Wie angekündigt würde ich gerne die Frage erörtern, wie realistisch eigentlich Charakterbögen sind.
Grundsätzlich ist ja zu sagen, dass es im echten Leben keine Charakterbögen gibt. Wenn man also Player Empowerment kritisiert, da es so was im echten Leben nicht gibt, muss man auch Charakterbögen ablehnen. Gleiches gilt natürlich für Kapitelnummerierungen in Büchern, DVD-Hauptmenüs und die Dramatis Personae in einem Theaterstück, die ich mit Edding übermale, mit geschlossenen Augen bediene respektive aus dem Buch rausreißen.
Wir haben also geklärt, dass der Charakterbogen weg muss - insbesondere in Systemen mit dem Anspruch, realistisch zu sein (ja, DSA und GURPS, ich schaue in eure Richtung)! Möglicherweise wäre hier eine Petition der Beilunker Reiter an Ulisses notwendig, aber das sind ja schon Vorgehensweisen. Bleiben wir doch zunächst bei der Problemanalyse und den Zielen, die erreicht werden müssten.
Ein Zettel mit Werten eines Charakters ist ja nicht per se unrealistisch. So gibt es schließlich in realitas Personalausweise, Mitarbeiterakten etc.. Im Zuge des Realismus wäre es jetzt wichtig, die Werte auf dem Bogen auf die Dinge zu beschränken, die auch auf solchen Dokumenten steht. Natürlich müssten diese Dokumente dann auch realistisch aufbewahrt werden, wahlweise in der Hosentasche des Spielers oder in einem Aktenschrank im Arbeitszimmer des Spielleiters, außerhalb der Reichweite der Spieler.
Layoutbedenken spielen hier selbstverständlich auch eine wichtige Rolle, siehe hierzu mein demnächst erscheinendes Hauptwerk "Improvise it! Wie Sie die Vorbereitung Ihrer Rollenspielrunde erfolgreich in nur 40 Stunden pro Woche erledigen, ohne an Stimmung einzubüßen."
Zu klären wäre natürlich, wie man dann Handlungs- und Konfliktresolution betreibt. Freeforming ist sicher keine Lösung, da hier bekanntlich Player Empowerment auf die Spitze getrieben wird und der fehlende Realismus davon bereits erkannt wurde. Da aber unrealistische Würfelwürfe (Gott würfelt bekanntlich nicht!) auf Basis von Werten auf einem unrealistischen Charakterbogen natürlich keine Lösung mehr sein können, muss eine klare Distanzierung von der Schulrollenspieltheorie her.
Als Lösung bieten sich hier Ansätze aus dem LARP an. Natürlich wollen wir als Tischrollenspieler nichts mit LARPern zu tun haben, da LARPkämpfe immer das Risiko beinhalten, die stimmungsvolle Kerzenbeleuchtung umzustoßen und die stimmungsvollen Schmuckränder der stimmungsvollen Vakatseiten im Rahja-Vademecum ansengen könnten. Sicherlich kann auch dies zur Stimmung beitragen, allerdings bestehen dabei nicht ganz unerhebliche Risikofaktoren. So wurden durch die Jahr-des-Feuers-Kampagne bereits mehrere Rollenspieler-Eigenheime in Deutschland mit hohen Schadenswerten und nur durch eine Menge Glück ohne Personenschäden angezündet.
Allerdings böte es sich hier an, einzelne Komponenten zu "LARPen", wobei der Kontext in den gemeinsamen Vorstellungsraum dann durch die Regeln geschaffen wird. Zum Beispiel könnte die Qualität eines Angriffs danach bewertet werden, wie gut der Spieler eine im Regelwerk beschriebene Schwertkampf-Geste (natürlich ohne Holzschwert, siehe Risikofaktor) nachahmen kann. Wenn die Spieler sich einig sind, dass dieser Bewegungsablauf schön anzusehen war, gelingt die Probe. Im Fernkampf wird dann eben anhand des Bewegungsablaufs per Mehrheitsentscheid bewertet, wie nahe der imaginäre Pfeil vom imaginären Bogen am imaginären Ziel angekommen ist.
Probleme verursacht in diesem System allerdings der schon immer in vielen Systemen neuralgische Reiterkampf. Hier könnte es möglicherweise nötig sein, dass mehrere Spieler interagieren, um eine realistische Darstellung zu erhalten, oder die Möbel des Spielleiters werden mit ins Spiel einbezogen. Wie dies im Detail geschieht, ist wie bereits gesagt Sache der Regeln.
Ein Vorteil dieser Überlegung liegt klar auf der Hand: Endlich wird verhindert, dass übergewichtige WoW-Spieler im Rollenspiel flinke und geschickte Elfen spielen können - obwohl sie niemals einen Bogen in der Hand hatten! Ähnliches ist ja im Sozialen schon seit langem üblich: Ein wenig wortgewandter Spieler soll ja auch nichts anderes als einen verschlossenen und soziopathischen Krieger spielen, da er dies niemals richtig darstellen könnte. Mit meinem Ansatz ist endlich auch im Kampf gewährleistet, dass das Spielen eines bestimmten Charakterkonzepts nur demjenigen möglich ist, der tatsächlich Ahnung davon hat.
Schwierig dürfte allerdings sein, dieses Konzept tatsächlich an die Verlage zu bringen. Meine Mission ist es, dieses Konzept in DSA5 einzubringen, damit DSA endlich seine Realismusansprüche umsetzt, ohne aus Feigheit der Autoren doch wieder auf klassische verkopft-schulrollenspieltheoretische Metagamekonzepte wie Würfel oder Charakterbögen zurückzugreifen.
Dann würde ich mal gerne die Diskussion zu dem Thema eröffnen: Was ist realistischer, der schulrollenspieltheoretische Charakterbogenansatz oder der ganzheitlich-subjektivistisch-realistische Ausspielansatz? Wie kann das Diktat der Schulrollenspieler durchbrochen werden? Gibt es vielleicht auch noch bessere Ansätze als den von mir geschilderten?
edit: Um die Sicherheit zu gewährleisten, wäre es in dieser Art Rollenspiel vielleicht sinnvoll,
wenn die Spieler BHs und Aluhüte tragen würden.
Ich freue mich auf Feedback!
Disclaimer: Der ganze Beitrag ist hochgradig ironisch und verarbeitet meine derzeitigen Erfahrungen im Forum. Dabei enthält er deutlich mehr fiese Anspielungen, als ich ursprünglich reinschreiben wollte. Lustig ist er vermutlich trotzdem nicht.