Ich habe im Grunde nichts gegen Kleinschrittigkeit/komplexe Systeme, allerdings gefallen viele Systeme dieser Art mir nicht, weil die Kleinschrittigkeit eine Reihe von Designsünden zutage bringt, welche durch inkomptente (oder - im Falle von WotC - sadistisch/masoschistisch-veranlagte) Designer auf die Spielwelt losgelassen wurden. Diese Sünden sind nicht exklusiv für kleinschrittige/komplexe Systeme, treten aber bei diesen verstärkt auf und sind oft auch für den Spielfluss gravierender, als wenn sie bei einfachen/grobschrittigen Systemen auftreten.
Sünde #1 – Exponentielle Kosten/linearer Kompetenzanstieg: Das ist schon im grobschrittigen Rollenspiel nervig genug, aber in kleinschrittigen Rollenspielen ist das einfach untragbar. Zumal dadurch auch der „spürbare Kompetenzzuwachs“ ausgehebelt wird (wenn ich z.B. 25 Spielsitzungen warten muss, um „Wildnisleben“ von 12 auf 13 zu steigern, merke ich keine Charakterverbesserung). Geht gar nicht. DSA ist einer der schlimmsten Sünder in dieser Kategorie, BRP hat exponentielle Zufalls-Verbesserung (die Chancen eine Verbesserung zu erwürfeln werden exponentiell schlechter) und Traveller hat im wesentlichen auch exponentielle Kosten (nur das dort halt Zeit, statt Erfahrungspunkten, als Verbesserungsressource verwendet wird – dort ist es aber noch harmlos im Vergleich zu BRP/DAS, weil Traveller etwas grobschrittiger ist und man wenigstens etwas dafür bekommt).
Sünde #2- „exception-based-design (aka "Spiele ich hier ein CCG?“): Oft bei Zaubern,Feats oder ähnlichen Charakterverbesserungen der Fall, welche auf dubiose Weise (welche außerhalb der Testrunde des Designers keiner nachvollziehen kann) „gebalanced“ sind. Das äußerst sich dann in komischen Zaubereffekten, welche seltsame Ausnahmen und Besonderheiten aufweisen, welche sich nicht intuitiv aus dem Konzept des Zaubers erschließen (Earthdawn ist in dieser Hinsicht ein schlimmer Sünder, viele der „power-trees“ in den späteren WoD/nWoD-Spielen weisen ebenfalls keine thematische Progession auf, sondern sind einfach wild zusammengewürfelte „kewl powerz“). Der schlimmste Sünder in dieser Kategorie ist D&D3.x/PF, welche das Prinzip nicht nur auf Charakterverbesserungen anwendet, sondern auch auf charakterunabhängige Optionen, wie Zustandsbeschreibungen und allgemein zugängliche Kampfmanöver. Das ist natürlich sehr blöd, weil die Zuordnung gerade in kleinschrittigen Systemen halt nicht einfach ist (Bei SaWo weiß ich: „Sand in die Augen schleudern = Geschicklichkeits-Trick“ – bei D&D3 „Hmm, Fernkampfangriff? Oder Rettungswurf wie gegen vergleichbare Zauber (Problem: spray-attacks funktionieren gefühlt bei jedem 2. Zauber anders)? Oder Pathfinder-Kampfmanöver? Und wenn es dann klappt, ist der Charakter dann „Blinded“ oder „Dazed“ oder „Dazzled“ oder…“).
Sünde #3 – Denaturierung der Regeln: Ergibt sich meist aus #2, kann aber auch separat auftreten. Hier tritt das Basteln von Charakteren über die Abbildung der Spielwelt und der Wunsch des Spielers seinen Barbie-Charakter (der nicht einmal besonders mächtig sein muss) zu ermöglichen ergeht sich in einer Konzentration auf den Regelteil des Spiels (weil dort – gefühlt – die größten Hürden für die „Idealvorstellung“ des Charakters liegen). Das führt dann leider verstärkt zu Charakteren, welche „im stillen Kämmerlein“ zusammenoptimiert wurden und nur begrenzten Bezug zu Gruppe und/oder zum Kampagnenstil aufweisen (ich nennen solche Charaktere gerne „Inselbegabte“).
Sünde #4 – „Westentaschen-Magie“: Damit meine ich Charakterfähigkeiten, welche zwar auf dem Charakterbogen stehen (sich in der „Westentasche“ des Charakters befinden), gefühlt aber nur alle 20-30 Spielsitzungen (wenn überhaupt) zum Einsatz kommen. Eine Diversizierung des Charakters über den Charakterbogen ist in meinen Augen ziemlich armselig (aka „Klar ich setze auch nur 3 Zauber ein, aber THEORETISCH könnte ich noch viel mehr. Theoretisch.“): ich habe lieber 3 Zauber, die ich regelmäßig einsetze, als eine Liste von 100 Zaubern, von denen ich im Endeffekt nur 3 nutze (siehe D&D). Ähnliches gilt für Fähigkeiten, welche nur auf niedrigen Stufen nutzbringend sind und dann durch eine zunehmende Tier-Progession ersetzt werden – wenn ich das will, dann spiele ich WoW und kein Rollenspiel.
Wenn diese objektiv schlechten Designentscheidungen vermieden werden, dann kann man mich auch für ein komplexes und kleinschrittiges System begeistern.