Hallo zusammen,
mit 25+ Jahren Rollenspiel auf dem Buckel versuche ich hier Mal zu beschreiben wie ich die Entwicklung erlebt habe.
Am Anfang waren die Systeme zwar grundlegend realistisch aber hatten keinen Anspruch die Realität dar zu stellen. Gegenstände fielen also nach unten und ohne Licht wurde es dunkel aber man wollte keine Weltsimulation haben und die Charaktere waren eben noch mehr Spielfiguren als Persönlichkeitssimulationen.
Geändert haben das meiner Ansicht nach drei Trends die relativ zeitnah aufkamen und sich gegenseitig verstärkt haben.
Der erste Trend war die Einführung von Skills. Vorreiter war dar wohl Runequest und das Basic Roleplaying System auf dem etwa Cthulhu beruht. Im deutschen Raum steht hier wohl Midgard an der Spitze und beim beliebten DSA das Abenteuer Ausbau Set. Spielte man vorher eine Klasse also etwa einen Krieger so war der einzige Unterschied zu einem anderen Krieger im gleichen System bei gleicher Stufe maximal noch ein Unterschied in den gewürfelten Attributen. Mit den Skills konnte man jetzt eine Figur differenzieren.
Mit den Fertigkeiten verstärkte sich aber auch ein anderer Trend. Wo vorher der Spielleiter beruhend auf Attribut Proben selbst Möglichkeiten wie etwa Meucheln oder Verführen ins Spiel brachte ändert sich das mit den Skills jetzt. Bei den Skills wurde natürlich auch erläutert wie man sie anwendete der Spielleiter verlor also einen Teil seiner Autonomie. Klar gab es vorher schon Hausregeln aber diese hatte man ja noch selbst entworfen.
Für mich stechen hier Rolemaster und Midgard hervor. Beide Systeme versuchen in ihren Regeln für alle Situationen ganz klar fest zu schreiben wie eine Situation auf zu lösen ist. Rolemaster benutzt hierzu seine Tabellen und Midgard nutzt dazu Regeln die mit Formeln und fixen Festlegungen arbeiten.
Als drittes kamen dann noch ausgearbeitete Spielwelten hinzu. Klar spielte man schon vorher auf einer Welt aber diese existierte hauptsächlich als Trägerin für die diversen Dungeons. Von den Systemen her zeigt sich dieser Trend wieder bei Runequest und in Deutschland natürlich an Aventurien der Hintergrundwelt von DSA. Am klarsten beschrieben wird dieser Trend beim Warhammer RPG. Hier schreiben die Autoren selber das die Old World, also die Hintergrundwelt, eigentlich nur entstand um Konflikte für das Tabletop zu liefern und nicht etwa als Weltsimulation.
Die weitere Entwicklung kann man aus meiner Sicht sehr schön an DSA weiter verfolgen.
Eine existierende Welt benötigt ja nicht nur tapfere Helden sondern eben auch Handwerker, Bauern und Künstler. Diese sollten ja konsequenter Weise auch nach den gleichen Regeln zur Charakter Simulation wie die Helden funktionieren. Ein Mal weil ja auch sie simulierte Charaktere waren und auf der anderen Seite weil ja inzwischen Regeln eine größere Bedeutung hatten und man den Spieler Charakteren ja nichts vorenthalten wollte. Von da aus war der Regelvorschlag aus dem Aventurischen Boten, dem DSA Hausmagazin, zusätzliche Talente wie etwa Töpfern / Sterndeuten / Kriegskunst ein zu führen nur konsequent. Hinzu kam das pro drei neuer Skills eine zusätzliche Steigerung Möglichkeit gewonnen wurde die man auch für andere Skills einsetzen konnte. Das war die Basis für ein überbordendes Skillsystem.
Das gleiche Bild ergibt sich bei der Hintergrundwelt. Auch hier kamen Dinge ins Spiel auf die meine Runde wohl auch gerne verzichtet hätte. Steuern und Lernkosten etwa sorgten dafür das der typische DSA Auftrag, also fertige Abenteuer, mit den angegebenen Belohnungen dafür sorgten das Charaktere ihre Stufen Steigerung nicht nutzen konnten weil es an Geld fehlte.
Das ganze wurde dann noch in Regeln gegossen die wohl keiner wirklich überprüft hatte.
Statt aber einen klaren Schnitt in der neuen Edition zu machen fügte man noch zusätzliche Regelteile an ohne das Dickicht ein Mal zu lichten.
Jetzt hatte man also eine "Realität des Rollenspiels" geschaffen die ein Konglomerat aus konsequenter Regel Interpretation, Hintergrund Beschreibung, möglichst noch in anderen Medien und nicht in Rollenspielmaterial und den Ereignissen in der jeweiligen Spielrunde bestand. Diese Realität konnte musste aber eben nicht mit realen historischen Gegebenheiten überein stimmen. Da waren Konflikte vorprogrammiert.
Noch größere Konflikte gab es bei den Regeln. Denn für viele Dinge wie Schwimmen / Reiten aber auch für etwas seltenere Dinge wie Bewegung in Rüstungen / Nahkampf fanden sich Spieler die darin Erfahrung hatten und nicht akzeptieren wollten das ihr Wissen in die Realität des Rollenspiels keinen Eingang gefunden hatten. Waren solche Mitspieler als Spieler ja schon speziell so entwickelten sie ihre wahre Pracht erst als Systemschreiber. Wenn man bedenkt das Cyberpunk 2020 neben Biologie auch noch Botanik und Zoologie als Skills hat bekommt man einen Eindruck davon wie die Regelwerke in den 80ern ausuferten.
Von der Retrowelle abgesehen sind uns die Aspekte Skills / Charakter Simulation, Hintergrund / Weltsimulation und Regelbedarf / detailierte Regeln bis heute erhalten geblieben. Bis heute stoßen also die individuelle Realität der Mitspieler auf die "Realität des Rollenspiels" und halten das Thema aktuell.
Gruß Jochen