13th Age – mein Eindruck
Dungeons and Dragons war seit der Dritten Ausgabe eine Art Hassliebe für mich. Ich mochte den Kern, aber die Implementationen waren einfach überbordet mit Regeln. Alle Ableger, einschließlich der vierten Ausgabe, waren für meinen Geschmack viel zu umständlich und mit Feats und Powers überfrachtet. Dabei reizte mich der konsequent spielerische und herausforderungsorientierte Ansatz, der den Spaß in den Vordergrund stellen mochte.
Wenn nun also Autoren, die an der 3rd und 4th Edition von D&D mitgearbeitet haben, sich melden und das folgende Versprechen abgeben, dann schaut man doch genauer hin:
“Our goal with 13th Age is to recapture the free-wheeling style of old-school gaming by creating a game with more soul and fewer technical details. …13th Age makes the play group’s campaign the center of attention, with a toolkit of rules that you can pick and choose from based on the kind of game you want to play. The mechanics draw from classic games as well as newer, story-based games.”
Regeln zusammensuchen? Weniger technische Details? Einflüsse von Story-zentrierten Spielen? Klingt gut. Probieren wir 13th Age also mal aus.
Da es sich im Kern um ein OGL-Spiel handelt, werde ich auf die darin verankerten Grundmechanismen nicht mehr weiter eingehen. Ich gehe im Folgenden davon aus, dass die grundlegenden D&D-Mechanismen bekannt sind.
1. Wer bin ich
Es ist immer gut, etwas über den Schreiber des Autoren zu wissen, um das geschriebene auch in den richtigen Kontext setzen und bewerten zu können. Wer bin ich?
Ich bin ein Rollenspieler der alten Schule. Ich spiele schon seit etwa 1986, so genau weiß ich das nicht mehr. Seit dem Einstieg mit DSA (erste Ausgabe) habe ich unzählige Spiele kennenlernen dürfen. Ich mag meine Systeme dezent, klassisch und einfach. Ich bevorzuge Systeme ohne Würfelpool. Mit den meisten Indy-Spielen kann ich wenig anfangen. Ich mag es, Regeln zu lesen. Ich finde auch die Mechaniken hinter so einem Spiel interessant und liebe es, wenn die Mechaniken elegant ineinander greifen. Wenn ein Regelbuch interessant geschrieben ist, finde ich es spannender, als ein Roman. Sowohl wegen der Mechaniken, als auch wegen der inspirierenden Ideen, die dahinter stecken. Soweit zu meiner Perspektive. Aus dieser heraus werde ich nun das Produkt einschätzen.
2. Hardware
Das Buch ist ein Hardcover-Band mit stabiler Bindung. Es ist vollfarbig, bietet eine akzeptable Menge an Illustrationen und ein gutes, angenehmes Layout.
Kritik lässt sich bei den Illustrationen anbringen. Die Qualität ist nämlich mäßig. Das Titelbild, eine Kampfszene, ist okay. Verglichen mit dem Konkurrenten Pathfinder kann 13th Age nicht mithalten, der Vergleich ist aber natürlich auch nicht fair. Auf der positiven Seite sind die Bilder aber auch nicht schlecht und die Karten sind sogar hervorragend.
Das Layout ist angenehm. Man fühlt sich nie von der Textmenge erschlagen, alles bleibt übersichtlich und die Schriftarten und –Größen sind gut ausgewählt. Super.
Ergänzung: sehr schön gemacht ist der Glossar am Ende des Buches. Ein Index, der auch mal Begriffe direkt erklärt anstatt nur auf die entsprechende Seite zu verweisen. Das sollte Schule machen.
Fazit: hochwertig gemacht überzeugt das Buch in der Pflicht, hätte aber schöneres Artwork vertragen, um auch in der Kür glänzen zu können.
3. Der Hintergrund
Es handelt sich nach allem, was ich beim Durchlesen feststellen kann, um eine klassische Sandbox. Dabei wurde die Welt fantasievoll gestaltet. Die Welt ist eine Scheibe, Wolken sind begehbar und bergen ihre eigenen Reiche, es gibt eine Unterwelt, Höllenlöcher uvm. Wer hier keine Ideen für Abenteuer bekommt sollte wieder zurückkehren zu seinen Computerspielen.
Die Musik beginnt aber wirklich zu spielen, wenn es um die Icons geht. Icons sind die „Mover and Shaker“ der Welt. Es sind die Götter und Halbgötter, die Könige und Erzmagier, welche die Welt bewegen. Anders als bei anderen Spielen, haben die Charaktere aber von Beginn an ihre Verbindungen zu diesen Icons. Diese werden sogar regelseitig verankert und können von Charakteren oder dem Spielleiter genutzt werden um Vorteile zu erhalten oder um die Handlung voran zu bringen.
Die Icons festzuhalten ist kein Geniestreich. Es ist eher ein Spielleiter-Tipp, als etwas, wofür man Regeln braucht. In Runden, die aber für alles gerne Regeln haben, ist es ein interessanter Weg, spielerische Elemente mit erzählerischen zu verbinden. Gut gemacht, Pelgrane Press. Die mitgelieferten Icons sind dabei aber leider recht generisch und eher langweilig. Die Elfenkönigin? Der Zwergenkönig? Der Erzmagier? Der Lich King? Der Ork-Herrscher? … Kommt schon! Da wäre mehr gegangen. Aber ich verstehe natürlich schon, dass 13th Age ja schließlich auch eine Alternative zu den bisherigen Platzhirschen sein soll und da ist das Generische Wesen eher ein Plus.
Fazit: Der Hintergrund ist generisch, aber fantasievoll. Mit den Icons bringt man auch die bisherigen Story-Muffel dazu, sich mit dem Hintergrund mehr auseinanderzusetzen und gibt den Spielern Optionen, sich hier einzubringen.
4. Die wichtigsten Änderungen zur OGL / zu D20 im Überblick
Aaah! Jetzt kommen wir zu dem Teil, wo ich große Hoffnungen hege. Wie sind die Regeln nun?
Zunächst einmal hat sich gegenüber den übrigen OGL-Spielen nichts Grundlegendes geändert. Sieht man sich den Charakterbogen an, so enthält dieser Altbekanntes. Er wirkt aber aufgeräumt. Es gibt Rassen, Klassen, Attribute, Attributsboni, Verteidigung (nur drei Sorten, einschließlich Rüstungsklassen), Trefferpunkte, Powers, Feats … aber keine Fertigkeiten. Es gibt 10 Stufen und die Stufen werden auf die Proben addiert. Ist praktisch alles schon mal da gewesen. Die Unterschiede müssen also im Detail liegen.
Im Groben kann man die folgenden Unterschiede feststellen: Fertigkeiten wurden durch Backgrounds ersetzt, es gibt ein „one unique thing“, es gibt einen Escalation Die, es gibt weniger Feats, die auch anders organisiert sind und die Klassen unterscheiden sich stärker. Gehen wir mal auf die einzelnen Punkte ein.
Backgrounds. Statt Fertigkeiten kann ein Spieler Punkte in Backgrounds investieren, die er frei definieren kann. Für gewöhnlich ähneln Backgrounds Berufen oder der Herkunft eines Charakters. So kann ein Charakter „+4 königliche Garde“ haben, „+3 Verstoßener“ und „+1 Spaßvogel“. Proben werden auf einen Background gewürfelt, wenn dieser passt. Das ist nichts wirklich Neues, funktioniert auch ganz gut, lädt aber ein wenig zum „Interpretieren“ ein und ist in einem spielerisch orientierten Rollenspiel vielleicht etwas … handwedelig. Ich habe keine Probleme damit, ich finde das gut.
Das One Unique Thing. Das ist nichts weiter, als die Aufforderung an die Spieler, sich etwas zu überlegen, was den Charakter in der Welt wirklich einzigartig macht. Das heißt, einen bedeutsamen Hintergrund für den Charakter zu entwickeln, hat einen Namen bekommen. Ich möchte das One Unique Thing wirklich nicht entzaubern, aber jede Gruppe, die für ihre Charaktere Hintergründe entwickelt hat, erlebt hier nichts Neues.
Der Escalation Die. Eine interessante Mechanik. Der Escalation Die hält fest, wie lange ein Kampf schon dauert und gibt zunehmende Boni auf Angriffe und löst bei den Charakteren und Gegnern Effekte und Möglichkeiten aus. Das hilft einen Kampf nicht zu sehr in die Länge ziehen zu lassen und verhindert auf der anderen Seite, dass schon in der ersten Runde das volle Potential gezündet wird. Ich finde, das ist eine schöne Idee und ist etwas, was 13th Age tatsächlich regelseitig von anderen OGL-Spielen unterscheidet.
Die Feats sind im Gegensatz zu den übrigen OGL-Spielen anders organisiert. Sie verstärken die Powers der Charaktere und ergänzen diese. Das ist recht gut durchdacht. Die Möglichkeiten einer Klasse bleiben die gleichen, sie werden nur anders betont. Ein bestimmter Zauber mag nun zielsicherer sein, öfter gesprochen werden oder einfach mehr Schaden machen. Ich halte das für eine gute Idee. Die Powers werden persönlicher und wirken lange nicht mehr so generisch. Nett.
Die Klassen bringen nun alle ihre eigenen Mechaniken und Ressourcen mit, die berücksichtigt werden wollen. Das Ziel ist es, dass sich ein Rogue nicht wie ein schnellerer und empfindlicherer Krieger spielt, sondern dass tatsächlich eine andere Spielweise entsteht. Dabei bietet 13th Age mit Barbarian, Bard, Cleric, Fighter, Paladin, Ranger, Rogue, Sorcerer und Wizard eine weite Bandbreite der generischen üblichen Klassen zum Start.
Es geht damit los, dass Rüstung und Waffen ihren Schaden abhängig von der Klasse machen. Während also ein Schurke mit einem Dolch 1d8 Schaden verursacht, schafft der Barbar damit nur 1d4. Eine interessante und gute Mechanik, wie ich finde, die jedoch auch wieder buchhalterischen Aufwand verursacht.
Überhaupt darf man keine Angst vor Buchhaltung haben. Abgeleitete Werte werden durch Tabellen ermittelt, die für jede Klasse unterschiedlich, dabei aber zahlreich sind und außerdem Mittel aus bis zu Drei Attributsmodifikatoren enthalten. Streamlined?
Man hat wirklich keine Angst vor Sonderregeln. Ein Barbar z.B. würfelt in Rage 2d20, behält den besseren Wurf und wenn beide eine 11 oder höher zeigen und du triffst erzielst du einen kritischen Treffer. Das gilt nur für den Barbar und wird noch mit weiteren Zusatz-Talenten wie „Building Frenzy“ verkompliziert. Der Barbar ist dabei die einfachste und am wenigsten umständliche Klasse. Wenn dann aber noch weitere Powers wie das elfische „Elven Grace“ dazu kommen, wo mit ständig steigenden Würfeltypen zu Beginn jeder Runde mit dem Escalation-Die verglichen wird um zu sehen, ob man eine Extra-Aktion bekommt, wird klar, dass 13th Age keine Angst davor hat, beliebig viele Untersysteme und Ressourcen auf die Spieler zu werfen.
Das ist mir noch an einer anderen Stelle aufgefallen. Völlig ohne Grund werden unterschiedliche Würfelmechanismen für Proben verwendet. Für gewöhnlich wird der D20 verwendet, doch Proben auf Icons werden mit einem Pool von W6 abgehandelt. Warum eigentlich? So etwas stört mich ungemein.
Ein Einschub: ich sollte noch ergänzen, dass es noch eine Menge kleiner, aber durchaus wichtiger Punkte gibt, die 13th Age abheben, wie z.B. das abstrakte Abhandeln der Distanzen und Positionen. Aber alle Regeln lassen sich hier natürlich nicht aufführen.
Fazit: die Regeln tun, was sie sollen. Die Klassen unterscheiden sich stark, Backgrounds und One Unique Thing funktionieren, der Escalation Die erzeugt Spannung. Aber während manche Regeln für viele Spieler schlicht unnötig sind, verkomplizieren andere das Spiel in einem Maße, dass sich der Aufwand für den Ertrag nur für die Spieler lohnt, die gerne kleinteilig spielen.
5. Resümee
Ich weiß nicht, was ich von 13th Age halten soll. Zuerst werden mit Elementen wie der Einführung der Backgrounds die spielerischen Elemente in den Hintergrund gerückt und Dinge verschlankt, nur um anschließend dem Spieler mit dem Vorschlaghammer Untersystem um Untersystem um die Ohren zu hauen. Ist das „Streamlining“, wenn ich je nach Klasse und Rasse unterschiedliche Ressourcen permanent verwalten muss? Wenn ich bei jeder Power und bei jedem Talent unterschiedliche Feats installieren kann, die wiederum in unterschiedlichen Stufen und in unterschiedlicher Zahl an Stufen vorliegen, wobei die Power auch wieder sich je nach Stufe verändert? Ist es Streamlining, wenn ich als SL beachten muss, welche Waffe und welche Rüstung bei welchem Charakter welchen Wert hat? In meinen Augen ist das kleinteilig und verwaltungsintensiv und das hat mich angesichts der geäußerten Versprechen enttäuscht.
Auf der anderen Seite sollte man beachten, in welchen Gewässern 13th Age fischt. Nämlich in den gleichen Gewässern wie Pathfinder und D&D und die Spieler dieser Systeme sind diese Regelmengen durchaus gewöhnt. Wer ein crunchiges, spielerisch betontes System sucht, das mal ein paar Dinge anders regelt, wer mal D&D mit einem kleinen Kniff spielen möchte, der wird 13th Age lieben lernen. Denn wenn die Kleinteiligkeit nicht stört, bietet 13th Age fast alles, was es verspricht: mehr Anbindung an das Setting, Klassen, die sich unterschiedlich spielen, … nur „fewer technical details“ konnte ich nicht wiederfinden. Aber hey, wenigsten haben sie nicht „fast, furious, fun“ gesagt. ;-)
13th Age kann viel Spaß machen. Aber nicht mir.
Ich empfehle 13th Age allen, die D&D und Pathfinder mögen, aber einen persönlicheren und individuelleren Charakter wollen. Allen, die generische Fantasy suchen und keinen Battlemaps brauchen. Allen, die den spielerisch-regelintensiven Ansatz eines D20-Systems mal mit etwas erzählerischen Handwedeln mischen und das in den Regeln wiederfinden möchten.
Ich rate allen ab, die sich ein D20-light erhofft haben. Allen, die grundlegende Probleme mit OGL-Systemen haben. Allen, die einheitliche und geradlinige Regeln möchten. Allen, die ein originelles Setting und keine Sandbox suchen.