Guten Tag.
Ausgehend von
dieser Diskussion, soll es heute um „Erfahrungspunkte“ gehen, also Ressourcen, die ein Spieler erhält, um im laufenden Spiel seinen Charakter zu verbessern. Möglicher Weise basiert auch die eigentliche Kreation des Charakters schon auf den selben Punkten. Dies kann günstig sein, um eine Ressourcenstromdoppelung zu vermeiden, wenn ansonsten verschiedene Werte bei ursprünglicher Charaktererschaffung und Weiterentwicklung während des Spiels unterschiedlich teuer wären.
Die Idee ist nun also, dass der Spieler eine Ressource bekommt, mit der sein Charakter besser wird und/oder neue Fähigkeiten erhält.
Nun gibt es einige Spiele, in denen Erfahrungspunkte genau das sind. Die Spieler erhalten sie regelmäßig, um ihrem Charakter neue Dinge hinzuzufügen. Nicht mehr, nicht weniger. Üblicher Weise erhalten die Spieler alle zum gleichen Zeitpunkt ein Level-Up. Ein Beispiel hierfür ist etwa Blue Rose, aber auch bei D&D4 lassen sich Ansätze hierzu herauslesen.
Häufig jedoch wird der Ausbau des Charakters mit anderen Zielen verbunden. Der Spieler erhält seine Ausbaupunkte nicht uneingeschränkt, sondern erst, wenn gewisse Auflagen erfüllt sind. Die Erfahrungspunkte werden so zu einem Belohnungsmechanismus für den Spieler.
Ich liste zunächst einmal ein paar Dinge, die mit Charakterverbesserungspunkten belohnt werden. Danach folgen einige allgemeine Beobachtungen.
1.a.) Als Anwesenheitsbelohnung. Wer kommt, kriegt welche.
(z.B. WoD)
1.b.) Für das Überleben des Charakters.
(z.B. SR)
2.a.) Wenn der Charakter eine neue Erfahrung macht, etwas Neues sieht.
(z.B. Mage: Awakening, Arcane Codex)
2.b.) Als Ergebnis spielweltinternen Trainings und im gleichen Zug als Verzicht auf andere Vorteile, die Zeit erfordern.
(z.B. Ars Magica)
2.c.) Wenn im Spiel viel Zeit zwischen Abenteuern vergeht.
(z.B. Vampire)
2.d.) Als Effekt gewisser anderer Spielwerte, welche für einen Lernzuwachs als günstig empfunden werden.
(z.B. AD&D, Mage: The Ascension)
3.a.) Als in den Regeln verankerte Erfolgsbelohnung: Wenn das Monster besiegt/umgangen/ausgetrickst ist.
(z.B. D&D)
3.b.) Als in den Regeln verankerte Erfolgsbelohnung: Wenn man Schätze einsackt
(z.B. ältere D&D-Versionen, Retro-Klone)
3.c.) Als vom Spielleiter angewandte Erfolgsbelohnung: Wenn die Missionsziele erreicht sind... - Dazu muss der Spielleiter festlegen, was eigentlich die Mission ist.
(z.B. WoD, D&D4, SR)
4.a.) Für charaktergerechtes Rollenspiel.
(z.B. WoD)
4.b.) Für das Ausspielen bzw. Akzeptieren vorab definierter Nachteile.
(z.B. nWoD, TSoY)
4.c.) Als Belohnung für die Gruppe, wenn sich alle gegenseitig hinreichend für gute Beiträge gewürdigt haben.
(z.B. Old School Hack)
5.a.) Als Würdigung, wenn der Spieler ein Rundentagebuch verfasst.
5.b.) Als Würdigung, wenn der Spieler pünktlich zum Spiel erscheint, für die Verpflegung mit Essen und Getränken sorgt und anderweitig das Drumherum angenehm gestaltet.
Ich habe mir erlaubt, die Elemente bereits vorzusortieren.
Wenn noch etwas fehlt, trage ich gerne nach. Erkennbar werden verschiedene Absichten.
1.) Es soll eine gewisse Grundversorgung gesetzt werden, die nur in Ausnahmefällen ausfällt. Dies soll eine gewisse Stetigkeit der Charakterverbesserung sicherstellen. Diese Zielsetzung wird auch deutlich, wenn etwa die Charaktere abwesender Spieler einen gewissen Teil der XP dennoch erhalten, welche die wirklichen Teilnehmer erhalten haben.
2.) Als Anlass für die Vergabe der Charakterverbesserungspunkte werden tatsächlich Situationen genommen, in denen dem Charakter Erfahrungen zugeschrieben werden können. Angesichts der typischen Bezeichnung „Erfahrungspunkt“ ist diese Variante relativ selten.
3.) Es werden gewisse Zielsetzungen definiert, für deren Erreichung der Spieler belohnt wird. Diese Belohnung kann mehr oder weniger Abwägen beinhalten. Während die XP für das Erschlagen von Monstern gleichsam vom „System“ vergeben werden, ist etwa bei der missionsbasierten Belohnung (3.c) ein missionsgebender Teilnehmer – typischer Weise SL genannt – erforderlich.
4.) Es soll eine gewisse Ästhetik der Fiktion gefördert und sicher gestellt werden.
5.) Es werden gewisse Tätigkeiten belohnt, die zwar nicht eigentlicher Teil des Spielens sind, denen aber positive Wirkung für das Spiel zugesprochen wird. In diese Kategorie könnte man auch Regelungen rechnen, wenn etwa ein Spieler die Anwesenheitsbelohnung auch bei Abwesenheit erhält, sofern er rechtzeitig abgesagt hat.
Erfahrungspunkte im Vergleich zu anderen BelohnungenDie aufgeführten Unterpunkte 3 bis 5 bieten eine Reihe von Belohnungsanlässen. Gewisse Verhaltensweisen sollen gefördert werden und hierfür die Belohnung besteht nicht allein sozialer Würdigung in der Gruppe, sondern in einem Spielwert, der dem Besitzer Vorteile verschafft.
Dass allerdings, diese Belohnungsanlässe in Erfahrungspunkten resultieren müssen, ist nicht zwingend. Mithin sind mindestens zwei andere Spielwerte gängig, die sich ebenfalls anbieten: Gummipunkte und Geld. (Mitunter bieten Spiele auch die Möglichkeit diese drei Arten von Ressourcen gegeneinander auszutauschen, so dass eine klare Trennung nicht immer möglich ist.)
Als Gummipunkte werden üblicher Weise Vorräte bezeichnet, die der Besitzer ausgeben, um im Spiel kurzfristige Effekte zu erzielen, etwa einen Wurf zu wiederholen, gewisse Fakten in der Fiktion zu erschaffen usw.
Geld und Besitz wird dagegen in vielen Spielen als alternative Art von Charakterverbesserungspunkten benutzt. Das magische Schwert und der Reflexbooster unterscheiden sich im Grunde wenig von einer „gelernten“ Fähigkeitsverbesserung.
Es stellt sich also generell die Frage, warum etwa ästhetische Belohnungen sich in Erfahrungspunkten niederschlagen sollen. Sie könnten ebenso gut in Geldpunkten oder Gummipunkten resultieren. (Dazu gleich mehr.) Aber auch jede andere Kombination wäre im Grunde denkbar.
Ich werde nun versuchen einige Diskussionen zusammenzufassen, welche die Vor- bzw. Nachteile verschiedener Belohnungsstrategien angehen.
Ästhetische Belohnungen und FanpostDie Belohnung von ästhetischen Belohnungen durch Charakterverbesserungspunkte kommt zunehmend außer Übung und wird statt dessen durch Belohnung mit Gummipunkten ersetzt. Hierfür werden vor allem die folgenden Argumente angeführt.
i) Eine ungleiche Verteilung von Charakterverbesserunspunkten kann zu einem langfristigen Auseinanderdriften der Spielmöglichkeiten der Teilnehmer führen. Dies kann zu Frustration bei Spielern führen, bei denen man Förderungsbedarf annehmen würde.
ii) Auch gute Spieler haben mitunter einen schlechten Tag.
iii) Ein Gummipunkt kann zeitnah ausgeteilt und eingesetzt werden. Dies verkürzt die Assoziation zwischen gewünschtem Verhalten und positiver Verstärkung.
iv) Fehler bei der Vergabe fallen weniger ins Gewicht. Wird also ein Teilnehmer fälschlich belohnt oder fälschlich nicht belohnt, ist der Effekt schnell behoben, sobald der Gummipunkt verbraucht ist.
Wird die ästhetische Belohnung in Gummipunkten nicht nur von einem gesonderten Spielleiter durchgeführt, sondern von allen Teilnehmern gleichermaßen (bzw. eventuell allen Teilnehmern
außer einem gesonderten Spielleiter) spricht man Fanpost.
Als neuste Variante hat das Spiel „Old School Hack“ eine Variante angeboten, dass eine Charakterverbesserung zeitgleich für die ganze Gruppe vorsieht, sobald jeder Spieler zwölf mal Fanpost erhalten und ausgegeben hat (4.c). Dies dient als Belohnungsinstrument für eine gleichmäßige Spotlight-Verteilung. Damit man demnach selbst weiter kommt, muss man die Mitspieler in Situationen bringen, in denen sie sich Fanpost verdienen können. Ob sich dieser Effekt durchsetzt muss sich noch zeigen.
Monster-XP vs. Schatz-XPDiese Diskussion erfreut sich in jüngerer Zeit in Kreisen der Old-School-Spieler breiterer Aufmerksamkeit. Während die XP für gesammelte Schätze in älteren Editionen einen Großteil des XP-Kontigents ausmachten, entfielen sie in späterer Versionen.
Anhänger der Old-School-Bewegung kritisieren die Fokussierung auf Monster-XP, da so möglicher Weise das als stumpf empfundene Erschlagen von Monstern gefördert werde, statt das Umgehen derselben. Wenn man nämlich nur an den Schatz kommen möchte, genügt es sich am Monster vorbeizuschleichen oder zu warten, bis es etwa auf die Jagd geht und dann seinen Hort auszuräumen.
Ansätze zur missionsbasierten Belohnung (3.c)Zunächst, der folgende Abschnitt basiert auf meinen eigenen Beobachtungen. Ich konnte noch keine weitergreifende Diskussion dieser Zusammenhänge ausfindig machen.
Die missionbasierte Belohnung durch einen missionsgebenden Teilnehmer wird erst sinnvoll, wenn es verschiedene Ausgänge gibt. Ein einzelnes abgeschlossenes Abenteuer etwa, das auf ziemlich festen Wegen zu einem Showdown führt, der dann entweder gewonnen oder verloren wird, ist mit dem XP für Monster erschlagen viel besser oder einfach mit voraussetzungloser Verbesserung der Charaktere.
Missionsbasierte Belohnung erfordert entweder innerhalb eines Abenteuers verschiedene Missionsziele oder gleich verschiedene Abenteuer. Sie wird z.B. bei D&D4 empfohlen. Da gibt es dann meist mehrere kleine Sidequests, welche die Spieler bearbeiten können oder nicht. Die Missionen werden vorher klar kommuniziert (empfohlen sind auszuteilende Karteikärtchen) und dienen so als Anreiz an bestimmte Orte an der Spielwelt zu gehen. Häufig wird so das Hauptquest getriggert.
Eine andere sinnvolle Variante wurde mir aus einigen Shadowrun-Runden berichtet. Die Runden hatten den Namen des Spiels für Charakterverbesserungspunkte, nämlich "Gutes Karma", wohl wörtlich genommen und ihn nur für gute Taten verteilt. Damit entstanden dann Entscheidungssituationen. Entweder man macht die gut bezahlten Jobs oder arbeitet pro bono und damit gutes Karma. Im Endeffekt hat man so die Wahl zwischen zwei Arten von Charakterverbesserungspunkten, denn Geld und EP gehören wohl streng genommen beide in diese Kategorie. (Problem bei SR natürlich, dass einige Charaktere die eine Art und andere eher die andere Art brauchen.)
Beide Varianten enthalten also eine gewisse Vorhersehbarkeit für die Missionsnehmer. Dies ist wichtig, da die Belohnungsstrategie sonst beliebig erscheint. Hierin liegt meines Erachtens begründet, dass die Methode, obwohl sie von diversen Spielen empfohlen wird, vielfach nicht genutzt wird.
Themen für weitere Betrachtungen könnten die Unterschiede zwischen Verbesserung bestehender Werte und Diversifizierung der Fähigkeiten sein, sowie die Übertragung von Charakterverbesserungen zwischen Charakteren oder auf neue Charaktere.