Die Ereignischronologie soll genau dafür sorgen. Jede beliebige Idee in jedem beliebigen Setting wird durch die spezielle Chronologie zu einer klassischen Heldengeschichte. Die Chronologie ist die Hauptregel dieses Spiels. Wenn diese Regel gebrochen wird, bricht die Spielidee in sich zusammen. Dann kommt irgendetwas raus, aber sicher keine Heldenreise.
Das ist allerdings eines der Probleme - diese Regel ist ein Exoskelett, das mit Fleisch gefüllt werden soll, ich glaube aber, funktionaler zum Spiel ist ein Endoskelett, auf das Fleisch drauf kommt. Ergibt das irgendeinen Sinn? Wenn du zum Beispiel schreibst: "eine Zusatzregel, dass auf Logik verzichtet werden soll", ist das rein präskriptiv. Besser wären Regeln, die von allein dazu führen, dass die Logik der kausalen Folgerichtigkeit von Ereignissen zugunsten einer Logik der narrativen Folgerichtigkeit von Ereignissen außer Kraft gesetzt wird.
Nachtrag: Die Chronologie ist die Umsetzung der "tieferen" Ebene, von der du sprichst. Die tiefere Ebene ist die Analyse des Heldenmythos, nachzulesen bei Norbert Bischof. Die Analyse erklärt den Heldenepos und die psychologischen Hintergründe. Aber mit der Analyse in der Hand schreibt es sich schwer, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Eine Analyse ist eben keine Handlungsanweisung. Die Übersetzung von Analyse zu Handlungsanweisung habe ich versucht zu schaffen. Der Thread hier beinhaltet eine Handlungsanweisung, mit der man der tieferen Ebene des Heldenmythos gerecht wird ohne sie kennen zu müssen. Aber der Feinschliff fehlt zweifellos noch.
Das stimmt so nicht ganz, eine Beschreibung des Heldenmythos ist zwar insofern eine Analyse, als das von bestehenden Geschichten auf eine gemeinsame Struktur hin abstrahiert wird. Aber was du (ziemlich gelungen) lieferst, ist dann ja erst einmal eine Beschreibung dieser gemeinsamen Struktur, d.h. du verdinglichst das, was erst einmal nur eine Theorie ist, zu etwas Faktischem. Was auch ein notwendiger (wenn auch wissenschaftlich etwas fragwürdiger, aber darum geht es hier ja gar nicht) Schritt ist. Aber ich glaube, für Spielregeln darf man da nicht stehenbleiben, denn das, was du vorschlägst, bleibt dann ja erst einmal noch die präskriptive Aufforderung, dieses Modell wieder mit einer neuen Geschichte zu füllen, die dem äußerlichen Regelgerüst des Heldenmythos folgt.
Die Spielerfahrung dabei dürfte dann aber nicht eine der Geschichtenschöpfung, sondern eher eine der Einengung sein. Das ist nicht gut, finde ich.
Da man die unterstellten tieferliegenden Strukturen des Heldenmythos (so es sie denn tatsächlich gibt, ich halte da ja nichts von) wenn überhaupt dann nur mit Mitteln der Gehirnforschung weiter entschlüsseln könnte, muss man für ein Spiel sozusagen eine Alternative Tiefenstruktur schaffen. D.h. man muss sich Regeln überlegen, die nicht etwa einfach aus der deskriptiven Beschreibung des Heldenmythos ein präskriptives Schema ableiten, dass es zu füllen gibt, sondern welche, die die Struktur des Heldenmythos selbst generieren.
Ein bisschen ist es wie in der Linguistik: Die ist als Wissenschaft erst einmal deskriptiv, d.h. man beschreibt, wie Sprache ist und funktioniert. Es gibt die analytische Ebene, die fragt, warum sie so ist, und es gibt die präkriptive Ebene der Schulgrammatik, die sich aus der deskriptiven herleitet, d.h. die sagt: "Das und das wird von der Mehrzahl (oder den die Deutungshoheit innehabenden) Sprechern als 'richtige' Sprachregel empfunden und verwendet, deshalb sollt ihr so schreiben/sprechen und nicht anders." Ähnliches machst du mit dem Heldenmythos: Er wird beschrieben und aus der Beschreibung wird dann die Vorschrift einer entsprechenden Umsetzung.
Was es aber bräuchte, wäre ein System, das Sprache "generiert". Die Schulgrammatik ist dem eigentlichen Spracherwerb ja äußerlich, sie ist nur ein korrektiv und eine Systematisierung von Inhalten. Sprache lernt man nicht, indem man äußerliche Regeln lernt und befolgt, sondern indem man (ebenfalls regelhafte) Strukturen aufbaut.
Eine solche, nur viel einfachere Struktur müsste ein Regelwerk sein. Das leisten m.E. auch die von mir genannten Indie-Spiele. Fiasco z.B. schreibt zwar in den Regeln, um was für eine Art von Geschichte es gehen soll, aber es steht nirgends: "Achten sie darauf, dass in jeder zweiten Szene so richtig was schiefgeht und dass auf der Hälfte eine krasse Wendung kommt". Die Regeln selber tragen dafür Sorge, dass es tendenziell so läuft. Natürlich müssen die Spieler wissen, was sie tun und was für eine Geschichte sie damit erzeugen wollen, aber die Regeln fungieren hier als eine Tiefenstruktur, die einen entsprechenden Verlauf "wie von selbst" anstößt und begünstigt, ohne die Spieler in jeder Szene daran erinnern zu müssen, welchen Teil des Schemas sie jetzt gerade auszufüllen haben.
EDIT: Ich will dir natürlich nicht vorschreiben, wie so etwas auszusehen hat, sondern nur darlegen, in welcher Form mich so ein Spiel wirklich reizen würde. Man kann das vielleicht auch über ein "Endoskellett" aufziehen, ich glaube allerdings, mir persönlich würde es keinen Spaß machen, so was zu spielen.