Ich wurde gebeten, ein bisschen was zu Fiasco von Jason Morningstar zu schreiben - dem komme ich gerne nach.
Worum geht es?Fiasco ist ein spielleiterloses Erzählspiel um Pläne und Lebenssituationen, die furchtbar schief gehen. Es ist inspiriert von Filmen wie
Fargo, Snatch, Burn After Reading oder
A Simple Plan. Die Spieler übernehmen die Rollen von ganz gewöhnlichen Menschen, deren Leben sich plötzlich schlagartig ändert und außer Kontrolle gerät. Die Chance, dass ihre Geschichte in Mord und Totschlag endet, ist hoch und endet meist - in einem Fiasko.
Wie funktioniert es?Fiasko hat keinen Spielleiter. Alle Mitspieler sind gleichermaßen daran beteiligt, die gemeinsam erzählte Geschichte zu entwickeln und voranzutreiben. Die Erzählrechte sind dabei sehr ausgewogen verteilt: eine Fiasko-Runde besteht aus einer durch die Anzahl der Mitspieler festgelegten Zahl von Szenen, in der Regel 4 pro Spieler. Szenen werden reihum abgewickelt, wobei der Spieler, dessen Charakter gerade im Fokus der Geschichte steht, entscheiden kann, ob er eine Szene selbst 'framt' oder die Aufgabe seinen Mitspielern überlässt (dazu später mehr).
Das Spiel gibt eine grobe Erzählstruktur vor: es ist unterteilt in
Akt 1 und
Akt 2. In Akt 1 werden zumeist die Charaktere und Setup der Geschichte eingeführt und vorgestellt, während es in Akt 2 zur Sache geht und alles schief geht, was nur schief gehen kann. Zwischen Akt 1 und Akt 2 liegt der sog.
Tilt, mit dem ein verschärfendes Element in die Geschichte eingeführt wird. Nach Akt 2 folgt das sog.
Aftermath, bei dem reihum eine Art Epilog für jeden Charakter erzählt wird.
VorbereitungFiasko hat kein festgelegtes Setting. Vielmehr wählt die Gruppe zu Beginn aus einer vorgefertigten Sammlung ein
Setup aus. Das Basis-Regelwerk bringt 4 Setups mit (In a nice Southern Town-Ein verschlafenes Provinznest, Boomtown-eine Stadtt im Wilden Westen, Tales from Suburbia-Die Schrecken einer amerikanischen Vorstadtsiedlung und The Ice-Antarkis-ÜberlebensHorror), aber auf der
Bully Pulpit Games Seite gibt es noch 11 weitere Setups zum Download.
Der Clou an den Setups ist: sie werden durch jeweils vier Schlagwort-Listen beschrieben, die Informationen über Relationships (zwischen Personen), Needs, Objects und Locations beinhalten.
Wenn sich die Gruppe auf ein Setup geeinigt hat, werden Charaktere gebaut. Dazu werden erst mal jede Menge Würfel benötigt: pro Spieler zwei W6 in schwarz und weiß, also 4 Würfel pro Spieler. Die packt man allle zusammen in die Tischmitte, würfelt, und ordnet sie nach den gezeigten Augen. Man hat jetzt also z.B. 4 Würfel mit einer 1, 3 mit einer 2, 5 mit einer 3 usw.
Als nächstes braucht man Zettel: davon legt man immer 2 zwischen zwei Spieler.
Und jetzt schaut man gemeinsam in die Schlagwort-Listen, die zum Setup gehören. Jedes Themengebiet (Relationships, Needs, Objects und Locations) ist in 6 Untergruppen unterteilt, denen eine Zahl von 1-6 zugeordnet ist. Also z.B. Relationships: 1 Family, 2 Work, 3 The Past, 4 Romance, 5 Crime, 6 Community.
Nun beginnt ein Spieler damit, festzulegen, wie sein Charakter zu den Charakteren der
links und
rechts neben ihm sitzenden Spieler steht. Merke: es hat noch niemand eine Vorstellung davon, was er spielen wird - man legt
zuerst die Konstellationen zwischen den Charakteren fest und entwickelt erst
danach das eigentliche Konzept.
Der Spieler, der an der Reihe ist, sucht sich aus der Liste etwas aus, was ihm gefällt und 'kauft' diese Verbindung mit einem Würfel aus dem Pool in der Tischmitte. Nehmen wir mal an, er möchte, dass sein späterer Charakter eine Work-Relation zum Charakter seines rechten Nachbarn hat. Dem Bereich Work ist eine 2 zugeordnet, also nimmt der Spieler einen Würfel, der eine 2 zeigt, und legt diesen auf den Zettel, der zwischen sich und seinem rechten Mitspieler liegt. Er schreibt auf den Zettel: Relation-Work.
So geht das reihum, bis die Würfel in der Tischmitte aufgebraucht sind, und auf jedem Zettel zwischen den Spielern zwei Elemente stehen. Dabei muss zwischen jedem Spielerpaar mindestens eine Relation festgelegt werden, hinzu kommen noch Needs, Objects und Locations, die für die Charaktere oder Story interessant erscheinen.
Die Spielgruppe pickt sich in dieser Vorbereitungsphase also Themen und Elemente aus der Setup-Liste, die sie gerne im Spiel sehen würden. Diese Elemente
müssen dann später auch irgendwie eine Rolle spielen, die Spieler stehen also in der Verantwortung, sie in ihre Erzählung einzubauen.
Auf Basis der Besziehungen und der Elemente, die zusätzlich im Spiel sind, überlegen sich die Spieler dann kurz ihre Charakterkonzepte, wählen Namen, klären weitere Rahmenbedingungen des Settings etc.
SpielNach der Charaktererschaffung geht's los mit dem Spiel. Die Würfel werden wieder von den Zetteln entfernt und zurück in die Tischmitte geschoben. Reihum beginnen die Spieler dann, die Geschichte zu erzählen. Aus den Elementen, die bei der Charaktererschaffung ins Spiel gebracht wurden, können sich dabei schon Probleme ergeben haben. Die Needs (Wünsche, Ziele) bieten da einen guten Aufhänger um ins Spiel zu kommen. Die Spieler definieren zu Beginn der Szene kurz, welches Ziel ihr Charakter in der Szene verfolgt und was er erreichen will. Er kann (und wird hoffentlich) auch andere Charaktere in die Szene einladen, oder NSCs erfinden (die dann von den Mitspielern geführt werden sollten). Ist die Szene zuende, nimmt sich der Spieler einen Würfel aus dem Pool in der Tischmitte. In
Akt 1 gibt er diesen Würfel dann an einen beliebigen Mitspieler seiner Wahl weiter.
So wird reihum verfahren, bis alle Spieler zwei Szenen bestritten haben und nur noch die Hälfte der Würfel in der Tischmitte liegt. Dann endet der erste Akt und es kommt zum
Tilt.Für den Tilt wird geprüft, welche Spieler die meisten weißen und schwarzen Würfel haben. Diese werden gewürfelt und von den beiden Spielern auf der Tilt-Liste verteilt. Diese ist den Setup-Listen ähnlich und beinhaltet Storyelemente, die eine größere Veränderung herbeirufen (etwas geht ganz schrecklich schief, ein Fremder kommt in die Stadt, ein Geheimnis wird gelüftet etc). Diese Veränderung wird anschließend in die Geschichte eingebaut und führt in Akt 2 dazu, dass die Dinge außer Kontrolle geraten.
Akt 2 verläuft ganz ähnlich wie Akt 1: reihum wird erzählt, wie die Charaktere mit den Konsequenzen des Tilts umgehen. Die Spieler erhalten -und
behalten- am Ende ihrer Szene einen Würfel. Mit folgendem Unterschied: in Akt 2 kann sich ein Spieler entscheiden, eine Szene
selbst zu framen, dann dürfen
seine Mitspieler am Ende die Farbe seines Würfels wählen. Oder er lässt
seine Mitspieler die Szene framen, dann bestimmt
er die Farbe seines Würfels.
Warum ist das wichtig? Im Aftermath kommt es darauf an, wieviele gleichfarbige Würfel man gesammelt hat. In Akt 2 kann man also etwas steuern, ob der Charakter wahrscheinlich ein gutes oder ein schlechtes Ende nimmt.
Wenn jeder Spieler seine 2 Szenen des 2. Aktes hatte, und keine Würfel mehr in der Tischmitte liegen, ist das Spiel am Ende angelangt, und es kommt zum
Aftermath. Fiasco-Spielrunden haben gezeigt, dass das Aftermath eigentlich mit der coolste Teil des Spiels ist. Darin wird nämlich festgestellt und erzählt, wie die Geschichte für den Charakter endet. Alle Spieler würfeln die Würfel, die sie im Spiel angesammelt haben, und zählen sie zusammen. Weiße Würfel zählen als Plus, schwarze als Minus. Je höher man im Plus oder Minus landet, desto besser - die Aftermath-Liste spuckt für diese Glücklichen wahrlich glorreiche Enden aus. Pech haben die Spieler, die einen bunt gemischten Würfelpool vor sich haben: hier ist die Chance ziemlich hoch, dass sie beim Addieren der Zahlen nur kleine Werte erreichen, oder - ganz katastrophal- sich ihre Würfelaugen auf Null addieren.
Hat jeder Spieler aus der Aftermath-Liste abgelesen, wie desaströs das Ende seines Charakters ist, wird reihum der
Epilog erzählt. Dabei darf jeder Spieler eine Anzahl von kleinen Streiflichtern/Vorausblenden in die Zukunft beschreiben, die der Zahl der im Spiel gesammelten Würfel entspricht.
Mein Fazit:Fiasko lernt sich leicht und macht eine Menge Spaß. Das Spiel beitet für mich genau die richtige Mischung aus freiem Erzählen und einer äußeren Struktur, die einen nicht im Regen stehen lässt, sollte einem gerade mal nichts einfallen.
Damit das Spiel richtig rockt, ist es von Vorteil, wenn die Beteiligten schon ein bisschen Erfahrung mit spielleiterlosen Rollenspielen und szenisch orientiertem Spielaufbau haben. Nachteil: fürs Spiel braucht man die Setup-Listen, dann kann man aber in der Tat völlig ohne Vorbereitung einfach losspielen. Das perfekte Spiel für Spielabende, bei denen der SL keine Zeit hatte, was vorzubereiten.
Wer mal sehen will, wie eine Setup-Liste bei Fiasco aussehen kann, lade sich das
Preview-PDF herunter. Ab Seite 23 in diesem PDF ist ein Szenario enthalten. Man sieht hier auch, dass die Listen jenseits der 6 Hauptunterteilungen der vier großen Themengebiete nochmal verzweigt sind, so dass man bei der Charaktererschaffung die Beziehungen zwischen den Charakteren noch weiter verfeinern kann (und muss).