Ich habe ja vorgestern mal zur Abwechslung einen NSC übernommen. Dieser hat natürlich nicht alle Dinge mitbekommen, die da so innerhalb der Gruppe abliefen, daher ist das Diary nicht ganz so ausführlich, wie es sein könnte. (In meinen Notizen findet sich der Eintrag "diverse Telefonate mit fröhlichen Anschuldigungen". Echt schade, dass ich das aus Dietmars Sicht nicht ausführlicher behandeln kann. Aber selbst dann, würde da wohl viel zu viel verloren gehen...)
Dennoch, wieder eine großartige Session, mit extremst viel Spaß.Ein Gespräch in der Dienstaufsicht“Also Dietmar, wie waren Deine Erfahrungen mit der Spinner-Soko?”
Polizeioberkommissar Dietmar Jessen nimmt einen langen Zug an seiner Zigarette und schaut den Rauchschwaden nach.
“Weißt Du Kalle, das ist schon ein seltsamer Haufen. Hauptkommissarin Manske hat sich ja als Team die BUK
(Bundespolizeiliche Unterstützungskraft) Klein und diesen freien Mitarbeiter Boris Janzen zuweisen lassen. Und auch wenn die Manske selbst einwandfreie Akten führt...”
Dietmar nimmt einen weiteren nachdenklichen Zug und drückt dann die Zigarette im übervollen Aschenbecher aus.
“..naja, die Fakten sprechen nicht sonderlich für sie: Keine Verhaftung, keine Anklagen, die meisten Fälle werden mit Angaben wie ‘keine naturwisseschaftliche Erklärung lieferbar’ und ähnlichem Unsinn geschlossen.”
Karl-Heinz Meyer, Dietmars Chef, nickt. “Das weiss ich Dietmar, deswegen hab ich Dich ja auf die angesetzt.”
“Richtig, das hast Du. Und ich hab mich ja auch gleich am Montag mal in Hamburg umgesehen. Akten im Archiv gewälzt, Klaus und Matze als Beschatter eingesetzt und mal ein wenig Wind gemacht. Wie erwartet hat sich Fräulein Manske dann auch ziemlich für ihr Team stark gemacht. Aus Personalführungssicht natürlich vorbildlich - aber mir kamen schon Zweifel, ob sie die Prioritäten richtig setzt.”
“Das Team ist meines Erachtens häufig reichlich hemdsärmelig. Klar, das bringt Ergebnisse, aber zu welchem Preis? Schau, ich hab mich halt reingehängt, Druck gemacht und wie erhofft hat die Hauptkommissarin mich eingeladen, doch mal einen Fall mit zu begleiten.”
“Du hattest ja im Polizeicomputer einige Überwachungsfunktionen hinterlegt, damit wir mitbekommen, welche Fälle sich die Manske so anschaut. Und siehe da, keine 12 Stunden nach unserem Gespräch lässt sie sich die Akten von einer Vermisstenanzeige schicken.”
Dietmar blättert in seinem Notizblock.
“Da, eine Sandra Hoch hat ihren Sohn Ralf als vermisst gemeldet. Die Kollegen in Hamburg hatten ihn als Ausreißer klassifiziert, und ein paar Bilder an den üblichen Stellen aufgehängt. Spannend genug: Fräulein Manske hat vorher ein wenig über diese Sandra geforscht. Kommt aus dem Osten, machte kurz nach dem Mauerfall rüber und hatte wild nach einer angeblichen Tochter gesucht.”
“Und jetzt halt Dich fest Kalle, diese Sandra Hoch, das ist die Mutter von Melanie Klein!”
Meyer pfeift erstaunt durch die Zähne.
“Naja, nach Vorschrift dürfte das Team den Fall jetzt natürlich nicht bearbeiten. Befangenheit, persönliche Verwicklung. Aber ich war neugierig: Frau Hoch war laut Akte 54 Jahre alt - aber sah fast jünger aus als Fräulein Klein mit ihren 24 Jahren. Irgendwas roch mir da verdächtig, Du weisst, da hab ich eine Nase für...”
Dietmar reicht seinem Chef einen Aktenhefter mit Promobildern vom “Hoot Up!”, der Kneipe von Frau Hoch. Man sieht sie da in einem schwarzen Tanktop vor ihrem Laden stehen. Da Meyer letzte Woche gerade beim Political Correctness Training war, unterdrückte er gekonnt einen weiteren anerkennenden Pfiff.
“Stimmt, Dietmar, wenn das der Verdienst von Faltencremes sein soll, dann will ich die auch für meine Frau.”
Dietmar grinst verhalten. So viel geholfen hat das Training wohl doch nicht.
“Naja, ich hab den Schuppen dann mal aufgesucht. Tunten, Schwule, Metal-Freunde - ein buntes Publikum. Am Tresen diskutierte das ganze Team, inklusive diesem Boris Janzen. Du kennst seine Akte ja. Das vierte Teammitglied fehlte, Jan Hirt war zu diesem Zeitpunkt schon tot.“
Bei der Erwähnung des Toten runzelt Meyer die Stirn. “Haben wir dem eigentlich je irgendwas nachweisen können?”
“Nicht genug für eine Anklage, Chef. Aber die Akte können wir wohl endgültig schließen. Wobei, Fräulein Klein machte da so eine seltsame Anmerkung... “
Dietmar zuckt mit den Schultern.
“Vielleicht sollten wir die Akte Hirt noch nicht ganz so weit weglegen. Nur so eine Ahnung. Auf jeden Fall hatte ich dafür gesorgt, dass der Fall Ralf Hoch an das Team von Kommissarin Manske übertragen wird. Von der verwandschaftlichen Verwicklung war ja offiziell nichts bekannt, insofern machte ich mir da wenig Sorgen.”
Meyer sieht nicht sonderlich begeistert aus.
“Gefährlich nah an der Grenze, Dietmar. Wir sollen die Leute dazu anhalten, die Vorschriften einzuhalten, nicht ihre Grenzen auszutesten.”
“Naja, ich gebe zu, ich war halt neugierig.” Dietmar blättert weiter durch seinen Notizblock. “Und ich wollte wissen, wie sie die Sache angehen würden.”
“Auf jeden Fall schien sie die Nachricht vom Tode Hirts ziemlich mitzunehmen. Fast so, als ob sie selbst Schuld daran seien. Irgend etwas verheimlichten sie mir auf jeden Fall, aber ohne weitreichende Telefonüberwachung werden wir das wohl nie rausfinden.”
Dietmar wirft seinen Chef einen hoffnungsvollen Blick zu, der aber schüttelt nur wieder einmal den Kopf.
“Dafür musst Du mir mehr als nur einen vagen Verdacht liefern Dietmar. Und irgendwo müssen wir auch mal unseren Leuten vertrauen.”
Dieser nickt verständnisvoll. Eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet - und im Grunde ist im das Team ja auch sympathisch.
“Der Versuch wars wert Chef. Naja, dieser Boris Janzen fing dann recht bald mit seinem Hokus Pokus an.” Dietmar zündet sich nachdenklich eine neue Zigarette an.
“Es war natürlich naheliegend, ein Suchritual durchzuführen, allerdings hätte ich mir ein wenig gründlichere klassische Polizeiarbeit gewünscht. Umfeldanalyse, Zeugenbefragungen... Dinge, die man in eine Akte schreiben kann, und die auch nicht-Mystiker lernen können. Naja, Du kennst ja meine Meinung dazu.”
“Egal, so hatten wir wenigstens Ergebnisse: Das Suchritual führte uns recht geradewegs zu einem verfallenen Haus am schlechten Rand von Wilhelmsburg. Der ganze Häuserblock drumherum war wie ausgestorben, von Gentrifizierung hatte man hier garantiert noch nie etwas gehört. Alles war dunkel, nur ganz oben brannte noch in einer Wohnung Licht.”
“Sandra Hoch hatte uns begleitet. Nicht ganz nach Protokoll, aber was solls. Wir gingen das Grundstück ab, fanden aber nicht wirklich irgend etwas hilfreiches. Spuren eines großen Hundes. Also, monströs groß. Was sagen eigentlich unsere K9-Einheiten zu Wilhelmsburg?
Kalle winkt ab. “Du weißt, dass ich Dir darüber nix sagen darf.”
“Klar, vergiß dass ich es erwähnte. Wo war ich? Ach ja, das Haus.”
Dietmar blättert die nächste Seite auf seinem Notizblock auf.
“Ok, wir standen draußen, oben war Licht, alles andere sah ziemlich verlassen aus. Herr Janzen und Fräulein Klein bestanden darauf, dass der Gesuchte oben in einem kahlen Zimmer liegen würde, ohne konkrete Beweise dafür vorzuweisen zu können. Wenigstens einen ‘anonymen Hinweisgeber’ hätten sie sich ja ausdenken können, aber nein...”
“Auf mein Beharren telefonierte Frau Manske dann, und in überraschend kurzer Zeit brachte Funkstreife Peter-23 dann tatsächlich einen Durchsuchungsbeschluß. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie sie Richterin Meier dazu gebracht hat. Die Frau ist eigentlich eine harte Nuß. Auf jeden Fall konnten wir so nach Vorschrift weiter vorgehen, und betraten das Haus um 22:35.”
“Die Wohnungstür war zwar verschlossen, aber Fräulein Klein hat anscheinend eine Schlosserzertifizierung, und mit Frau Hoch hatten wir eine Zivilistin als Zeugin dabei. Gut, nicht ganz so streng nach Vorschrift, aber es war ja auch Gefahr in Verzug sozusagen.”
“Die Wohnung war tatsächlich so kahl wie von Janzen geschildert, und tatsächlich fanden wir in einem der Zimmer den gesuchten Ralf Hoch. Allerdings schien er völlig entkräftet und gleichzeitig irgendwie mit der siffigen Matratze auf der er lag wie verwachsen zu sein. Und dann knallte irgendwo hinter uns eine Tür zu...”
“Ich wollte Frau Hoch bei dieser Gelegenheit eigentlich nicht direkt am Tatort haben, und schickte sie daher raus, um einen Notarzt zu rufen.”
Ein kurzer Zug brennt fast die Hälfte der Zigarette runter.
“Naja, nach gefühlten 2 Sekunden rief sie was von ‘Die Tür ist weg!’ Mir schwante übles, und ich ging ihr nach in den Wohnungsflur. Tatsächlich, die Tür war weg. Als wenn sie nie dagewesen war.”
“Und die Tür zum Wohnzimmer? Auch weg, Frau Hoch und ich waren vom Rest des Teams abgeschnitten. Meine Ahnung wurde noch ein wenig übler. Wir konnten uns noch durch die Wände hindurch verständigen, und langsam wurde uns klar, dass etwas gründlich schieflief.”
“Ich weiss nicht, was genau die da in dem anderen Zimmer machten. Es klang ein wenig so, als ob da mit Messern hantiert wurde. Und ich könnte schwören, ich hätte einen Flammenwerfer gehört, und Verbranntes gerochen..”
“Auf jeden Fall merkte ich langsam, dass die Wände um uns nur eine Täuschung waren. Dahinter steckte eine Art Fleisch... eine Bauchinnenwand? Ich rief den anderen im Nebenraum einen eher kryptischen Hinweis auf Jonas zu, und Frau Manske war tatsächlich bibelfest genug um sofort ‘Walfisch’ zurückzufragen.”
“Da ich keinen Flammenwerfer dabei hatte, versuchte ich es mit Rauch. Vielleicht konnte man ja das Ding, in dem wir steckten zum Husten bringen. Der Raum begann tatsächlich zu beben, und ich erzielte eine weitere Reaktion, leider nicht ganz die, die ich mir erhofft hatte.”
Bei der Erinnerung steigt der Ärger wieder in Dietmar hoch, und er drückt die Zigarette frustriert aus.
“Frau Hoch entpuppte sich als.. naja, Köder. Sie war gar nicht echt, sondern eine Manifestation des Hausmonsters, das uns gerade verdauen wollte. Sie sprühte Pfefferspray in meine Richtung und verschmolz dann mit der Wand. Von Nebenan hörte ich Kampfgeräusche und ‘Vorsicht, Säure!’ Rufe des Teams.”
“Ich machte mir keine Illusionen: Mit meiner Dienstwaffe würde ich dem Haus nicht wirklich irgendwelche Kratzer verpasen können. Also verlegte ich mich auf Psychologie: In unmissverständlichen Worten machte ich dem Ding klar, dass die Adresse schon in den Akten wäre, dass mein Verschwinden sicherlich Nachforschungen sowohl von Dir persönlich, der gesamten paranormalen Dienstaufsicht, als auch von unseren Kollegen im Weißen Rat nach sich ziehen würde.”
Dietmar grinst verhalten.
“Das Ding spuckte mich schneller aus, als Du Räumungsbeschluß sagen kannst. Kurze Zeit später folgten die anderen, inklusive eines fast schon komatösen Ralf Hoch. Das Hausmonster floh aus seinem Nest, offensichtlich schwer angeschlagen. Keine Ahnung wo es jetzt steckt, wir sollten der Bauaufsicht mal ein paar Hinweise geben, dass sich solche Viecher nicht länger irgendwo einnisten können.”
“Naja, alles in allem haben sich die Leute um Frau Manske ganz ordentlich geschlagen. Wenn jemand von ihnen etwas Illegales tut, dann verheimlichen sie es ziemlich gut - ich vermute, ohne diesen Hirt werden wir von denen keine Probleme mehr zu erwarten haben. Dennoch, ein wenig Ergänzungstraining in Sachen Protokoll und vorschriftsmäßigen Ermittlungen kann sicher nicht schaden. Ansonsten sehe ich allerdings keinen weiteren Handlungsbedarf. Ein gutes Team haben wir da.”