Ich habe den Faden verloren,
Macht nichts, ich auch.
Ich versuche mal, ihn wiederzufinden. An alle, auf die ich in diesem Posting nicht eingehe: das ist keine böswillige Ignoranz, sondern einfach der Tatsache geschuldet, daß es inzwischen ein Fulltime-Job wäre, diesem Thread zu folgen. Nicht zuletzt wegen vieler wertvoller Anregungen, die hier schon gekommen sind. Dafür vielen Dank an alle Teilnehmer, falls ich das noch nicht gesagt haben sollte.
Also, ans Werk:
Mal eine andere Überlegung: Wo findet denn normalerweise die Action statt? Auf dem Boden.
Egal, ob ich jetzt SF-Romane lese oder SF-RPGs spiele: Die Weltraumkämpfe lassen sich an einer Hand abzählen und darauf kann man gut verzichten. Interessant wird es immer, sobald die Leute ihre Raumschiff verlassen und auf dem Planeten herumspazieren.
Was spricht also dagegen, das Raumschiff vollautomatisch handeln zu lassen? Das Raumschiff ist quasi nur ein McGuffin, das die Helden von Planet A nach Planet B bringt. Die eigentliche Action findet auf Planet A und auf Planet B statt.
@Eulenspiegel: zum einen, auch wenn ich mich bei meinen Beispielen sehr auf die Raumfahrt konzentriert habe, es geht mir durchaus auch um andere Aspekte des menschlichen Daseins, die durch zuviel Automatisierung für mich an Reiz verlieren. Zum Beispiel die Exploration lebensfeindlicher Welten - warum einen heldenhaften
TM Menschen im Raumanzug gefährden, wenn man auch einen Roboter schicken kann? Oder, anders gefragt: wie müßte meine Gesellschaft mit ihren Normen, Ehrbegriffen, Arm/Reich-Verteilung usw. aufgebaut sein, damit es häufiger mal vorkommt, daß ein Mensch sein kuscheliges Habitat verläßt, um im Raumanzug durchs Vakuum oder eine tödliche Atmosphäre zu laufen?
Davon abgesehen: du hast recht, Romanszenen, in denen der Fokus auf gewagten Manövern im Weltraum liegt, sind selten. Aber sie sind, wenn sie denn mal vorkommen, genau das, was mich persönlich als Leser immer am meisten in Bann zieht. Aus diesem Grund habe ich z.B. Asimov in seinen "Lucky Starr"-Büchern eine Menge an Klischees verziehen, da er drei von sechs Romanen dieses Zyklus fast ausschließlich im Weltall spielen läßt und dieses Feeling bedient, das meiner Ansicht nach in der SF viel zu kurz kommt. Deshalb möchte ich es ja gerade in meinem Setting entsprechend würdigen.
Nach kurzem ersten Entwurf für das Posting hab ich alles gelöscht, weil die bisherige Herangehensweise in typischer Hard-SF-Manier die soziale Komponente ignoriert.
Huh? Auf wirtschaftliche Faktoren, Prestige etc. wurde doch durchaus schon eingegangen.
Ohne Beschränkungen in technischer Hinsicht ist eben alles vorstellbar und man kann es drehen wie man will. Die Frage ist vielmehr: Wie sieht die Gesellschaft der Zukunft aus, die jedes Problem technisch in den Griff bekommen kann?
An dieser Stelle verlangen wir nichts weniger als Antworten, Mr. Grey.
Spaßig, die erhoffe ich mir eigentlich von euch.
(Und habe ja auch schon einige gekriegt.) Aber gut, auf die Gegenfragen werde ich nach bestem Wissen und Gewissen eingehen:
-Gehören Armut, Umweltverschmutzung, Krankheit, vielleicht der Tod der Vergangenheit an?-
Wohl eher nicht. Wir wollten ja Abenteuer, oder?
Korrekt. Das Problem der Umweltzerstörung möchte ich tatsächlich als "mit einem blauen Auge überstanden" abhaken und in die Geschichtsbücher des Settings verbannen; alles in allem ist die Umwelt dabei, sich zu erholen, hat aber noch einen langen Weg vor sich. Dafür aber soll es andere Probleme geben, wozu u.a. Ressourcenknappheit gehört. Und eben soziale Probleme, wie sie sich aus solchen Neuerungen ergeben, wie z.B. das Vorhandensein ultrahochgezüchteter KIs eine wäre.
Gibt es eine kapitalistische Wirtschaftsordnung? Umverteilungsmechanismen? Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Grüne Wirtschaft? Ich würde sowas immer eher dystopisch ansiedeln.
Das ist regional unterschiedlich. Das Wirtschaftssystem der Erde ist für mich derzeit noch etwas nebulös. Mit Sicherheit wird ein guter Schuß Kapitalismus drin sein, ja. Auf dem Mars gibt es einige wenige Kartelle, die freie Marktwirtschaft weitgehend unterbinden; die Zugehörigkeit zum "richtigen Club" entscheidet über deine Möglichkeiten, an Reichtum und Einfluß zu gelangen. Für das Saturnsystem schweben mir die schon von Tudor angesprochenen Wildwest-Zustände vor, d.h. abgesehen von einigen kulturellen Zentren herrscht libertarianische Anarchie mit ungezügelter Marktwirtschaft und der Herausbildung der ersten (tyrannischen) Monopole.
- Wirken alle Menschen am politischen Prozeß mit oder nur wenige? Dürfen KI wählen? Gibt es überhaupt noch einen politischen Prozeß? -
Es gibt nicht nur einen, sondern viele. Das Sonnensystem ist nicht unter einer Führung geeint. Die weißen Flecken auf der Karte des Settings lassen derzeit noch Platz für verschiedene politische Systeme, manche demokratisch, manche diktatorisch, die meisten eher oligarchisch. Inwieweit KIs (sofern vorhanden) geduldet werden und/oder an der Politik aktiv mitwirken, hängt vom jeweiligen Staat ab.
Existieren Kriege weiter und worum werden sie geführt?
Große Kriege zwischen Nationalstaaten sind selten geworden, allerdings weniger wegen guten Willens, sondern wegen enger wirtschaftlicher Verflechtungen. Beständige, kleine Scharmützel, Plünderungen und Piraterie gehören allerdings je nach Gegend zum Alltag. Geführt werden sie um Ressourcen und schnöden Mammon. Kriege zur Gebietsgewinnung hingegen sind auf der Erde überholt, im Saturnsystem noch nicht lohnend und finden, wenn überhaupt, derzeit nur auf dem Mars statt.
Gibt es noch Weltreligionen? Oder ein unübersehbares Nebeneinander von Sekten, Philosophien oder Weltanschauungen mit einer relativen Mehrheit von Atheisten und Desinteressierten? Was sind die Grundlagen für moralische Entscheidungen?
Das ist genau der Punkt, bei dem es bei mir noch hakt. Es existieren definitiv weiterhin Religionen, wobei sich die Kräfte zwischen unseren heutigen Weltreligionen und einigen neu aufgekommen, teils esoterischen, teils technokratischen Kulten verschoben haben. Die Grundlagen für moralische Entscheidungen allerdings entziehen sich mir noch, da meiner Überzeugung nach der Mensch hier nicht so tickt, daß er als Moral annimmt, was ihm von der Kanzel gepredigt wird; sondern daß viel eher das, was von der Kanzel gepredigt wird, auf die Zwänge, Notwendigkeiten und das Selbstverständnis der Menschen gemünzt wird. Wo aber sind Zwänge und Notwendigkeiten bei einem Übermaß an Automatisierung? Wo ist das Selbstverständnis, wenn die Menschen nicht einmal die Frage beantworten können: "Was machst du, was kannst du, worauf bist du stolz?"
- Gab es jemals eine globale Katastrophe? -
Anders herum: ging es von heute linear in die Zukunft? Oder kam zwischenzeitlich der Weltkrieg, der Klimawandel, der große Brocken Eis und Stein aus dem Weltraum und hat die Parameter menschlicher Exploration verschoben?
Es ging ganz sicher nicht linear voran. Der Klimawandel ist, wie gesagt, bewältigt. Aber es kam nach meinen bisherigen Überlegungen zu mindestens zwei großen sozialen Umwälzungen, von denen die eine ihre Wurzeln noch in der Jetztzeit hat (ein wirtschaftlicher Zusammenbruch in Asien, der infolge der Globalisierung die ganze Welt in Mitleidenschaft zieht) und die andere im Aufkommen von Cyberware; diese führt im Lauf der Jahrhunderte zu einer enormen Verschärfung sozialer Gegensätze und letzten Endes zu einem globalen Bürgerkrieg auf der Erde.
Beide Krisen sollen bereits in der Vergangenheit liegen, wobei letztere noch nachwirkt. Alte Feindschaften schwelen noch. Trotzdem soll in meinem Setting zu Beginn alles recht friedlich aussehen. Für den Metaplot schwebt mir das Nahen der nächsten großen Krise vor, die das ganze Sonnensystem erfassen wird, die aber vorerst niemand kommen sieht.
Als "Joker" in der Hinterhand behalte ich mir noch ein bis zwei globale Naturkatastrophen vor, die ich aber nur dann in meine Vorgeschichte einflechten möchte, wenn die sozialen Katastrophen allein es nicht tun. Die Naturkatastrophen finde ich lustiger, wenn die Charaktere sie auch miterleben.
Solange aber der Mensch Mensch bleibt, wird auch die Gesellschaft in diesen Dingen stabil bleiben. Denn auch in der Gesellschaft geschehen mehr Dinge, die "die Gesellschaft" eigentlich nicht will, als Dinge geschehen, die sie will. Aber jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft tun das seine dazu, damit sie geschehen.
@Merlin: wir sind hier genau auf einer Schiene. Auch ich bin überzeugt, daß "wenn die Menschheit keine Automatisierung will, sie auch nicht kommen wird."
Aber dieses "Wenn die Menschheit nicht will" kann ich selbst nur sehr abstrakt fassen. "Die Menschheit" ist groß, nebulös und in viele soziale Gruppen mit unterschiedlichen Interessen aufgespalten. Ich bräuchte konkrete Mechanismen, wie sich dieses "nicht wollen" äußert. Wenn Automatisierung machbar ist, gibt es auch eine Gruppe, die sie durchsetzen will. Wenn sie praktisch und wirtschaftlich ist, braucht es eine starke Gegenbewegung, damit sie am Ende doch nicht kommt. Diese Gegenbewegung möchte ich gern konkreter fassen: ihre Motive, ihre Überzeugungen und die Mittel, mit denen sie sich durchzusetzen versucht.
Wie am Anfang dieses (verdammt lang gewordenen, puh) Postings gesagt: ich habe aus diesem Thread auch schon einiges an Anregungen in der Richtung gezogen. Ich möchte das nur erwähnt haben, damit nicht schon wieder der Eindruck entsteht, ich würde (wie von mehreren Teilnehmern bemängelt) "alles blocken". Ich kann nur leider nicht auf alles so ausführlich eingehen, wie ich gerne würde.
Daher noch mal ausdrücklich vielen, herzlichen Dank für eure Beiträge. Keep 'em coming.