirn eine schauerliche Kulisse. Ganz nach dem Motto: Aktion statt Beschreibung, nur eben umgemünzt auf das Abenteuer: spielrelevante Info statt Fluff, und fertig ist der Thriller.
Die Helden können sehr frei agieren, und der Handlungsverlauf hängt völlig von deren Aktionen ab. In einem Nebensatz wird sogar der Abbruch des Szenarios durch die Helden erwähnt, falls es ihnen zu brenzlig wird. Dann wandert das Artefakt eben nicht nach Sylla zurück, was soll’s? Trotz der enormen Freiheit der Helden werden dem SL hilfreiche Bausteine an die Hand gegeben. Sehr schön.
Nebenbei lässt sich dieses Szenario bestimmt ohne mehr als fünf Minuten Aufwand in unterschiedlichste Settings transferieren. Die Aspekte der Wudu sind jetzt nicht so wahnsinnig aventurienspezifisch.
Das Ganze mag sich jetzt alles so anhören, als wäre das alles so simpel und bündig, dass man es gleich selber schreiben könnte. Allerdings stecken in der Karte und der dazugehörigen Ortsbeschreibung sehr fein ausgeknobelte Details und Mechanismen, und man müsste schon einige Arbeit investieren, um so etwas selbst zu erstellen.
Was fehlt mir?
– Wie schon erwähnt eine Zufallstabelle für die Dschungelreise.
– Dann könnte ich mir vorstellen, dass man die Schlucht ohne Wiederkehr noch etwas raffinierter hätte gestalten und mit einer genauen Karte versehen können. Der Wettlauf gegen den Pilzsporentod wird etwas abstrakt abgehandelt, ein interessantes Gelände mit Lauf- und Kletterrouten und ein, zwei Gimmicks wäre die Krönung.
– eine zweite Karte des Krals ohne Einträge für die Spieler.
– Es besteht die Möglichkeit, dass die Helden von einem Geist auf ihre Eignung zu einem Dasein als Tschumbie geprüft werden. Hier könnte ich mir Details über Art und Verlauf der Prüfung vorstellen.
Wobei diese Mängelliste dem ausgesprochen positiven Gesamteindruck keinen Abbruch tut. Dies ist das beste DSA-AB, das ich in unendlich langer Zeit gelesen habe.
Und damit bin ich bei dem diskussionswürdigen Punkt, wie ich mir DSA-Abenteuer wünsche.
Im Prinzip (fast) genau so wie UW. Und zwar:
Ohne Fluff, ohne Vorlesetexte, modulartig, vom Text her so knapp wie möglich und auf das reduziert, was ich zum Spielen brauche, mit guten Karten, mit allen relevanten Spielwerten, mit einer kurzen, knackigen Einführung. Ohne Umschweife.
Nun gibt es die Fraktion, die sowohl Fluff als auch Vorlesetexte mag. Na schön, von mir aus darf das rein, aber dann bitte entweder in einen Anhang oder in extra Kästen. Und dann bitte auf keinen Fall Infos in den Fluff packen, die spielrelevant sind. Wenn einer wissen will, wie oft die Harani von Sylla die Stirn runzelt, während sie den Helden den Auftrag erteilt, und ob sie das mit rauchiger oder engelgleicher Stimme tut, dem sei das außerhalb des Spielfelds verstattet. Wer das nicht wissen will, muss auf diese Zusatztexte verzichten können.
Wenn es nach mir ging, sollte der bei einem AB als eigenständige Veröffentlichung zur Verfügung stehende Raum nicht dazu genutzt werden, mehr in die Breite zu labern. Der Text sollte knapp und klar gehalten werden, und wenn aufgrund dessen noch Platz zur Verfügung steht, dann diesen bitte für Karten, Handouts und Spielwerte nutzen.
In letzter Zeit erfährt die Karte zum Glück wieder eine Renaissance, aber lange Zeit hat sie leider ein Schattendasein geführt. Und was ich gar nicht abkann, ist diese Unsitte in DSA-ABs, bei den wenigen Karten, die mitgeliefert werden, dann auch noch mehr auf die Ästhetik als auf Brauchbarkeit zu achten. Vollends katastrophal fand ich das ausgerechnet im Dungeon-Band, denn gerade dort erwarte ich doch möglichst präzise Informationen aus der Karte herauslesen zu können, aber nein, Hauptsache das Gekricksel sieht genauso obskur aus wie sich ein schlecht beleuchteter Keller anfühlt. Nur mit viel Mühe und gutem Willen kann man aus diesen Kunstwerken spielrelevante Infos herausziehen.
Dagegen ist die Karte des Krals von UW perfekt. Die einzelnen Stellen sind zum Beispiel mit zum See relativen Höhenangaben versehen (!), jede Hütte, jeder Baum, jedes Treppchen und die Stellen, wo Wachtposten stehen, sind genau darin eingezeichnet. Leider ist das Ding im Maßstab etwas klein, aber zum einen könnte man es groß kopieren oder auch so belassen und dann zum Beispiel mit Stecknadeln Helden- und NSC-Positionen markieren und dabei genau ablesen, wer hinter welchem Baum steht oder wer auf wen herunterschaut. Nicht jede Karte muss zwangsläufig so sein, aber doch bittschön diejenigen, die die Orte abbilden, wo die Action ist.
Die Karte ist einer der Hauptgründe, weshalb ich von UW so begeistert bin. An dieser Stelle sei übrigens auch kurz zu Hârnmaster hinübergewunken. Was das Thema brauchbare, spielbare Karten angeht, kann man dort auch was lernen.
UW ist das beste Beispiel dafür, was ich als Abenteuermodul bezeichnen würde. Den Kral kann ich aus dem Abenteuer ausbauen und in die eigene Kampagne einfügen oder ich kann das AB wie geplant spielen. Die Handlung entwickelt sich weitgehend aus den Entscheidungen der Helden und aus den als Setting übersichtlich beschriebenen Tatsachen.
So wünsche ich mir künftig DSA-Abenteuer. Es muss nicht jedes so sein, und es muss nicht immer so vorbildlich modular sein, aber durchaus in die Richtung.
So, und wer diesen Monster-Post überlebt hat und was zu sagen hat, darf dies tun.