Der Stand der Technologie in Doomstone würde mich in der Tat auch interessieren. Denn was ich bislang mitbekomme hört sich nicht gerade nach "Industrial Western" für mich an. Eher nach Steampunk, Science Fiction oder Weird Science.
Das mag vielleicht ein wenig kleinlich wirken. Aber als Western-Fan existiert für mich bereits das Genre "Industrial Western". Es ist im Endeffekt die Endzeit des Westerns, Automatisierung und Eisenbahn greifen um sich, die Kommunikationswege werden kürzer, der klassische Cowboy beginnt, überflüssiger zu werden. Aufkommende Forensik machen Outlaws zunehmend das Leben schwer. Überfälle werden härter und schwerer, auch blutiger, zurückgeschlagen.
Es gibt bereits einige Filma die das gut aufgreifen - auch mit reichlich viel Action, Blut und Gewalt (diese industriellen Western sind oft sogar die brutalsten im gesamten Western-Genre). "The Wild Bunch" erzählt die Geschichte einer vierköpfigen, älter werdenden Outlaw-Bande, deren Zeit am ablaufen ist. Automatische Pistolen beginnnen Revolver zu ersetzen, Eisenbahnen werden stärker bewacht, sogar Automobile existieren bereits. Trotzdem will die Bande noch einmal in einem letzten großen Aubäumen einen großen Coup landen.
Etws ähnliches wird auch in Red Dead Redemption aufgegriffen; in der Stadt Blackwater hat die Industrialisierung und damit die Zivilisation Fuß gefasst, es existieren Telefone, die aber noch nicht allzu verlässlich sind, sogar ein Kino mit Kurzfilmen existiert. Ein Abgesang eines Outlaws, der eigentlich ein ruhiges Farmerleben möchte, aber gezwungen ist, Jagd auf seine alten Gefährten zu machen.
Auch Sergio Leone greift das Industrielle Motiv in seinen Western gerne auf. In "Todesmelodie" etwa, dass zur Zeit des mexikanischen Bürgerkrieges spielt, spielen nicht nur politische, sondern auch industrielle Revolution eine gewaltige Rolle. Oder nehmen wir ein bekannteres Beispiel: In "Spiel mir das Lied vom Tod" wird unter anderem thematisiert, wie die Ankunft der Eisenbahn (an sich ja schon DAS Symbol des industriellen Zeitalters schlechthin) das Gesicht des Westens grundlegend und nachhaltig verändert.
Man hätte in diesem Szenario sehr schon ein "Industrial Western"-Setting ansiedeln können. Statt dessen aber: Kampfmaschinen und fantastische Erfindungen. Okay, kann ich durchaus verstehen, und ist an und für sich auch eine nette Idee, aber in meinen Augen eben nicht wirklich "Industrial".
Und von allem was ich bislang mitbekomme (auch aus deiner Review, Narr), kommt für mich auch der Western-Aspekt nicht so recht rüber. Ja, es gibt quasi Cowboys und Indianer, und Eisenbahn, und Poker. Aber irgendwie will sich bei mir da nicht so recht ein schönes rundes Western-Feeling einstellen. Wenn ich an Western denke gibt es für mich erst einmal 2-3 Fraktionen: Gesetzeshüter, Outlaws. Die einen Verkörpern den Versuch, Zivilisation und Ordnung in einer ungeordneten Welt aufrecht zu erhalten, die anderen stehen für absolute Freiheit, notfalls mit allen Mitteln. Dann gibt es die großen Rancher und die kleinen Farmer, auch ein klassischer Westernkonflikt. Dann erst kommen eigentlich die Indianer, die allein deswegen schon am unterliegen sind, weil sie meist gegen alle vier Fraktionen kämpfen - der verzweifelte Überlebenskampf von "unzivilisierten Wilden" (aus der Sicht der Weißen), die gewalttätig aus ihrem Land gedrängt wurden und um ihr Recht als auch ihr Überleben kämpfen. Es gibt ganz klar stärkere und schwächere Fraktionen, und im Western fiebert man meist mit dem Helden mit, der in Unterzahl gegen eine Übermacht besteht - Sei es die kleine Bande Outlaws in the Wild Bunch gegen die Übermacht des Gesetzes in der Spätphase des Wilden Westens, oder der einsame Gesetzeshüter, der in "High Noon" in der Hochphase des Wilden Westens gänzlich allein gegen drei Banditen besteht. Statt dessen haben wir hier sechs ... naja, de facto "Konzerne", die mehr oder weniger gleichmächtig sich gegenüber stehen.
Was mir auch aus einem typischen Western-Setting fehlt: Wo sind die kleinen Städte mit vielleicht nur hundert Einwohnern, die von einer Outlaw-Bande ohne irgendwelche Zugehörigkeit in Angst und Schrecken versetzt wird? Die Leblosen Geisterstädte, in denen Flüchtige einen perfekten Unterschlupf finden?
Auch die Stadt "Doomstone" ergibt für mich nicht recht Sinn, weder aus einem Western-Kontext heraus, noch aus der internen Logik der Spielwelt: Eine Westernstadt mit 100.000 Einwohnern? Ist irrsinnig, San Francisco hatte auf dem Höhepunkt des Goldrauschs gerade mal 20.000 und war eine der größten Städte in dieser Hinsicht! Denver, eine Goldgräber-Metropole, hatte 1880 offiziell 35.629 Einwohner (gut, die Zahl sprang bis 1890 auf knapp über 100.000 - aber bereits 1880 hatte Denver keinen Marshall mit Deputies mehrmehr, sondern eine organisierte Polizei). Okay, kann man mit der hochgezüchteten Technologie und den sechs Konzernen wegdichten - aber wer sorgt dann in der Stadt für Recht und Ordnung? Wer hütet das Gesetzt? Wem untersteht der Sherrif? Nur der Stadt selbst? Wenn sich die sechs Fraktionen in diese Stadt mehr oder weniger offen bekämpfen, wie kann er da seine Arbeit verrichten - oder arbeitet er für einen der Konzerne? Wie kann die Stadt in einem Western-Technologie-Setting mit einem so hohen Gewaltfaktor eine solche Größe erreichen und auch noch halten? Und wer will ernsthaft in einer gesetzlosen Stadt leben, in der man ständig Gefahr läuft, das einem irgendwelche Konzern-Kugeln um die Ohren fliegen? Oder bestehen die 100.000 Einwohner ausschließlich aus Leuten, die für eine der sechs Fraktionen arbeiten? Gibt es keine unabhängigen Personen in dieser Welt?
Freiheit, Zivilisation, der harte Kampf ums Überleben und das Recht des Stärkeren... mit Ausnahme von letzterem kann ich bislang nichts davon aus irgendeiner der Doomstone-Rezensionen entnehmen. Bislang ist es Supernatural Steampunk-Fantasy-RPG, auf das jemand den Sticker "Western" geklebt hat, außer ein paar Namen aber kaum etwas aus dem Genre übernimmt.