Da du diesem Thema einen Sonderthread widmest mag ich dir gerne im Detail antworten.
Für mich stellt sich zuallererst die Frage, was ein ein Kampfsystem in einem Spiel eigentlich bezwecken will.
Meine Vision, und ich glaube, die Ideen der allermeisten Spieler gehen auch in diese Richtung -dass ist keine elitäre Feststellung und ich reklamiere auch keine spezielle Einsicht, ganz im Gegenteil- , ist ein Konstrukt welches ich
"heroischen Hyperrealismus" [im folgenden 'HHR'] nenne.
Im Grunde ist es eine Art kleinster gemeinsamer Nenner aus allen möglichen Werken der Popkultur, Bücher, Filme, Comics, Mangas, eines kulturellen Milieus - ich denke also schon, dass beispielsweise ein indischer oder japanischer RPGler eine andere Auffassung davon haben mag, sehe aber ab, es "HHR westlicher Prägung" oder so zu nennen.
Realismus steht sehr weit hinten an, ein paar Gründe seien gennant:
a) der wichtigste und allseits bekannteste Punkt; Realismus ist stets von Detailfülle geprägt, da alle "wirklichen" Faktoren irgendwie eine Rolle spielen müssen.
Egal, welche Einstellung man zum Regelkorsett eines Spieles pflegt, viele Regeln sind eigentlich nie eine Tugend.
b) Realismus ist schwierig zu durchdringen, extrem kontext- und kulturabhängig.
Was zB bedeutet, dass man gewisse Zeit braucht, um zu kapieren, wie der Hase auf einem Schlachtfeld des 13ten JH liefe. Man müsste die Materie pauken, selber am eigenen Leib erfahren, so weit es eben geht.
Talhoffer und Delbrück lesen, in Rüstung und auf Wettkämpfen fechten usw.
So ein Investment ist klarerweise nicht für jedermann.
c) Ein Schlachtfeld des 13 JH hat blöderweise nur noch wenig mit denen des 16 JH zu tun.
So sehr man sich also bemüht, einem Realismus zu huldigen, man durchdringt ihn also bestenfalls nur abschnittsweise.
d) Glücklicherweise sind viele RPGler oft Geschichtefans, betreiben historisches Fechten etc und könnten sich durchaus auf eine bestimmte Periode einigen.
Hebt das Punkt b+c womöglich auf?
Nein, längst nicht immer, denn selbst eine Gruppe mit solch passionierten Fans kommt schwerlich auf einen klaren ästhetischen Nenner. Die Annäherung ist meist ein Kompromiss. Zumal bei steigender Kenntnis der Spezialist oft Vorlieben kultiviert.
Wer jetzt einwirft: "aber wir
haben doch grossen Spass mit ziemlich realistischem Spiel"-
der gibt mir eine passense Überleitung zum angewendeten HHR...
Den dieser ist sowieso dominanter als der Realismus:
-An welchen historischen, auf Videomaterial aufgezeichneten Kämpfen orientiert man sich denn?
-Woher wissen wir denn, wie so ein Ork kämpft und reagiert?
-Für welche Theorie 'Kriegsbogen vs Rüstung' entscheidet man sich denn? (Die meisten kennen die Diskussion vermutlich- es geht um die Frage, wie effektiv zB englische Langbögen im Hundertjährigen Krieg gegen Ritterrüstungen waren.)
Das alles passiert natürlich im Kontext eines HHR.
Aber zumindest beim letzten Beispiel könnte man entgegnen:
"Na ja, die Regeln sagen halt dies und jenes, vermutlich hat der Autor sich an seiner Vision des Realismus orientiert"
Tatsächlich?
Im Falle des RPG-Ahns D&D war die Vision nicht so klar, denn er trug unverkennbar das Erbe der Wargames in sich.
Mag sein, das sich früh das Sujet des "Dungeon-plattmachen!" herauskristalisierte, dem bis heute noch als scheinbar reinste Form des RPGs von unzähligen Indiebuilds wöchentlich neuverjüngt gehuldigt wird.
Aber blöderweise sind tolkienesque Wargame-Szenarios wie auch Dungeonabenteuer nicht so gut darin, Realismus oder Hyperrealismus individuell [auf Partyebene] abzubilden.
Am ehesten funktionieren sie vermutlich für ihren ursprünglichen Zweck, auf Regimentsebene oder höher bestimmte Schlachtgeschehen zu simulieren.
Ein paar Beispiele verdeutlichen das:
-Duelle, speziell komplett ohne Firlefanz, sind strunzlangweilig. In den Vorbildern des HHR ist das aber meist die spannendste, dramatischste Kampfsituation!
Bei einigen D&D Versionen könnte man schlicht ausrechnen, wer den Kampf gewinnt. Paradoxerweise wäre das umso sinnvoller, je höher der Kämpferlevel- ein
absoluter Affront im Sinne des HHR!
-In komplexen Kämpfen sind Runden, wie sie klassischerweise den Takt vorgeben, kein Garant für HHR.
Gerade epische Helden zerlegen ja schon mal ganze Banditengruppen im Handumdrehen. Doch mit "Treffen, Hp & Runden"?
Hier im
hat jemand mal einen Standard DSA-Kampf mathematisch aufgeschlüsselt.
Ein alptraumhaftes, bürokratisches Procedere.
-Hitpoints fliegen als Holzspäne um die Ohren. Im Raum des HHR absurd, oft gewinnt der Sieger hier durch einen einzigen Hieb, auch gegen weitaus "bessere" [höherstufige], bis dahin unverletzte Gegner.
-Pfeil und Bogen haben nicht annähernd die Aura, die sie im HHR auszeichnet. Ein einziger gespannter Bogen vermag hier einen gestandenen Helden zur Aufgabe zu bringen, in AD&D ein lachhafter Gedanke gegen unverletzte Recken.
-Der Umstand der "Magosacrumphilie", dem Magic Item Fetisch, der letztlich eine Designkrücke darstellt.
Welche vielgeliebten Helden des HHR hatten das je nötig?
...
Der Punkt ist, die meisten wollen HHR, indes, mit "Treffen, Schaden+HP und Runden" geht die Ästhetik nicht in Richtung "Herr der Ringe", "Song of Ice and FIre", "Conan", "Star Wars", Akira Kurosawa und Co.