Von der Reihenfolge wähle ich zuerst das Setting und dann ggf. das System.
Das System steht meist aber erst dann zur Disposition, wenn ich gewisse Spielelemente nicht mit den in meinen Runden gängigen Systemen umsetzen kann (oder glaube zu können) oder die Gruppe unbedingt etwas Neues ausprobieren möchte. Meistens ist es aber ein Anreiz, sich nicht von einem System zu einem Spielstil drängen zu lassen, sondern die Grenzen eines Systems auszuweiten oder einzureißen. So ist die dritte Edition Dungeons&Dragons eigentlich ewig das System der Runde gewesen, obwohl schon seit dem Jahr 2002 oder 2003 keine typischen Dungeons mehr gespielt werden, der Gruppe aber für den Fall der Fälle die Kampfregeln ganz gut gefielen und wir die vielen sozialen Dinge immer relativ regellos ausgespielt haben und Würfe und dergleichen als Topping genutzt haben. Nach Jahren kam es dann doch dazu, dass neue Systeme mit wehenden Fahnen Einzug hielten und mit ebenso wehenden Fahnen untergingen bis wir von sehr regelintensiven Systemen zu möglichst modularen Settings kamen, in denen Regeln schneller und auch für meine bescheidenen Fähigkeiten einfacher angepasst werden können. So wechselte die Spielgruppe in die Fate-Richtung im letzten Jahr und es ist das erste Rollenspiel, welches länger als eine handvoll Spielabende im Gruppenkatalog blieb. Allerdings werden manche Systeme als sehr mit dem Setting verknüpft wahrgenommen und die Spielgruppe möchte dann das auch selten trennen. Shadowrun bspw.
Das sind aber seltene Ausnahmen, meist bleibt es doch beim d20-System (vorzugsweise D&D) oder bei Fate.
Zwar denke ich bei jedem neuen Setting über systemische Fragen nach, dennoch bleibt diese Frage bei mir häufig zweitrangig.
Mein Augenmerk liegt auf der Auswahl des Settings. Lange Zeit habe ich meine Themen wie bereits im Thread genannt gewählt, also je nachdem, ob ein Buch oder ein Film auf mich interessant wirkten oder aus einem Grundinteresse an einem Thema, für mich in dem Fall immer unter dem Leitstern, den ich als Geschmack empfand. Zweifelsohne sind Geschmäcker verschieden und man streitet trotzdem darüber. Letztendlich führte das aber dazu, dass ich meine Runden anders gestaltete. Wann immer ich oder ein anderes Mitglied der Gruppe seine Runde nach Geschmack einrichtete und dies den Geschmack der Mitspieler nicht traf, entstanden daraus nicht nur kurzlebige, sondern vor allem sehr anstrengende Runden. Der Grund lag häufig darin, dass der Spielleiter seinen Geschmack verteidigt sehen wollte und so bei zentralen Fragen deutlich uneinsichtiger war in Sachen der Settingfrage oder meinetwegen auch beim Nutzen von NSCs, die der Spielleiter gerne mochte. Das führte immer zu Problemen am Spieltisch. Dementsprechend fing ich an meine Runden antithetisch aufzubauen und die Settings vor allem um zentrale Inhalte zu gliedern, die mir entweder zutiefst zuwider sind oder deren häufige Darstellung in Literatur, Kunst, Politik usw. mir schwer auf die Nerven fällt.
Sobald ich ein solches Thema gefunden habe, versuche ich Stereotypen zu finden, die sich mit diesem Thema verbinden lassen, um den Spielern so ein grobes Gefühl für das Thema bekommen zu lassen und im Laufe des Spiels geht es dann für mich als Spielleiter auch darum, nicht nur Geschichte und Erleben etwas zu koordinieren (obwohl die Spieler dort bei mir sehr viel Einfluss haben), sondern eben auch diese Stereotypen kritisch zu hinterfragen und so gegebenenfalls meinen Ärger über dieses Thema oder diese Topos zu lindern, mir das Thema greifbarer zu machen oder meinen Argwohn gar zu schüren. Genauso halte ich das bei plot- oder storyrelevanten NSCs mit zentraler Bedeutung. Nie nehmen, was man am Besten findet. Das kann man sich für seine eigenen Spielcharaktere aufbewahren.
Dem Ganzen geht aber eine gewisse Informationsgeschichte voraus. Ich spiele viel mit historischen Ereignissen (ich bin Historiker und Archäologe und kann das schwer ad acta legen) und lehne viele meiner Runden, wenn das Thema keine eigene Geschichte aufzwingt, an irgendwelche historischen Ereignisse an (die nie 1 zu 1 nachgespielt werden, das ist auch nicht der Sinn für mich, sondern es geht mir eher um einen Leitfaden für mich, wenn ich mal Improvisationsprobleme habe). Der Beginn wird dabei eng mit den Spieler abgestimmt, auch speziell mit der Aufgabe für die Spieler, was sie in so einem Setting verpackt sehen wollen und welche Fragen sie an ein solches Setting hätten. Das versuche ich mit aufzunehmen und ihre Vorlieben mit meinen speziell ausgesuchten "Ekel"themen zu verbinden.
Dann werden die Spieler darüber unterrichtet, in welche Richtung das Setting gehen wird und erst dann wird geschaut, ob ein gewisses System dafür zu bevorzugen ist, oder ob es mit unseren gängigen Systemen gespielt werden kann.
Bewusst entscheide ich mich gegen meine "Vorlieben", weil sie häufig keine Vorlieben in dem Sinne sind, sondern einfach das Verbauen von spontanen, positiven Eindrücken. Diese finden sich im Spiel auch wieder, bspw. durch ein gutes Buch oder einem interessanten Zeitungsartikel oder oder oder, aber niemals sind sie tragenden Säulen. Viel häufiger wird dies von mir unbequemen Themen eingenommen oder auch von Themen, von denen ich weiß, dass ich mich in sie hineinbeißen muss im Laufe der Zeit. Diese Bekämpfen des mir Unbequemen ist ein sehr zentraler Punkt und ein ganz wichtiger Punkt für meine Spielmotivation, da ich ungern viel Mühe in Setting stecke, welches ich nur ein- oder zwei Spielabende beacker und ich mich gut genug kenne, dass so positive Eindrücke aus Literatur, Film und Kunst nicht so lange anhalten wie jene, die mich aufwühlen, provozieren oder anekeln.
Ich bin in dem Punkt vielleicht also ein Konzeptspielleiter. Einem Konzept der Eigenprovokation.
Damit ich mich nicht überplane und ein Chaoselement dazukommt (Ich mag das Chaos, wie es im grotesken Theater Dürrenmatts zu sein hat
), werden nach der Groberstellung des Settings Wörterbücher gezückt und dort durch Zufall Worte bestimmt, welche eine tragende bis wichtige Rolle in dem Setting zu spielen haben. Meist sind das 5-10 Worte, die per Würfelwürfe oder andere Methoden bestimmt werden. Dies sorgt dann noch für Abwechselung und man muss sich meist hinter diese Wörte klemmen, um sie kreativ im Setting zu verpacken. Das gibt dem Ganzen dann für mich noch eine kleine Würze. Die Spieler nehmen an diesem Prozess des Zufalls teil und werden über die Worte informiert und habe dann häufig die Aufgabe zu überwachen, ob die Worte im Spiel verbaut sind.
Viele dieser Konzepte verschwinden aus Zeitgründen in der Schublade oder ich habe sie bis letztes Jahr dann verkürzt und in play-by-post-Rollenspielen verbaut, aber häufig werden diese Konzepte am Spieltisch durch mich als Spielleiter eingeführt. Das ist so ein Erfahrungsding geworden. Wenn der Spielleiter sein Spielthema zu sehr mochte, schlief die Runde bei uns immer schnell ein, weil häufig der SL des Themas müde wurde oder es zu energisch verteidigte wider die Gruppenhoffnungen oder Wünsche. Wenn der Spielleiter sein Thema selbst erkämpfen muss, liefen die Runden länger und am Ende hatten alle mit diesem scheinbaren Kampf ihren Spaß, da die Spieler ja durchaus ihre Vorlieben einsetzen sollen und dürfen. Das wird aber vom Ansatz her von SL zu SL sehr unterschiedlich sein und für viele auch eher ein nicht wünschenswerter Ansatz sein.
Sollte klar sein, dass es nur One-Shots sind, dann erlaube ich mir auch spontane, positive Eindrücke zu verwursten und auch viel in Systemen rumzurprobieren. Für einen Spielabend ist das in Ordnung für mich.
Edit: Und zu guter Letzt stelle ich dann philosophische Fragen ein, die mit dem Setting zusammengehen. Meist Fragen des Existenzialismus.