Aber bitte, wer eine Geschichte beschreibt, der sollte sich NUR AUF DIE WICHTIGEN ERZÄHLKOMPONENTEN konzentrieren,
Und das ist das, was Glgnfz mit dem "deutschen Problem" gemeint hat (obwohl wir Deutschen damit gar nicht so allein stehen; die Franzosen und die Japaner können das mindestens ebenso gut!).
Ein Rollenspiel-Abenteuer ist ein Gebrauchstext. Er sollte nicht nach lyrischen oder dramaturgischen Gesichtspunkten gestaltet werden, sondern nach ergonomischen. Rollenspielautoren sollten viel mehr von technischer Redaktion verstehen (das Berufsbild, das für Gebrauchsanweisungen zuständig ist) als von Belletristik. Wenn sie das auch noch können - um so besser.
Aber ich habe fast aufgehört, Abenteuer zu kaufen*, weil die hohe Kunst (oder besser das ehrliche Handwerk) des Abenteuer-Schreibens zunehmend zu den verlorenen Kulturleistungen zählt.
Die Frage, welche Auswirkungen eine rein-weibliche Gruppe hat, ist zum Beispiel eine wichtige Information, die man als SL einer solchen Gruppe nicht im Fließtext suchen möchte. Ebenso die Identitäten der armen Kutschreisenden, woher sie kommen, welche Spuren es rund um die Kutsche zu finden gibt, usw. In deinem Text steht nicht einmal, wie viele Leichen es gibt, nur dass das Blut noch frisch ist.
Und das alles will ich nicht als stimmungsvolle Prosa, sondern als Aufzählung.
Ich habe als Spielleiter keine Zeit, Text"monster" wie diese hier durchzulesen (und ich habe es mal auf eine Zeilenlänge umgebrochen, die in einem Abenteuer oder Zeitschriftenartikel eher entspricht) ...
Der Überfall!
Am Morgen des dritten Reisetages werden die Reisenden
im tiefsten Drakenwald eine umgestürzte Kutsche vorfinden.
Das Bild ist chaotisch: Das Kutschhaus wurde quer über
die schlammige Straße gekippt - überall liegen aufgeschlitzte
Reisetaschen herum, deren Inhalt überall verstreut ist. Die
Spuren - Hufabdrücke, Tatzen und nackte Fußsohlen - sind
gut sichtbar und weisen die Räuber als Kreaturen des Chaos
aus. Der Überfall muss wohl erst vor kurzer Zeit stattgefunden
haben, denn all das viele Blut ist noch frisch!
Im nächsten Moment wird eine Horde aus 20 Tiermenschen
(13 Ungors, 7 Gors) von allen Seiten auf die Leibwächter
und ihren Schützling zustürmen! Sobald die Charaktere durch
die Attacken der Übermacht auf 0 LP gebracht werden,
erhalten sie unerwartet Hilfe vom Feind: In sicherer Entfernung
wird der Stiermensch Taurus auf einer Hügelkuppe aus dem
Wald treten und ein gewaltiges Horn blasen. Für einen
Moment werden die Tiermenschen aufschauen, nur um im
nächsten Augenblick einfach weiter zu kämpfen. Darauf
wird der Chaoschampion ein zweites Mal in das Horn
stoßen, was einen Pfeilhagel aus dem Wald zur Folge hat,
der die Angreifer tödlich genau niedermähen wird. Nach
einem verächtlichen Blick auf die überlebende Gruppe
verschwindet der Anführer dann wieder im Wald und
wird die Gruppe zwischen all den Toten ratlos stehen
lassen.
(Spätestens hier muss ich das erste Mal blinzeln, weil in dem stimmungsvollen Kerzenlicht, bei dem wir spielen, die Buchstaben vor meinen Augen zu tanzen beginnen... denn der Verlag hat den Text mit einem schönen, stimmungsvollen Pergamenthintergrund versehen...)
Rätseln die Charaktere über die Identität ihrer Retter
und Angreifer und die Gründe für ihr merkwürdiges
Verhalten, dann steht ihnen ein Allgemeinbildung (Kreaturen)
- Wurf oder ein schwerer (-20%) Allgemeinbildung (Imperium)
- Wurf zu. Ein erfolgreicher Wurf in einer der beiden
Fertigkeiten wird den Charakter wissen lassen, um welche
Arten von Tiermenschen es sich handelte - nämlich Gors,
Ungors und einen Stiermenschen - und welche Ränge sie
einnehmen: der gehörnte Chaoschampion trägt natürlich
den höchsten Rang, gefolgt von dem sie angreifenden
Ungoranführer und seinen Untergebenen. Weiterhin wird
deutlich, dass es sich hierbei um einen Machtkampf unter
den Kriegsherden gehandelt haben muss - denn der
Chaoschampion hat allein das Anrecht, darüber zu
bestimmen, wem welche Beute zusteht.
Jedoch der Grund, aus dem der große Anführer die
Charaktere am Leben gelassen hat, lässt sich auch mit
keiner Wissensfertigkeit ermitteln. Hinter den Kulissen
hat Hera bereits die Fäden gezogen und befohlen, dass
diese Gruppe unversehrt bleibt - bringen sie der Fürstin
doch einen kostbaren Schatz: Sarah Jung von Middenheim.
Durchsuchen die Charaktere später noch die Leichen der
Tiermenschen, werden sie drei aufgespießte Köpfe finden,
die sie mit einem erfolgreichen anspruchsvollen (-10%)
Allgemeinbildung (Imperium) - Wurf als die Häupter örtlich
bekannter Adliger identifizieren können.
... und dann bin am Schluss angekommen (hat jemand die Stoppuhr mitlaufen lassen?), um zu erkennen, dass die Information, nach der die Waldläuferin eben gerade gefragt hat,
nicht einmal enthalten ist und mir trotz meiner minutenlangen Recherche etwas aus den Fingern saugen muss. (Kein Problem damit, aber das möchte ich doch vorher wissen.)
Wenn mir ein Abenteuerautor einen
51-zeiligen Text zu einem banalen Vorgang wie einem Kutschüberfall
(der die Gruppe gar nicht betrifft, weil sie ihn nicht beeinflussen können!) anbietet, dann gehe ich doch als Leser davon aus, dass alle Informationen, die man als SL jemals dazu bräuchte, in dem Text zu finden sind?
Oder nicht?
Wie viel spannender wäre die "Geschichte", wenn die Charaktere tatsächlich einen Tag zu spät kämen, es viel mehr Spuren (u.a. von Plünderern) gibt und man diese zu verfolgen beginnt? Und es wäre nur plausibel, dass diese armen Plünderer nach einigen Kilometern selbst Opfer der Tiermenschen geworden wären. Oder sich vor ihnen verstecken mussten und die Charaktere als willkommene Verstärkung ansehen, um aus diesem gruseligen Wald rauszukommen.
Das birgt alles erzählerisches und dramat(urg)isches Potenzial, an dem ich als Spielleiter viel mehr Vergnügen hätte als an Vorlesetexten und Marionettenfäden.
* Und ich bin Abenteuer-Fan! Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Abenteuermodule für rausgeschmissenes Geld halten, weil "der gute Spielleiter ja sowieso alles selbst macht und auf seine Gruppe zuschneidet". Ich habe weit mehr Abenteuer in meinem Schrank als Regelwerke, und Quellenbücher sind die von mir am meisten verschmähte Produktgruppe.
Leider, leider kann man heute nur noch sehr wenige Abenteuer kaufen, die diese Bezeichnung auch verdienen.
Es ist bezeichnend, dass ich früher in meinem Laden einen Stammkunden hatte, der gar kein Rollenspieler war (dafür leidenschaftlicher Brettspieler), und der jedes einzelne Cthulhu-Produkt von Laurin gekauft hat, weil er es genoss, die "Abenteuer" zu lesen. Und ich denke, dass es einem Großteil aller verkauften modernen Abenteuermodule so geht: Lektüre für Spielleiter, die ja selbst nicht spielen können und so wenigstens beim Lesen etwas nachempfinden können, was seine Spieler so erleben...
das ist der Grund, warum Abenteuer von heute so geschrieben sind, wie sie sind.