So, als starker Gamist (es heißt ja auch RP-Game und nicht RP-Storytelling
) mal meine Sicht der Dinge:
Meine Gruppe und ich sind - um ein Zitat von oben zu benutzen - ein "Überbleibsel aus der Wargaming-Zeit", d.h. wir lieben Kämpfe, auch wenn sie ein paar Stunden dauern, solange sie spannend zu abwechslungsreich sind! Trotzdem spielen wir auch gerne Szenarien, in denen fast gar nicht gekämpft wird.
Die Basis des Spiels bilden IMHO das Setting und der Charakter, den ich als Spieler darstelle. Diese Vorgaben schränken die Möglichkeiten meines Charakters ein, mit seiner Umgebung zu interagieren (Beispiel: als schwacher Halbling auf Mittelerde, kann ich i.d.R. keine tonnenschweren Felsen bewegen). Der Charakter wird im allgemeinen durch eine Anzahl an Regeln erstellt und auf einem entsprechenden Blatt festgehalten, dazu kommt eventuell eine Vorgeschichte etc.! Die Regeln (egal ob Kampf- oder "psychische Regeln" usw.) legen fest, wie die Werte, die auf dem Charakterblatt festgehalten sind, in bestimmten Situationen den Ausgang der Aktionen meines Charakters beeinflussen.
Wenn ich den Ausgang der Aktion gemäß charakterlicher Überlegungen selbst entscheiden kann, brauche ich auch keine Regeln und Zahlenwerte auf dem Charakterblatt. Ich will mal behaupten, daß der Großteil der Spielgruppen nicht die Disziplin hat, eine regellose Kampagne zu spielen, obwohl dies sicherlich reizvoll wäre. Der Großteil braucht also Regeln! Warum gibt es nun sehr detailierte Kampfregeln in vielen Systemen, aber nur wenige bis gar keine Regeln z.B. für Gespräche - schließlich ist deren Ausgang auch stark vom Charakter abhängig???
Aus meiner Sicht sind dies vor allem zwei Dinge:
1.) Nachvollziehbarkeit
2.) Dauer der Aktion
3.) Entscheidungsfindung
Zu 1.) Ich glaube, fast kein Spieler hat je persönlich einen Kampf auf Leben und Tod ausgetragen oder weiß, was es bedeutet, angeschossen worden zu sein oder in einer schweren Rüstung ein noch schwereres Zweihandschwert zu schwingen! Was es jedoch bedeutet, als normal aussehender Jüngling eine Barschönheit abzuschleppen, wenn gleichzeitig noch der Freund danebensteht, kann sich jeder lebhaft vorstellen. Es fällt also den Spielern und dem SL leichter sich auf eine bestimmte Erfolgschance zu einigen, da jeder die Situation relativ richtig einzuschätzen weiß. So gesehen sind hierfür keine komplexen Regeln notwendig.
Zu 2.) Kampf ist die einzige Situation im Rollenspiel, die in Realzeit länger dauert als in InGame-Zeit. Es ist schwierig, abzuschätzen, z.B. wie weit man in 10sec in einem Kettenhemd und mit einem 15Kg-Rucksack laufen kann - hier helfen die Kampfregeln, die bei höherer Komplexität, genau vorgeben, was man wann im Kampf machen kann und wielange es dauert. Bei so kleinen Zeiteinheiten ist es (zumindest mir und meiner Gruppe) wichtig, Synchronität, Logik und einen halbweg akzeptablen Realismus zu wahren - daß das in den meisten Fällen natürlich nicht 100% realistisch ist, ist mir schon klar. Andere Situationen laufen in wesentlich längeren Zeiträumen ab und das Ergebnis der Handlung meines Charakters muß nicht immer exakt sein (ob z.B. das Klettern auf eine Felswand nun 7 min oder 8:15 min dauert, oder ob der Händler auf meinen mißglückten Feilschenversuch nun leicht oder mittelschwer beleidigt ist, ist nicht soooo entscheidend - ob ich meinen schwer verletzten Kameraden im Kampf noch rechtzeitig mit dem Heiltrank erreiche schon!). So gesehen, sollte es zwar auch hier bestimmte Regeln geben - diese müssen aber nicht so komplex sein...
Zu 3.) Als letztes helfen Regeln IMHO, den Spielern für ihre Charaktere eine der Situation angemessene Entscheidung zu treffen, wie sie reagieren wollen, ohne ständig den SL zu befragen und darüber zu diskutieren. Dies beschleunigt vor allem den Kampf, da ich nicht nur weiß, was mein Charakter in der nächsten Runde machen könnte, sondern auch was Mitspieler und Gegner bis zur nächsten Entscheidung meinerseits machen können. Der Kampf wird "greifbarer" und der Erfolg einer Taktik befriedigt die Spieler erfahrungsgemäß genauso, wie eine coole cinematische Aktion im "freien Kampf".
Wie gesagt, das ist nur meine Meinung. Ich will niemanden überzeugen, sondern nur zum Nachdenken anregen.
Bis zum nächsten Thema