Wobei ich das Erzählen halt nochmal unterteilen würde:
- flauschiges Erzählen, Marke Impro-Theater (viel Player-Empowerment und Author-Stance)
- taktisches Erzählen (nicht zu verwechseln mit den "Fähigkeiten des Spielers", die du als vierten Punkt genannt hast)
Den Unterschied verstehe ich nicht so ganz, bzw. ich verstehe nicht, was flauschiges Erzählen mit PE und Author Stance zu tun hat. So wie SJT nach meinem Eindruck den Begriff bisher verwendet hat, meinte er damit vor allem den Beschreibungsaspekt im Rollenspiel, also wenn ein Spieler die Handlungen seines Charakters über das Minimum hinaus beschreibt. Von PE war da nicht die Rede, das ist mMn eine andere Baustelle. Taktisches Erzählen verstehe ich auch nicht. Ich verstehe, dass taktische Überlegungen bei einigen RSP-Situationen eine Rolle spielen kann und man in Konversationsszenen auch eine "Gesprächstaktik" fahren kann, wie man sie z.B. in der Schule beigebracht bekommt (Verwendung rhetorischer Mittel, Strukturierung der Argumente etc.).
1) Nicht alle Gruppen sehen das als Problem. Bei einigen Gruppen ist dieser Effekt durchaus erwünscht.
Meiner Einschätzung nach würde ich sogar noch weiter gehen: viele Gruppen, und erst Recht viele Spielleiter (und vielleicht besonders solche aus der DSA-Schule), sehen das nicht nur nicht als Problem an, sondern glauben, diese Art wäre "die einzig richtige Art", Rollenspiel zu betreiben und gehen insgeheim stillschweigend davon aus, dass das alle so sehen oder zumindest so sehen müssten.
2) Betrachten wir die Gruppen, die das als Problem sehen:
Ja, der Würfelwurf schließt das eine Problem "Spieler-Fähigkeiten" und "SC-Fähigkeiten" unterscheiden sich. Dafür öffnet sich ein neues Problem: "Spieler werden weniger gefordert."
1) Ob Spieler so viel weniger gefordert werden, wage ich zu bezweifeln. Wie gesagt, in Kämpfen wird traditionell dem Würfel und den Charakterwerten ein großer Einfluss zugestanden - sind Spielerideen, -planungen und -vorbereitungen deshalb in Kämpfen weniger wert? In den meisten Rollenspielen (die ich kenne) sind Kämpfe kein "reines" Glücksspiel, sondern eher ein "strategisch orientiertes" Glücksspiel, in das Spielerüberlegungen und Zufall gleichzeitig (wenn auch nicht immer gleichwertig) hineinspielen.
2) Meiner persönlichen Erfahrung nach (die natürlich eingeschränkt ist) habe ich noch nie erlebt, dass eine Situation, die "ausgespielt" (i.S.v. reinem Laientheater) wurde, überraschende Wendungen gebracht hat. Deswegen bezweifle ich auch, dass Spieler bei sowas gefordert werden - im Grunde kommt es darauf an, ob ein Spieler über Macht und Einfluss in der Gruppe und/oder einen guten Draht zum SL verfügt bzw. mit diesem auf einer Wellenlänge liegt, um zu sehen, wie eine "ausgespielte" Situation entschieden wird. Zu gleuben, dabei würden Spieler "gefordert", halte ich für einen frommen Selbstbetrug. Bei Rätseln ist das anders, da es dabei eine von der Person des Spielleiters unabhängige Lösung gibt. Aber bei sozialen Situationen ist 90% der "Spielerforderung" Augenwischerei - und zum Teil eine billige Verschleierung rein "dramaturgischer" Entscheidungen des SL.
Wozu muss ich als Spieler groß nachdenken, wer der Mörder ist, wenn mein Detektiv-SC einfach auf "Tatort untersuchen" und "Zeugen verhören" und "logisch kombinieren" würfelt und dann den Mörder präsentiert?
1. Bisher habe ich wenig "Ermittlungsabenteuer" erlebt, wo
Spieler wirklich kombinieren mussten. Ich habe einmal ein Midgardabenteuer so geleitet, und es wäre beinahe in die Hose gegangen, und ich schätze, dass einige PI-Abenteuer auch regelmäßig nicht aufgeklärt würden, wenn man sie hart nach Buch spielt. Offen gesagt, auch wenn gern anderes versprochen wird: in den meisten "Kriminalabenteuern" muss man als Spieler nicht nachdenken, sondern warten, bis man vom Erzähler zur richtigen Lösung geführt wird. Mag sein, dass du andere Erfahrungen gemacht hast und niemals solche Erlebnisse hattest wie ich (von denen einige, aber nicht alle Conerfahrungen sind). (Ich hasse Ermittlungsabenteuer" deswegen, weil sie zum Illusionismus einladen.)
2) Warum sollte ich einen Detektivcharakter bauen wollen, wenn nicht auf Spurensuche, Wahrnehmung, Verhören/Fragetechnik, Empathie/Menschenkenntnis, Überreden usw. gewürfelt wird? Warum bin ich dann nicht ehrlich und streiche diese Fertigkeiten aus meinem Spiel? AiM machts teilweise so, und das ist ok. (Gumshoe geht einen anderen Weg, der aber letzten Endes darauf beruht, dass die Spieler alle notwendigen Infos kostenlos erhalten. Von Spielerfordern kann da auch keine Rede sein.)
3) Du stellst es so dar, als wäre Rollenspiel nur eine Folge von Würfelwürfen. Das ist es aber nicht. Es ist die geniale Kombination von mindestens drei Elementen:
1. dem Spielprinzip
2. Denksport
3. Erzählung (Beschreibung, Darstellung, Schauspiel usw.)
Die Elemente sind bei unterschiedlichen Gruppen anders gemischt, in unterschiedlichen Rollenspielsituationen unterschiedlich verteilt und von unterschiedlichen Systemen verschieden gewichtet usw.
Aber jeder Versuch, es auf ein Element zu reduzieren, tut dem Rollenspiel Gewalt an. In Konversationsszenen haben in der Rollenspielentwicklung das Würfeln und der Denksport (siehe oben) meiner Meinung nach dem Erzählen zu viel Raum gegeben - ich warte immer noch auf den ersten SL in einem Con, der eine Konversationsszene spannend und spielerisch gestalten kann (und nein, wenn nicht gewürfelt wird, ist das nicht spannender, sondern dann sinkt meine Spannung auf Null, denn dann ahne ich, dass es keine alternativen Enden für diese Szene gibt).
Klar, Leute, denen Herausforderungen im RPG egal sind und die eher Impro-Theater bevorzugen, haben damit kein Problem.
Aber gerade Leute, die Gamismus sehr gerne haben, würden sich dadurch gestört fühlen.
Das leuchtet mir nicht ein - aber da sind unsere Erfahrungen im Rollenspielbereich vielleicht zu unterschiedlich. An dem Tag, an dem ich es mal erlebe, dass ein Spielleiter ein Abenteuer für die Spieler wirklich
herausfordernd leitet und in dem mentale und soziale Herausforderungen vorkommen, an denen Gruppen wirklich scheitern können, werde ich nochmal über die These nachdenken. (Und ich gebe zu, sowas mehrmals probiert zu haben, es dann aber nicht bis zum Ende weiterverfolgt zu haben, weil sich ansonsten Spieler geweigert hätten, weiter mitzuspielen.)
Nach meinem Eindruck ist der Wunsch darauf, eine Konversationsszene ohne Würfel "auszuspielen" immer von
Method Actors oder
Storytellers (Spielertypen nach Rawls) gekommen, was beides keine Typen sind, sie ich einem besonders gamistischen Stil zuordnen würde.
(Ok, ich hab ein Herz für Method Acting und angeblich eins für Gamismus, aber sowas findet man selten.)
Dann wäre dieser Thread auch notwendig. Nämlich um zu zeigen, dass es auch anders geht und dass man auch ohne Würfeln und mit mehr Spielerfähigkeiten auch spielen kann.
Spielen? Ja. Schauspielen zum Beispiel (reine Darbeitung). Schachspielen zum Beispiel (Denksport). Aber rollenspielen?
Da Drama, Karma und Fortune schon in den Thread geworfen wurden noch ein paar Anmerkungen: Eindeutige erzählerisch orientierte Rollenspiele wie pta und inspectres räumen der Fortune einen nicht geringen Raum ein. Zufallsgeneratoren und erzählerisches Spiel schließen sich nicht aus, auch wenn wir in D(SA)-Land da gerne was anderes glauben wollen. Spielen ohne Fortune ist nicht besser, aber sehr wahrscheinlich überraschungsärmer. Der Verzicht auf Fortune stärkt nach meinem Eindruck primär die erzählerische Macht des Spielleiters, wenn ihm nicht ein gut durchdachter PE-Mechanismus entgegengesetzt wird. Durch die Stärkung der Erzählmacht des SL verkümmert Rollenspiel aber schnell zu einer Erzählonkelei.
Dramaturgische Entscheidungen gibt es immer im Rollenspiel, auch wenn es noch so umfangreiche und durchdachte Würfelmechaniken oder Karmaentscheidungen begünstigende Regeln ("Take 10" z.B.) im System gibt. Jedes Rollenspiel und jedes Abenteuer hat Bereiche, die nicht klar verregelt sind, wo eine zuständige Instanz nach dramaturgischen Gesichtspunkten entscheiden soll und darf. Man kann diese Bereiche klein halten wollen, um das Spielgefühl zu bewahren, oder vergrößern wollen, um weniger dem Zufall zu überlassen, aber es ändert nichts daran, dass Drama immer dabei bleibt. Bedauerlicherweise ist der Zufallsentscheid nicht so gesichert - oder hat hier noch nie jemand eine Sitzung ohne jeden Würfelwurf erlebt?