Ich weiss immer noch nicht so recht, was ich seltsamer finde: Hardcore-Canon-Vertreter, die meinen das Traveller so sein muss und nicht anders - oder Leute, die nicht mit den Ansichten anderer leben können. "IMTU" ist eine Floskel, die inzwischen fast verkrampft notwendig zu sein scheint: "MEIN Traveller-Universum ist eben in derundder Hinsicht anders als der Canon". Und die heilige Kuh Canon hat einerseits sicherlich ihre Bedeutung: irgendwo muss man anfangen, ein Universum und dessen Inhalt zu etablieren, einige Grundlagen so erfassen wie man sie gern hätte - um es dann nach und nach zu verfeinern.
Dabei kann es dazu kommen, dass ein Hans-Rancke Madsen und ein Christopher Trash, ein Marc Miller und ein Loren K. Wiseman etwas als neuen Canon festlegen (oder aus dem alten Canon hervorholen) was einem selbst nicht so sehr gefällt. Das ist allerdings bei GURPS systemimmanent, es bietet einem nun einmal erst ALLE Optionen und man selbst ist fast schon in der Pflicht, sich die Bauteile herauszusuchen die man für sich verwendet sehen will. Nicht nur im Spielsystem sondern auch im Hintergrund. Da dieser durch das "Verbot" der Verwendung von einigen damals publizierten Hintergrundbänden (Beispiel DGP - da sind es wohl Rechtstreitigkeiten mit einem zu gierigen Inhaber der Rechte) manchmal überraschend wenig Tiefe zu erhalten scheint - muss man sich selbst Gedanken machen.
Das Traveller-Universum bietet die Möglichkeiten dazu. Ich besitze sowohl die alte deutsche Ausgabe von Traveller als auch MegaTraveller - und ganz ehrlich: abgesehen von einigen Beschreibungen der anderen Alienrassen und von Ausrüstungsgegenständen war ich erstmal beeindruckt von der Fülle des GURPS-Materiales. Wir haben Traveller und MT gespielt - und selbst dort ist es trotz der manchmal eher dürftigen Hintergrundbeschreibungen gelungen, ein glaubhaftes Spieluniversum zu simulieren. Es ist weitergehend meine Überzeugung, dass dies mit dem GURPS-Material einfacher fällt, spätestens bei IW. Fängt man wie einige der oben erwähnten Autoren an, das Traveller-Universum zu sezieren und sich zu überlegen, was "realistischer" wäre - wird es dadurch eventuell einen Teil seines Flairs verlieren. Bereits vor vielen Jahren zweifelten manche Spieler daran, dass das Traveller-Universum (würde man in ihm leben) sich durch den interstellaren Handel halten kann. Die Ökonomie ist einfach unplausibel und eine Simulation derselben scheitert zwangsläufig.
Aber ganz ehrlich: who cares? Ich brauche keine 11.000-Welten Wirtschaftssimulation die funktioniert wenn ich es wollte. Ich habe auch kein erweitertes Planetenerschaffungssystem von DGP gebraucht in welchem man der Welt Achsenneigung, Albedo und Landmassenverteilung (und unzählige Dinge mehr) beimessen kann. Sowas kann mal ganz nett zu wissen sein, manchmal hilft es in seltenen Fällen dem Spielleiter sogar.
Aber ich brauche es nicht. Und dementsprechend überspringe ich die Kapitel oder kaufe mir das Regelwerk schlichtweg nicht weil die drei wertvollen Halbsätze darin auch so ihren Weg in mein Hirn finden. Wenn ein anderer das allerdings braucht und nur so sein Glück finden kann - so be it, soll der sein Geld investieren und den Verlagsbetrieb aufrechterhalten damit in der nächsten Publikation vielleicht wieder mehr von Interesse für mich steht.
Ich kann selbst für mich entscheiden, ob Piraten in mein Traveller-Universum passen. Das sie nicht mit Entermesser zwischen den Zähnen und flatternder Piratenflagge all guns blazing hinter dem Asteroiden hervorkommen sondern das so etwas (um es "glaubhafter" zu machen) beispielsweise ein grösseres Netzwerk von Informanten erfordert oder vielleicht sogar eingeschleuste Undercover-Agenten - macht die Sache nur noch spannender. Piraten gibt es auch heute noch auf hoher See, Satellitenüberwachung, verbessertem Seeradar, schnellen Handelsriesenschiffen und potentiell schnelleren Eingreiftruppen zum Trotz.
Die Frage ist allein, was ich in meinem Spieluniversum haben will. Will ich ein komplett überwachtes System in welchem einige SDBs mit ihren Sensoren und verbesserten Antrieben für komplette Sicherheit sorgen? Dann soll es so sein. Denke ich mir, dass die imperiale Flotte und auch die Systemverteidigung aber begrenztere Mittel hat - dass die Sensoren ein anderes Schiff nicht ganz so rasch entdecken - dass nicht jedes System innerhalb des Imperiums gleich stark patrouilliert wird - dann ist das eben auch so. Dann gibt es die Grenzwelten oder die "als sicher geltenden Routen" - auf denen unvermutet ein findiger Pirat zuschlagen kann.
Und dann brauche ich mich auch nicht über seltsame Autoren ärgern. Dann hätte ich schon mit Traveller aufgehört, der Atlas des Imperiums war eine reine Farce und die Tierbegegnungen sind frühes Rollenspielmittelalter mit ihren Zufalls-Tabellen. Ich mag es, wenn man merkt, dass die Autoren sich auch Gedanken darüber machen, wie die Spielwelt unter Betracht der grundlegenden Prämissen (Sprungantrieb, mindestens eine Woche Sprungraum, Wasserstoff als Treibstoff, keine Energieschilde, ...) an sich aussehen müsste um glaubhaft zu sein. Aber ich lasse mich dadurch nicht völlig aus der Bahn werfen.