Als ich kürzlich im Rollenspielladen den AB 152 sah und gelesen habe. dass da ein Abenteuer von einem Sandkastenkumpel vom alten Gary drin ist (Moritz Mehlem), habe ich ihn mir ausnahmsweise gekauft.
Das Abenteuer ist nun nicht mehr oder weniger, als es ist. Nicht sonderlich gut geschrieben, bei der Lektüre nicht sonderlich erhebend oder erschütternd, aber mit einem ungeheuren Fokus auf den Spieltisch hin konzipiert. Spaß machen tut das nicht beim Lesen, sondern beim Spielen (würde ich jetzt mal aufgrund von Erfahrungswerten sagen). Das ist eine feine Sache, zumal das Ding gedruckt kaum Raum einnimmt, aber dennoch fast alles liefert, was man zum fröhlichen Zocken braucht, als da wären: Werte, Karten, Beschreibungen, Zufallstabellen.
Nun wurde das Abenteuer auch von den Leuten bei Nandurion zerpflückt, und zwar
hier (bis "Die Steine von Se'rak" runterscrollen). Und das bringt mich mal wieder zum Nachdenken über eine DSA ganz eigene Geisteshaltung. Die eingefleischten Aventurienexperten machen sich über Zufallstabellen lustig und kritisieren an dem Abenteuer mangelnde Einbettung in den Hintergrund. Sowohl das im Abenteuer auftretende mysteriöse Phänomen sei ungenügend erklärt, als auch die Lösung oder Entsorgung des Problems zu banal.
Das erinnert mich ganz stark an meinen Kumpel, der WFRP3rd als durch und durch amerikanisch identifiziert hat, weil es mit so vielen knalligen Bildern daherkommt, während das DSA-Werk ein ungeheuer gedankendurchdrungenes Schrifttum für ein Volk von Dichtern und Denkern aufweise. Ja, in Momenten weltenthobenen Delirierens erkenne auch ich sie, die ungebrochene Linie von Fichte über Habermas zu Handelsherr und Kiepenkerl!
Ich sehe darin ein für meinen Geschmack entscheidendes Problem. Denn die Einbettungs- und Erklärungswut bei DSA (da darf sich nicht einfach mal -- wie bei Moritz' Abenteuer -- aufgrund des "Erwachens" ein Tor zu einer Dämonensphäre öffnen (denn obwohl das "Erwachen" Teil des "lebendigen Aventuriens" ist und mit all den Metaplotgewichten ins Rennen geführt wird, kann es als Erklärung natürlich nicht alleine dastehen; den DSA-Gourmet verlangt es nach Lore!)) -- diese Wut also führt zu hintergründigen Textmarathons, die mir -- wie ich schon oft geschrieben habe -- sehr häufig die Lektüre von DSA-Abenteuern verleiden.
Ich habe sowohl als Spieler in der Simyala-Kampagne als auch als "Meister" der G7 aber häufig die Erfahrung gemacht, dass diese Erklärungen und Äonen zurückreichenden Hintergründe für das Spiel zu mindestens 80% irrelevant sind. Aus zwei Gründen: Zum einen, weil die meisten Ereignisse, die mit großer Einbettung und Bedeutung aufgeladen waren, im Grunde vor allem für NSCs bestimmt waren und die SCs dabei nur zugucken und staunen sollten. Oder weil das "Hintergrundwissen" oft in am Spieltisch schwer umzusetzendem Sightseeing vermittelt wird (der ganze Hochelfenkram in den diversen Kampagnen, die "Äonenlehre" anhand der Architektur des Konzils der Elemente und dergleichen). Zum zweiten, und das hängt oft mit dem Ersten zusammen, weil ein großer Teil der Spieler den langweiligen Theoriekram sowieso nicht braucht. Es mag ausnahmsweise zwischendurch einen Spielertypen geben, der seinen Magier oder Gelehrten einen Abend lang von Bibliothek zu Bibliothek schickt und die Hintergrundrecherche voll ausspielt, aber meistens sind für das Spiel doch die Fragen viel interessanter: Wo müssen wir hingehen? Was müssen wir besorgen? Wen müssen wir totschlagen?
Von daher ist es in furchtbar vielen Fällen relativ egal, wieso sich eine Pforte ins Dämonenreich öffnet. Die drei (oder mehr) Seiten ausführlicher Hintergrund, die man bei DSA auch bei Kurzabenteuer häufig über sich ergehen lassen muss, haben im Grunde doch oft nur die Funktion, dem Selbstverständnis der DSA-Gemeinde -- allesamt Leute, die sich mit philosophisch durchdrungener deutscher Wertarbeit befassen -- zu schmeicheln.
Und was mich richtig nervt: Viele der textreich in das "lebendige Aventurien" eingebundenen Abenteuer, allen voran eine große Zahl der einzelnen Episoden der großen Kampagnen, sind, wenn man sie auf die Grundstruktur herunterbricht, genauso banal wie die meisten Oldschoolszenarien (sie machen höchstens weniger Spaß): Die Helden werden von hier nach da geschickt, um Infos, Artefakte oder Entführte zu beschaffen, womit wiederum Katastrophe xy verhindert werden kann.
Die Dinge oder Personen, die es in diesen Abenteuerepisoden zu erlangen gilt, sind dann oft freilich ausgefallen, wie zum Beispiel ein Götterkind aus Grangor oder so. Aber ist das Einbettung in den aventurischen Hintergrund? Mir ging es lange Jahre bei der Lektüre von Quellenbüchern und Abenteuern so, dass ich immer dachte: Aha, vom Hintergrund her geht das ja eigentlich nicht (die Regeln sehen es nicht vor, es wurde nigends zuvor erwähnt), aber der Abenteuerautor darf das jetzt einfach aus dem Hut zaubern, Hauptsache, er schreibt einen kleinen Roman an Hintergrund dazu.
Im offiziellen Aventurien gab es zum Beispiel keinen Himmelsturm, keine Schwarzalben, keine Hochelfen (oder doch?), keine Pardona, keine Sargassosee oder wie das Ding heißt, keine Inseln im Nebel und all den Kram. Was in der Drachenhals-Kampagne veranstaltet wurde, ist keine Einbettung, sondern Aufpfropfung, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Und das wurde bei zahlreichen Abenteuern und Kampagnen wiederholt. Das geht immer, jederzeit, auch wenn Aventurien dadurch immer inkonstistenter wird. Was aber nicht geht, dass man dem Abenteuer zuliebe mal irgendwo ein Dämonentor aufmacht, ohne nicht wenigstens eine Seite Vorgeschichte und Hintergrund und möglichst noch ein paar passende Atmobits dazu zu dichten. Das finde ich sehr interessant. Und natürlich auch schade. Und unheimlich pseudo. Aberr das liegt wahrscheinlich daran, dass ich keinen Fichte gelesen habe.