Blade Runner war für mich übrigens auch nie "Cyberpunk", sondern eine Detektivgeschichte mit der Frage nach künstlichem Leben, nach den Rechten von künstlichen Menschen usw.
Was eben eins der Kernthemen von Cyberpunk ist: Die Frage nach dem Widerspruch zwischen Mensch und Maschine oder, weiter gefasst, Biologie und Technik und dem fortschreitenden Verschwimmen der Grenzen zwischen beiden.
Der klassische Cyberpunk ist derzeit leider klinisch tot, weil zumindest in der westlichen Welt die Städte mittlerweile einfach nicht mehr wie sich alles vereinnahmende Moloche und ewig wachsende Tumore wahrgenommen werden und sich auch im allgemeinen Unterbewusstsein langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass Biologie und Technologie weder widersprüchlich noch trennbar sind. Bionik war dereinst ein Buzzword, dass die Assoziierung der Verschmelzung von Mensch und Maschine in einem wider- und übernatürlichem Monster hatte. Die neuesten und schnellsten Computer haben ganze Räume gefüllt und waren nicht so klein, dass sie in ein nichtmal handtellergroßes, schnurloses Telefon passten und man ist nicht aller Nase lang über einen Mikrochip gestolpert. Technologie war noch ein großes, komplexes und nicht alltägliches Monster.
Bei genauerer Betrachtung trifft auch heute noch vieles davon zu (Supercomputer füllen noch immer ganze Räume, kaum einer versteht wirklich wie sein Telefon überhaupt funktioniert und auch wenn es noch keine echten KIs gibt, so gibt es doch ein paar Programme da draußen, die einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen können), aber die Angst vor der Technologie ist einfach nicht mehr so ausgeprägt wie früher, was auch an der Herangehensweise der Firmen liegt, die Geräte optisch und funktionell extrem an unseren Alltag anzupassen und optisch freundlich und teilweise regelrecht niedlich zu gestalten (man vergleiche die Fratze eines Wählscheibentelefons der 80er Jahre mit dem Aussehen eines modernen Handies...). Technik wirkt heutzutage so, als wäre sie schon immer ein Teil von uns gewesen (was zwar auch die Wahrheit ist, aber naja, ihr wisst schon wie ich es meine) und so kann man mit den alten Schreckgespenstern nichts mehr in diesem Maße anfangen.
Was bleibt sind die eher abstrakteren Probleme, die Konzernherrschaft und Künstliche Intelligenz (ferner auch der Zusammenbruch der Gesellschaften). Dies sind aber keine Themen, die, wenn man sie weiter abstrahiert, ein Alleinstellungsmerkmal des Cyberpunks sind und waren, sondern in ihrer Form in jedes Setting passen: Die Frage nach Macht, Machtausübung und der Umgang mit Macht anderer über einen selbst. Oder die Frage nach dem Sein, dem Selbst, was einen definiert. Cyberpunk fehlt in der Moderne also das schlagende Alleinstellungsmerkmal und ist damit eigentlich obsolot, obgleich es als Vehikel für diese Fragen immernoch geeignet ist.