Das führt nebenbei zu einer Zwischenfrage:
Haben "wir" CoC geschrottet indem wir immer wieder und wieder die gleichen Fehler wiederholen ohne davon zu lernen? Liegt das problem bei Spielerhandbuch oder nicht viel mehr beim Spielleiterhandbuch?
Das ist denke ich nicht pauschal zu beantworten – und natürlich insofern eine Suggestivfrage, als dass du den Zustand des Geschrottetseins ja quasi unterstellst. Das würde ich nicht pauschal unterschreiben.
Grundsätzlich halte ich das Spielerhandbuch für das weitaus robustere Buch. Meinen Groll zu den veralteten Regeln muss ich ja nicht noch mal wiederholen, aber davon ab finde ich das Buch echt gut. Es ist günstig, es ist (mehr oder weniger) alles drin, was ich brauche und es ermöglicht mir, etwa auch mit einem ungeheuer schlanken und dabei schönen Buch Runden zu leiten, ohne zu oft etwas nicht zur Hand zu haben. Immer natürlich vorausgesetzt, man ist überhaupt willens, Regeln nachzuschlagen – wofür ich durchaus zu haben bin.
Vor allem aber empfinde ich das Spielerhandbuch mehr oder weniger als Spielneutral.
Das ist beim SL-Buch halt nicht die Regel. Das Buch zeichnet sich für mich eigentlich durch drei Störfaktoren aus: die SL-Kapitel, Ballast und die Abenteuer. Der SL-Ratgeber ist ja durchaus nicht verkehrt geschrieben, aber ich finde halt sehr indoktrinierend und, vor allem, blind auf beiden Augen für die Variantenreichheit die das Spiel inhaltlich wie formal bedienen
könnte, es aber halt so bestenfalls implizit tut. Ist aber natürlich Geschmackssache.
Unter Ballast verstehe ich Sachen wie beispielsweise die Zauberliste. Ist ja irgendwie schön, dass da so viele drin sind, aber 60 Seiten Zauber, von denen ich im Spiel dann letztlich vielleicht einen pro Abenteuer brauche, viele aber vermutlich niemals auch nur zu Verwenden in Erwägung ziehen werde – "Fische locken" wird ja auch von den Ami-Neudesignern nicht ohne Grund als explizites Beispiel genannt.
Und was die Abenteuer betrifft – es ist ja nett die zu haben, aber während ein SL-Handbuch für mich eigentlich das Potential einer universellen Werkzeugkiste haben sollte, sind es dann letztlich 100 Seiten mit in der gleichen Gruppe maximal ein Mal verwendbarer Inhalte. Mal davon ab, dass ich schon immer irgendwie irritiert davon war, nach welchen Kriterien ausgesucht wurde, welche es nun in das Buch schaffen und welche nicht – noch immer trauere ich meinem "Der Spuk" hinterher, ein Abenteuer, das in Amerika sogar in den Schnellstartregeln beiliegt und in Deutschland seit der '99er-Ausgabe ersatzlos getilgt wurde und mit dem ich mehr Leute zum Spiel angefixt habe als mit irgendeinem sonst, frage mich aber andererseits noch immer, wer eigentlich das überspezialisierte "Blues für Marnie" wohl immer wieder verteidigt.
Nun ja.
Aber all das gesagt habend, glaube ich eigentlich sogar, dass keines der beiden Bücher dafür verantwortlich ist, wie das deutsche CoC derzeit so daherkommt – vielmehr ist das eine seit mehr als zehn Jahren wippende Wechselwirkung aus Inhalten und den Leuten, die eben jene Inhalte anlocken: Manchmal habe ich das Gefühl, viele Cthulhu-Fans sind so etwas wie die Reenactor-Szene unter den Pen&Paper-Liebhabern.
Das ist alles sprachlich gut geschrieben und mit Liebe recherchiert, aber oftmals fehlt mir einfach das Spiel darin. Und damit meine ich jetzt nicht mal irgendwie tolle Regelmechanismen, aber jedwedes Gefühl von Abenteuer. Derzeit lese ich das "Deutschland"-Buch zwecks Rezension; nun basiert das ja inhaltlich auf einer auch schon alten Box, aber das hab ich halt u.a. akut vor mir. Und irgendwie ist es ja auch ulkig anderthalb Seiten über die FKK-Ideologie in den 20ern zu haben, aber … wo ist mein Mythos? Wo ist das Abenteuer? Wie kommt das in mein Spiel?
Ich kann ja letztlich auch immer nur sozusagen mit meinem Geschmack abgleichen, aber bei allem, was ich für CW und CR geschrieben habe und mehr noch sogar bei allem, was kommt, ging es mir eigentlich immer darum, dem Spielleiter ein bisschen was an die Hand zu geben, um coole Szenarien in einem Setting zu spielen, das verzweifelte Charaktere an den Punkt bringt, an dem die Realität aus den Fugen gerät und sie sich kosmischen Schrecken gegenübersehen (können), die ihr Verstand sich weigert zu verstehen.
Ich fand es aber eigentlich nie so wichtig, dass das ganze dabei alles 100% historisch korrekt ist. Gut recherchiert immer, auch möglichst nie in Konflikt mit der Faktenlage … aber … halt nie so als Primärfokus.
Wenn ich mein Spielerhandbuch aufschlage, steht da auf Seite 3 unten "Rollenspiel in der Welt des Howard Phillips Lovecraft".
Da steht nicht "Rollenspiel in den 1920en" (oder "Rollenspiel im Mittelalter", etc.) oder so etwas.
Das sollte man halt an sich nie aus den Augen verlieren.
Viele Grüße,
Thomas