Generell habe ich es immer so empfunden, dass das Magiesystem bei M:tA vor allem Verhandlungssache war. Die Publikationen haben den Eindruck noch verstärkt und es kam ziemlich häufig vor, dass in einem Buch irgend ein Rote mit Forces 4, Prime 2, Matter 3 und Time 2 stand und in einem anderen Buch derselbe Effekt mit Entropy 2 erreicht werden konnte (ok, übertrieben, aber nicht sehr).
Auch sehr beliebt war es immer, fehlende Spheres durch das zu ersetzen, was man hatte: Blick in die Vergangenheit ohne Time? - Einfach mit Correspondence einen geeigneten Betrachtungspunkt im Weltraum wählen, mit Forces das Licht wie bei einem Fernrohr bündeln und fertig - bei 8 Lichtminuten Entfernung, kann man 8 Minuten in die Vergangenheit sehen, bei 20 Lichtjahren 20 Jahre.
Oder mit Matter (Pharmazeutika) Life- oder (Psychopharmaka) Mind-Effekte hervorrufen. Entropy war sowieso ein Catch All (es könnte ja zufällig so und so sein) und mit Spirit konnte man im Zweifelsfall den richtigen Geist für den Job anheuern.
Und dann gab es da noch diesen Aufsatz im Akashi-Tradbook, der einem nahelegte, dass man mehr oder weniger alle Fertigkeitswürfe durch Do ersetzen konnte *seufzt*...
Auf der anderen Seite hatte M:tA das sehr verwirrende Konzept der verschiedenen Paradigms, bei der das, was die Realität als realistisch durchgehen lässt, auch vom Umfeld und der Weltsicht der Sleepers abhängig ist: In einem Eingeborenendorf jenseits aller Zivilisation könnte fast alles, was ein Dreamspeaker tut, Coincidental sein, während Technokratische Procedures durch die Bank vulgar währen. Das ist auch der Grund, warum Satelitentelefone im tiefsten Busch ausfallen und Apache-Helikopter, die in Arizona super funktionieren, im Irak keine zehn Minuten in der Luft bleiben. Ein Son of Ether wird mit dem richtigen Drumherum auf einer Convention von hardcore-Star Trek-Fans mit ganz unglaublichen Dingen durchkommen und in einem Kindergarten hat man kaum Probleme mit Sleepers.
In deinem Fall bedeutet das, dass wenn man mit irgendwelchen exotischen Naturgesetzen arbeitet, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen und den meisten Menschen wie Wunder vorkommen müssen, sind diese wahrscheinlich noch nicht ausreichend im Paradigma verankert, um als Coincidental gelten zu können - sprich, wenn es in der Runde keiner kapiert, ist es erst einmal vulgar.
In meinem Spiel ist es immer zu langen Diskussionen gekommen, wenn es um sphärenmagische Effekte ging. Irgendwann sind wir dann dazu übergegangen, dass alles, was nicht für alle sofort nachvollziehbar ist, erst einmal als Vulgar behandelt wird oder außerhalb der Spielzeit als Rote mit dem ST besprochen werden muss.
Außerdem werden nicht nur wissenschaftliche Erklärungen akzeptiert, wenn es darum geht, ob ein Effekt überhaupt möglich ist: Wenn jemand mit Matter das Wassergedächtnis auslesen will, einen Prime-Effekt hat, der auf Orgon-Energie beruht, Time auf Grundlage von Astrologie wirkt, Forces im Kontext einer Engels-Hierarchie versteht, mit Homöopathie echte Effekte hervorrufen kann oder einen Correspondence-Link mithilfe von Gematrie erzeugt, dann ist das eine genausogute Erklärung, wie irgendein Quanteneffekt oder irgendwas aus der Biochemie.
In der Tat denke ich, dass mehr Menschen an Astrologie glauben als an die Relativitätstheorie, daher sollte Astrologie im Paradigm besser verankert sein und eher akzeptiert werden, als Physik jenseits der Oberstufe.
Überhaupt geht es darum ja beim Krieg zwischen den Traditionen und der Technokratie: Die Realität ist das, woran die Menschen glauben und im Mittelalter gab es Drachen und Flüche, während Aspirin und Feuerwaffen nicht funktioniert hätten, selbst wenn man sie produziert hätte. Erst die vereinten Bemühungen einer gewaltigen Anzahl von Mages unter dem Banner der Technokratie haben es geschafft, ein Paradigma zu erschaffen, in dem Menschen fraglos akzeptieren, dass andauernde technische Neuerungen und wissenschaftliche Erkenntnisse an der Tagesordnung sind.
Die Traditions konnten die Entwicklung nicht aufhalten, da jede Gruppe eine eigene Version davon hat, wie die Realität sein sollte und an sich der Technokratie zahlenmäßig unterlegen ist. Die Bemühungen für eine gemeinsames Vorgehen durch das Council of Nine waren zu wenig zu spät. Trotzdem haben die Traditionen es geschafft, dass auch in einer Welt, in der Wissenschaft das Paradigma ist, weiterhin überall Nischen existieren, die nicht mit dem rationalen Paradigm der Technokratie konform gehen: Zeitungen drucken weiterhin Horoskope, Religion ist weltweit ein mächtiger Faktor in Kultur und Politik, in Entwicklungsländern geht man lieber zum Dorfschamanen als zum Arzt vom Roten Kreuz (weil der nur heilt und einem keine mächtigen Flüche gegen seine Nachbarn verkauft), Musik, Drogen und Feiern sind trotz aller Warnkampagnen der Technokratie nicht auszurotten, viele Leute glauben fest an Aliens, Geister und das Schicksal, in Buchhandlungen ist die Abteilung zu Esotherik und Lebenshilfe größer als die zu Populärwissenschaft und "das geht über Internet" ist eine akzeptable Erklärung für so ziemlich alles, ohne dass es rational erklärt werden muss.
Und darum ist in der Welt von Mage jede Erklärung, die auf Dingen basiert, an die viele Menschen glauben, erst einmal völlig plausibel und akzeptabel, auch wenn sie nach unserem Schulwissen völliger Unsinn ist. Mage ist ein Spiel über Magie und den Kampf um die Realität, nicht ein Spiel über wissenschaftliche Gesetze (außer man spielt eine reine Technokratierunde).