Ich bin nun seit ein paar Stunden vom Spieleabend wieder zurück und gebe euch mal einen Statusreport, soweit im Moment möglich.
Zunächst mal scheint meine Idee des "Anything goes" nicht wirklich zu funktionieren. Wenn man die Spieler nicht an einem günstigen Punkt und mit günstigen Rahmenbedingungen und ausführlichen Vorkenntnissen "abholt", entwickelt sich das Anything-goes immer rasch zum Nothing-goes. Niemand hält was von der Demokratie am Spieltisch, alle wollen möglichst mit Setting und Charakteren "beliefert" werden, und niemand hat am Spielabend selber Lust dazu, irgendwelche Beschreibungen oder Regeln durchzulesen. Und englischsprachige Regelbücher sind ja für 90% der Spieler sowieso igittigitt... nein, das ist ja anstrengend, das ist ja alles auf Englisch, also fassen wir das gar nicht an.
Nur die üblichen Probleme, die es auch bei Nicht-Anime-Spielen gibt.
Aber nachdem ich über solche Hürden inzwischen leicht hinwegblicken kann, habe ich das vorhandene Material noch mal selber gesichtet und eingegrenzt. Ich weiß nun, was ankommt und was weniger. Ich konnte einige Schwerpunkte herausfinden und mir für die kommenden Sessions ein paar Notizen machen. Mehr wollte ich ja auch nicht.
Big Eyes Small Mouth 2. Edition: Immer noch ganz klar eines meiner Lieblingsbücher. Für Grafik, Aufbau und Klarheit eines Regelwerks für mich eindeutig die Messlatte! Ein echtes Vorbild, und das schon seit bald 11 Jahren. Das Taschenbuch ist außerdem unglaublich handlich und attraktiv. Ein grundsolider Klassiker. Ich hoffe, dass mal irgendein anderer Verlag die Lizenz für BESM kauft und das System neu auflegt. - Die einzigen Nachteile an BESM 2 sind meiner Ansicht nach, dass es sehr leicht ist, mit seinem Punktesystem unaufhaltsame Schadensmaschinen zu bauen, die mit einem Stockschlag so viel Schaden machen wie eine große Bombe (
... am Nebentisch wurde übrigens RIFTS gezockt, also ist das nicht in allen Systemen ungewöhnlich ...), und dass es eben grundsätzlich ein recht klassisches Trefferpunktesystem hat. Ich selbst habe nicht wirklich Lust auf ein Treffer- oder Lebenspunktesystem auf dem Stand der 90er-Jahre.
Big Eyes Small Mouth 3. Edition: Das Buch übernimmt sehr viel Text und Info wortwörtlich aus der 2. Edition und bläst dieses System nur zusätzlich (und größtenteils unnötig) auf. Eine Charaktererschaffung ganz nach BESM 3 dauert ungefähr so lang wie eine Hero-System-Charaktererschaffung, daher empfehle ich auch hier auf jeden Fall die vorgegebenen Templates und die Textabschnitte zum Thema "K.I.S.S. - Keep it simple, stupid!" Das Buch der 3. Edition an sich ist natürlich eine wahre Schönheit. Eigentlich eine Schande, dass ich es jahrelang nur auf einem Tisch herumliegen ließ (sozusagen als Briefbeschwerer). Ich werde es weiterhin für Fluff-Beispiele verwenden und zu Illustrationszwecken, weil ich allein schon die ganzseitigen Farbbilder von der Zeichnerin Julie Dillon so göttlich finde. Niko Geyer, ein Deutscher, hat übrigens auch seinen Teil dazu getan, dass mir das Buch optisch so gut gefällt.
Open Versatile Anime: Aufgrund seiner Knappheit, des ungewöhnlichen Würfelsystems und der generellen Indie-Natur (frech, klein, fies, aber trotzdem irgendwie umfassend) bereits zum Favoriten gekürt. Eine ausführliche Beschreibung des Systems gibt es ja seit 2007 von mir an einer anderen Stelle dieses Forums. Irgendwie wünsche ich mir insgeheim in meiner perversen Fantasie eine Edition von OVA mit der Papierqualität und dem Artwork von BESM 2e. Dann wäre meine Welt wirklich in Ordnung. Aber unsereins kann ja schließlich kombinieren, wenn die Bücher an sich und die Verlage nicht ganz so wollen, wie man selbst. Einer meiner Bekannten hat gleich gefragt, ob er sich das OVA-Regelbuch mal ausleihen könnte, weil seine Freundin Anime mag, aber noch keine Rollenspielerin sei, aber er hätte halt gern, dass sie auch eine wird, etc.
Mecha & Manga: Fällt im direkten Vergleich zu BESM 2 & 3 leider ein wenig ab. Zum einen kann ich mich nicht recht damit anfreunden, dass man zur Benutzung dieses Buchs mindestens noch ein Mutants & Masterminds-Regelwerk braucht (ich hab' natürlich eines, hatte es aber gestern Abend nicht dabei). Im Gegensatz dazu ist BESM eben ein definitives "Regelbuch", wo ich im Zweifelsfall alle Regeln, Skills, Fähigkeiten und so weiter in einem Band zusammen habe. Zum anderen finde ich M&M ein wenig überladen mit Details und vielen allgemeinen Spielleiterinfos, die mich im Eifer des Gefechts auch nicht schlagartig schlauer machen würden. Es gibt darin ähnlich gutes Artwork wie in BESM 2, allerdings fehlen dem Buch die Direktheit und der Charme des letzteren. Fast alles, was in BESM 3 als Template steht (Elfen, Zwerge, Tiermenschen, Catgirls, vom Pech verfolgte Highschool-Schüler, Zauberer, Pet Monster Trainer u.a.), findet sich in ähnlicher Form auch in M&M. Genau genommen hat M&M sogar noch mehr Templates und mehr Ideen für Instant NPCs, aber ich fand einfach aus persönlichem Geschmack heraus die Bilder in BESM besser. Außerdem hat mich beim erneuten Durchlesen gestört, dass in M&M ausgerechnet das Mecha-Kapitel großteils auf grünem Hintergrund gedruckt ist, mit schwarzen Überschriften auf dunkelgrünen Streifen. Um die dortigen Abkürzungen und Regelbegriffe überhaupt zu verstehen, muss man ohnehin bereits an das MnM-Regelwerk und die dortigen Termini gewöhnt sein. Das sind meine Spieler leider nicht, weshalb sie keinen rechten Zugang zu diesem Buch haben dürften.
Übrigens "leiden" sowohl Mecha & Manga als auch BESM darunter, dass sie sich nicht für eine spezifische Kampagnenwelt oder ein spezifisches Subgenre wie Action, Drama oder Comedy entscheiden können. Beide sind einfach Nachschlagewerke für Spielleiter. Als Inspirationsquelle für den Otto-Normal-Spieler eher weniger geeignet. Ich behalte beide wegen der Bilder.
Teenagers From Outer Space: Hatte ich seit Jahren nicht mehr in der Hand. Ich hatte schon vergessen, wie abgefahren und wie sympathisch geschrieben dieses Regelbuch eigentlich ist! Auf jeden Fall viele frische Sympathiepunkte bei mir selber. Ich setze es mal auf die Auswahlliste für einen der kommenden Cons im Jahre 2011. Das Beispielabenteuer "Der Luststein" ist schon der Brüller an sich. Wenn mein Teenager-Leben tatsächlich so primitiv und spaßig gewesen wäre, wie in dem Buch beschrieben, wäre das Leben wohl ein Comic. Aber da liegt auch schon der Nachteil von TFOS: Es ist eigentlich eher ein Comedy-Cartoon-Spiel als ein Manga-Spiel. Der Humor und die Referenzen in dem Regelwerk sind noch auf dem Stand der (späten) 80er-Jahre und der Stil allgemein basiert auf einer ganz bestimmten Uralt-Comedy von Rumiko Takahashi ("Urusei Yatsura", 1978), die wahrscheinlich den heutigen Anime-Fans überhaupt nicht mehr bekannt ist. Im Allgemeinen bekomme ich wesentlich häufiger die Namen "Ghost in the Shell", "Akira" oder "Neon Genesis Evangelion" entgegengeschleudert als den Titel einer Highschool-Comedy. TFOS erfordert aber geradezu eine Vertrautheit mindestens mit Urusei Yatsura und mit zwei, drei weiteren Schülerkomödien. Von den neueren Serien fällt mir nun spontan lediglich Rosario + Vampire ein, aber auch das wird ja kaum jemand automatisch als Background-Wissen parat haben.
CAH: Going Japanese (PDF): Ein Buch, auf dessen Cover ich sogar einen Credit habe, obwohl ich es damals nur editiert habe. Natürlich ist dieses Buch unbezweifelbar sehr wichtig und genial.
Da das PDF bislang nur die unillustrierte No-Frills-Version (dafür druckerfreundlich!) wiedergibt, ist es für die meisten Spieler nicht spontan ansprechend. Der Fluff-Text von Bryan Beyer ist ehrlich gesagt ein bisschen steifer und sperriger als das, was TFOS und BESM in dieser Hinsicht liefern. Aber Going Japanese ist ja auch eine andere Art Buch! Es versteht sich mehr als Meta-Buch über Animeserien und speziell über die amerikanischen Nachbearbeitungen und Schnittfassungen typischer Animeklassiker. Ähnlich wie das CAH-Grundregelwerk enthält Going Japanese drei gleichberechtigte Settings zum Sofortspielen. Davon ist eine die Hommage an Voltron, eine die Hommage an Robotech und eine die Hommage an Pokemon, Digimon und die anderen Kartensammler-Serien. Beim nochmaligen Durchlesen ist mir aufgefallen, dass die erste Hommage-Serie "Massvor Prime" am ehesten für einen One-Shot mit meine Spielrunde geeignet wäre. Die zweite Serie, "AlphaWave", baut auf Robotech-Vorkenntnissen und Klischees auf, die hier leider keiner kennt (auch ich scheitere immer wieder an meiner Nichtkenntnis von Robotech, der Originalserie). Die dritte Serie "HyperMon" ist die Verbeugung vor Pokemon und Konsorten, damit brauchte ich meinen Spielern gar nicht erst unter die Augen zu treten. Eigentlich fände ich eine spannungsreich und etwas "gehobener" gespielte Runde mit Pet Monster Trainern als Charakteren gar nicht mal schlecht, aber ich kann meinen jetzigen Spielern das Pet-Monster-Genre einfach nicht ordentlich nahe bringen. Ich kenne auch selbst zu wenig von Pokemon beziehungsweise kann ich die verschiedenen Pokemon-Staffeln einfach nicht auseinanderhalten. Die sehen für mich alle gleich aus! Vielleicht baue ich Pet Monster einfach als Randerscheinungen, Gimmicks und Maskottchen in eine Mecha- oder Fantasy-Serie ein. Das würde mir gefallen. Im Übrigen ist natürlich das Regelsystem in Going Japanese das CAH-Regelsystem und daher hier immer ein Favorit. Ich könnte es am schnellsten einsetzen und leiten. Es liegt für mich Kopf an Kopf mit dem System aus OVA.
Fazit:- Beste Illustrationen für Anime/Manga: BESM 3. Edition, gefolgt von BESM 2. Edition
- Größte Auswahl von Templates: Mecha & Manga, gefolgt von BESM 3. Edition
- Lustigste Insider-Jokes und Flufftexte: Teenagers From Outer Space
- Beste Wiedergabe des Quellenmaterials: Going Japanese
- Bestes Regelsystem: OVA, gefolgt von CAH/Going Japanese