Folgendes Problem:
Wir spielen schon sehr lange eine „klassische“ Fantasy-Kampagne. D.h. es gibt einen großen Hintergrundplot, den es zu erkennen gilt. Dabei läuft es in Sachen Rollenspiel manchmal super IC, manchmal weniger. Meine Spieler haben mir außerdem mal gesagt dass sie Angst vor Konsequenzen haben, wenn sie zu sehr aus Charaktersicht entscheiden.
Bei unserer Kampagne kann man drei verschiedene Bereiche unterscheiden, die alle mehr oder weniger vorhanden sein müssen, damit die Session Spaß macht:
(ist natürlich alles nicht 100 % trennscharf, verdeutlicht aber ganz gut das Problem)
1. Charakterspiel Das ist für mich das eigentliche „Rollenspiel“, also das Darstellen eines Charakters. Nicht nur „Schauspielerei“ sondern auch möglichst starke Immersion, so dass man richtig „im Charakter“ ist. In die Richtung gehen persönliches Drama und Dilemmata, die ihm so widerfahren.
Charakterspiel wäre etwa, wenn alle Charaktere zusammen im Wirtshaus sitzen, der SL sich überhaupt nicht einmischt und die ganze Session über in-character in der Gruppe geredet/agiert wird.
2. Abenteuer Das ist die Herausforderung für jeden SL: ein spannendes und für die Spieler forderndes Szenario in dem die Spieler etwas Cooles erleben/erspielen und gut unterhalten werden.
Klassisch wäre das ein Kaufabenteuer, in dem nicht groß Charakterspiel im Mittelpunkt steht und das auch überhaupt nichts mit der Kampagne zu tun haben muss, aber trotzdem absolut mitreißend sein kann.
3. Plotverfolgung (auf Kampagnenebene) Das sind Informationen, die den allgemeinen Handlungsbogen der Kampagne ausmachen und die einzelnen Sessions in einen Zusammen¬hang bringen. Aktionen sind also nur insoweit wichtig, als sie Auswirkungen auf den weiteren Kampagnenverlauf haben. Sei es weil dadurch die Story selbst anders verläuft oder weil sich die Möglichkeiten der SCs, an Informationen zu kommen, ändert. („Freunde und Feinde“)
Das sind konkret zwei Elemente: zum einen werden neue Informationen offengelegt/erfahren. Zum anderen werden durch diese dann Plot-Zusammenhänge klar oder man kann zumindest neue Theorien zur Erklärung aufstellen.
So, das ist an und für sich noch nichts bahnbrechend Neues. Was ich allerdings vermute:
Die einzelnen Teile behindern sich gegenseitig!Je mehr man einen der Bereiche „verstärkt“, desto mehr widerspricht das den anderen beiden und umgekehrt. Es ist nicht nur weniger Zeit für die anderen vorhanden, sondern die Ziele blockieren sich tatsächlich gegenseitig.
CS behindert AB Hierunter fall auch die berühmten „Taschenlampenfallenlasser“, die bewusst Fehler begehen, weil es gut zum Charakter passt. Dadurch wird die Gruppe ineffizient im Hinblick auf das „Abenteuerziel“. Z.B. der edle Recke (nein, nicht du Rod
) lässt einen Gegner leben, obwohl klar ist, dass er den Feind warnt. Zusätzlich ist das CS ein Riesen-Zeitfresser. („Einkaufsorgien“)
CS behindert PVWiederum Zeitfresser. Außerdem das Problem „das passt überhaupt nicht zu meinem Charakter“. Z.B. wieso sollte ein Waldläufer hinter irgendwelchen kryptischen Fragmenten in überfüllten Städten her rennen? Also muss man hier manchmal beide Augen zudrücken, damit man weiterkommt.
AB behindert CSz.B. das Lösen von Rätseln und jede Art von taktischen Überlegungen und Planungen. Das wird am effektivsten auf Spielerebene diskutiert und gelöst. (z.B. der tumbe Barbar dürfte keine Lösungen haben) Genau das verlagert das Spiel aber auf die Meta-Ebene und reißt aus der Immersion.
AB behindert PVVerwässerung des Plots und Information-Overflow: vor lauter Details in den autarken Szenarien geht der große Überblick verloren und man kann sich nicht mehr an die wichtigen Dinge erinnern, bzw. erkennt sie gar nicht als solche. Falsche Fährten entstehen und führen u.U. in die völlig falsche Richtung (z.B. „das Wesen in Vallheim hatte sicher etwas mit den gefallenen Engeln zu tun, wir müssen uns also auf die Suche nach den Hintergründen machen..“).
PV behindert CS Überlegungen und Diskussion auf der Metaebene bringen einen aus dem Charakter raus. Aber manche Sachen müssen einfach wiederum OOC besprochen werden, weil der Charakter gar nicht den Über-/Einblick haben kann wie der Spieler. Manche Sachen müssen einfach gemacht werden, auch wenn der Charakter an sich das wahrscheinlich nie tun würde.
PV behindert ABDamit der Plot vorwärtskommt ist manchmal starkes Railroading nötig. Manche Sachen sind auch etwas unlogisch oder an den Haaren herbeigezogen. Z.B. die „Tagebuchschreiber-NSCs“ oder die Bösewichte, die im Sterben noch kurz den großen Plan verraten.
Hat jemand bis hierhin gelesen?
Schlussfolgerung:
Vielleicht bringt es was, wenn man versucht diese Bereiche klar voneinander zu trennen so dass sie sich nicht gegenseitig beeinflussen?
Ideen:
• Man könnte z.B. dezidiert eine ganze Session immer unter ein bestimmtes Motto („heute Plot“) stellen oder auch nur einzelne Szenen in der Session („ab jetzt IC“)
• Eine Session bewusst nur IC reden
• Szenen für „safe“ erklären, so dass Charakterspiel ohne Konsequenzen für Plot/Abenteuer möglich ist, wenn man sich „ineffektiv“ verhält. (z.B. jetzt ist Charakter-Zeit, keine Angst vor Folgen…)
• Irgendein Gadget bei Meta-Gaming hochheben, nur so darf OOC gesprochen werden (sensibilisieren)
• Anfang der Session eine bestimmte Zeit in-character (Wirtshausrunde) reden
• …
Das hier soll kein erhellender Diskussionsbeitrag zur Rollenspieltheorie sein, sondern mich interessiert ob ihr das auch schon so erlebt habt und was eure Erfahrungen sind. Bzw. natürlich wie ihr damit umgeht und ob ihr Tipps für mich habt…