@Falke359, Surtur und Phantagor:
Danke, dass Ihr das etwas ausführlicher dargestellt habt. Vor allem, was Falke359 angesprochen hat, treibt mich bei der Betrachtung des Mittelalters und der Mittelalterrezeption immer um: Die Fremdheit des Weltbilds und der Weltanschauung. Denn daraus resultiert wohl oft die Fehlinterpretation vom düsteren und dummen Mittelalter, weil man sich heute in sehr viele Vorstellungen einfach nicht mehr hineinversetzen kann und sie einem deswegen vielleicht grob, dumm oder kindisch vorkommen.
In dem Bereich, den ich vom Mittelalter vielleicht am besten kenne, mittelhochdeutsche Lyrik und Romane, kann man das auch schon ablesen: Wenn man so einen ständig sich zu Wort meldenden, sich oft blöd stellenden Wolfram als Romanerzähler vor sich hat (und dazu die uns heute teilweise hölzern anmutenden Geschichten, die er erzählt) und ihn einem Jonathan Lethem gegenüberstellt, dann kann man, wenn man nicht gut genug informiert ist, leicht zu dem Schluss kommen, der Wolfram hätt's halt nicht besser gekonnt und gewusst. Sich vorzustellen, dass Wolfram einen Lethem wahrscheinlich total belanglos gefunden hätte, fällt aus heutiger Sicht ungleich schwerer.
Ein ähnlicher Punkt ist die oft primitv anmutende bildliche Darstellung von Jesus, Heiligen und Stiftern, bei denen -- alles vor Goldgrund -- die Proportionen und Perspektiven nicht stimmen. Aus heutiger Sicht wird oft gesagt, dass die armen unwissenden Mittelalter-Maler die Perspektive halt noch nicht kannten. Wenn man sich im Mittelalter mal so umsieht (siehe Stände-Ordnung) drängt sich mir dagegen der Eindruck auf, dass die eine perspektivisch richtige Darstellung völlig irrelevant gefunden hätten. Schließlich sieht man ja mit den eigenen Augen perspektivisch richtig, aber wenn man (religiöse) Kunst schafft, will man ja etwas zeigen, was man nicht jeden Morgen sieht, wenn man den Nachttopf rausträgt.
Vor Jahren hatte ich mal einen historischen Krimi in der Hand, der irgendwann zwischen 1000 und 1300 in Frankfurt spielte. Der Klappentext verriet, dass jemand ermordet wurde, aber niemand dem Fall nachgeht, bis die Magd im Hause beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Da können die Straßennamen etc. noch so gut recherchiert sein, da wird trotzdem im Leben kein Mittelalter draus.
Übrigens habe ich mich nicht beleidigt gefühlt oder so. Ich fand das verbale Gekicher nur unbefriedigend, weil ich in dieser Hinsicht furchtbar neugierig bin. Und vielleicht sammeln sich in diesem Thread ja auch noch ein par weitere Erkenntnisse.