BTW, ich sehe gerade: Ihr kennt ja noch gar nicht meinen Bericht von der Leipziger Buchmesse 2014, den ich damals in meinem Autorenforum gepostet hatte. Aufgrund der nachgerade Loriot-esken Erlebnisse damals möchte ich ihn euch nicht vorenthalten, auch wenn's schon lange her ist. Also viel Spaß!
--- Hier abbeißen ---
OK, dann also hier mein Bericht zur Leipziger Buchmesse -- Ein Drama in vier Akten.
1. Akt: Donnerstag -- Murphy's GesetzAnreise: Keine besonderen Vorkommnisse. Unterwegs mit einem freundlichen Australier ins Gespräch gekommen und nach einer Weile von einem anderen Mitreisenden gebeten worden, nicht ganz so laut auf Englisch zu brüllen. Das Quartier stellt sich als gemütlich heraus, die Gastgeber als nett. Ich verplaudere mich und treffe anderthalb Stunden später auf der Messe ein, als ich meinem Verleger zugesagt hatte. (Merke: Wenn man sich in der Leipziger Messe im Eingangsbereich verabredet, sollte man unbedingt dazusagen, auf welcher Seite des Info-Stands. Er stellt eine ausgesprochen wirkungsvolle visuelle Zweiteilung des Foyers dar.)
Wie ich schon im Vorfeld erfahren hatte, hat es mit dem Druck meines Buches nicht mehr rechtzeitig hingehauen. Am Stand wird mir klar, was das bedeutet: Ich werde als Autor ein Buch bewerben, das es nicht gibt. Alles, was ich den Leuten in die Hand drücken kann, sind Flyer. Mit am Stand befindet sich heute ein weiterer Autor, der Christoph, der sich zu Verkaufszwecken vor dem Teil der Regalwand hingesetzt hat, der mit seinem Buch regelrecht gekachelt ist. Netter Kerl.
Am Abend geht es zu dem Termin, für den ich hauptsächlich nach Leipzig angereist bin: Meine Lesung in einer Szenekneipe im Stadtzentrum. Ich bin für 21:00 vorgesehen. Vorab will ich mir die 18:00-Uhr-Lesung(en) anschauen, um die Stimmung im Publikum auszuloten. Nachdem ich 4-5 freundliche Passanten gefragt habe, finde ich sogar den Weg von der Straßenbahn zur Kneipe und bin um 18:30 da. Immerhin.
Die Lesungen gehen bis 20:00. Danach stehen im Wesentlichen alle Anwesenden geschlossen auf, und ich stehe plötzlich mit insgesamt drei anderen Personen in einem leeren Raum. Eine davon ist die Organisatorin der Lesungen (eine Freundin der Kneipenbetreiber), ein weiterer ist einer der Autoren, die gerade noch gelesen haben; der dritte ist eigentlich nur deshalb noch da, weil der Autor seine Mitfahrgelegenheit ist. Ich versuche, sie zu interessieren, daß sie zu meiner Lesung noch bleiben, aber als ich auf die Frage nach dem Genre antworte: "Heroische Schwert-und-Magie-Fantasy", kommt ein gequältes: "Oh nein, bloß nicht, ich lese nur Horror!" Autor und Begleiter verschwinden. Um 21:00, zum Beginn meiner Lesung, stehe ich mit der "freien Kneipenmitarbeiterin" allein da.
Als Trostpflaster wird mir ein erstklassiger Absinth angeboten (Ich trinke keinen Alkohol). Zuletzt sitze ich mit den Inhabern der Kneipe und ihrer Freundin auf zwei Sofas verteilt und halte eine kuschelige, kleine Lesung in diesem privaten Kreis. Danach fährt mich das Inhaberehepaar zu meinem Quartier. Nette Leute. Sie haben es echt geschafft, mich aus meinem Frust und meinem hysterischen Kichern wieder rauszuholen. Todmüde kippe ich auf mein Schlafsofa und versuche, den grübelnden Kopf abzuschalten.
Die drei Uhren in dem Raum ticken verdammt laut, wenn es ansonsten still ist.
2. Akt: Freitag -- Todsünde #6Nach einer Nacht auf der knochenharten Schlafcouch erwache ich mit leichten Rückenschmerzen. Mein Verleger hat gesagt, ich bräuchte nicht unbedingt von Anfang an da zu sein, also lasse ich den Morgen langsam angehen. Dadurch verpasse ich meine Gelegenheit, frühzeitig zu duschen. Nachdem die drei freundlichen Damen aus dem Nebenzimmer für zwei Stunden das Bad mit Beschlag belegt haben (Ich hätte ihnen vielleicht nicht gentlemanlike versichern sollen, daß wir zeitlich schon nicht kollidieren würden), schaffe ich es immerhin noch, um 10:00 den Weg zur Messe einzuschlagen. Eigentlich wollte ich beim Umsteigen am Hbf kurz die Gelegenheit nutzen und mir an einer Bäckerei ein Frühstück holen. Nachdem ich ausgerechnet habe, wieviel Zeit es mich kosten würde, mich durch die umsteigenden Menschenmassen auf dem Weg zur Buchmesse zu wühlen, um auch nur das Bahnhofsgebäude zu erreichen, beschließe ich spontan, mich vom Strom mit in die nächste Tram zur Messe schwemmen zu lassen und auf dem Messegelände zu frühstücken. Immerhin: Die Crêperie auf dem Messegelände hat u.a. erschwingliche, herzhafte Käse-Preiselbeer-Crêpes.
Kurz nach 11:00 bin ich endlich am Stand. Mein Verleger ist zum Glück die Ruhe selbst. Christoph erweist sich als unglaubliche Verkaufskanone: Seine Poster, Flyer und handsignierten Bücher gehen weg wie das sprichwörtliche "geschnitten Brot". Währenddessen stehe ich daneben und versuche, über meinen Flyern mit den Leuten ins Gespräch zu kommen: "Demnächst wird es von mir auch ein gedrucktes Buch geben ..." Nachdem Christoph mit seiner sehr extrovertierten Verkaufsweise mir zum drittenmal jemanden ausgespannt hat, den ich mühsam für meinen Flyer und das Buch dahinter zu interessieren vermochte, spüre ich allmählich ein schwarzes Rauchwölkchen über meinem Kopf anwachsen. Zu seinem Glück merkt er mir irgendwann meine geringfügige Verstimmung an und sagt zu, mir meine paar Brotkrumen an interessierten Standbesuchern wenigstens zu lassen.
Zwischendurch ein Telefonat mit der Szenekneipe vom Donnerstag: Der Inhaberin ist mein Reinfall immer noch peinlich, und sie bietet an, den Samstagabend-Slot für unseren Verlag zu verlängern, so daß ich einen zweiten Lesungsauftritt bekomme. Immerhin.
Bis zum Abend haben Christoph und ich uns ganz gut zusammengerauft, und er hat mir sogar ein paar "Bälle" zugespielt und Leute auf mich mit meinen Flyern aufmerksam gemacht. Vielleicht gehe ich auf dieser Messe ja doch nicht ganz unbemerkt unter. Mein Verleger und ich essen noch gemütlich zu abend und besprechen die Finanzkalkulation für den "Falkenflug", bevor ich ein Taxi zu meiner Unterkunft nehme. Außerplanmäßiger Programmpunkt: Eine mitternächtliche Besichtigung des Völkerschlachtdenkmals. ("Haben Sie's schonmal gesehen? Ach, wissen Sie was, ich schalte das Taxameter aus, und wir machen rasch den kleinen Umweg.") Nette Auflockerung des Abends. Halbwegs entfrustet lasse ich mich schließlich auf meine Schlafcouch fallen.
Die Uhren ticken immer noch genauso laut.
3. Akt: Samstag -- Unverhofft kommt oftDie harte Schlafcouch hat auch ihr Gutes: Ich schlafe so schlecht und wache so früh auf, daß ich diesmal deutlich vor den drei freundlichen Damen im Bad bin. Danach begegne ich meinem Gastgeber, der mich fragt, ob alles in Ordnung ist. Ich spreche ihn auf die tickenden Uhren an. Er sagt, er nimmt die Batterien raus. Netter Kerl.
Diesmal erwische ich auch eine deutlich frühere Tram. Zwar komme ich nicht mehr rechtzeitig vor Besuchereinlaß an, aber kurz danach. Auf meinem Weg zu unserem Stand passiere ich einen Rollenspielstand und bleibe kurz stehen, um mit den Betreibern ins Gespräch zu kommen. Daraus ergibt sich ein Austausch von Flyern ("Wir verteilen eure mit und ihr unsere") und ein Kontakt für eventuelle Lesungstermine 2015. 10:15 Uhr, und meine Laune für diesen Tag ist gerettet.
Beschwingt verteile ich meine Flyer in der Menge und habe über den restlichen Tag verteilt etliche sehr erfreuliche Gespräche mit potentiellen Lesern. Christophs Verkäufe laufen so gut, daß wir mehrmals zu seinem Auto laufen müssen, um neue Poster und Bücher in die Halle zu holen. Wir arbeiten inzwischen gut zusammen. Nachmittags gegen 15:00 Uhr trifft der dritte Autor im Bunde ein, Marc. Netter Kerl, wir verstehen uns auf Anhieb und flachsen miteinander rum. Als er seine Bücher in die Menge hält und Messebesucher abgrast, die ansonsten vielleicht auf meine Flyer gestoßen wären, lehne ich mich entspannt zurück; ich hatte heute schon ein Erfolgserlebnis, das muß reichen.
Der Magen hängt uns allen in den Kniekehlen, als es abends erneut in die Szenekneipe geht. Plan: Unterwegs noch schnell anhalten und einen Burger oder ein Stück Pizza einwerfen. Wirklichkeit: Stau. Um überhaupt noch pünktlich zu sein, müssen wir hinterher in einem durchfahren.
Der Raum ist gut gefüllt, das Lesungspublikum deutlich zahlreicher als am Donnerstag. Nachdem der letzte Autor des 18-Uhr-Slots gelesen hat, nimmt Marc Platz, um mit seiner Lesung anzufangen. Kommentar aus dem Publikum: "Wie, es geht weiter? Es hieß doch, nur bis 20 Uhr!" Widerwillig bleiben die Leute noch etwas sitzen, aber nachdem Marc etwa 5 Minuten in die erste Szene hineingelesen hat, steht die erste Dame auf. Wie auf Signal erhebt sich auch der Rest und verläßt geschlossen den Raum. Marc sitzt von einer Sekunde auf die andere vor einem leeren Publikum, abgesehen von meinem Verleger, mir selbst und derselben "freien Mitarbeiterin" der Kneipe, die auch mir geblieben war. Er trägt es mit Fassung: Bis zum ersten hysterischen Kichern vergehen mehrere Minuten.
Marc, unser Verleger und ich sitzen danach noch eine Weile im Schankraum und planen eigentlich schon, unsere Zelte abzubrechen, als zu 21:00 Uhr doch noch Publikum eintrifft. (Unsere tapfere Helferin von der Kneipe hat ein paar Freunde zusammengetrommelt.) Marc nimmt noch einmal am Mikrophon Platz und fängt an zu lesen.
Anderthalb Stunden später verläßt er seinen Platz deutlich glücklicher. Zwei der Zuhörer stellen sich als Journalisten von Fantasy- bzw. Literaturmagazinen heraus. Marc hat ein Interview sicher.
Wir einigen uns auf eine Viertelstunde Pause, danach lese ich aus dem "Falkenflug".
Magie senkt sich über den Raum. Beim Lesen sehe ich immer wieder in die Mienen meiner Zuhörer. Sie hängen an meinen Lippen.
Ich schaffe es gerade so, meine Lesung zu Mitternacht zu beenden und den Platz für den nächsten Autor zu räumen. Einer der Journalisten stellt Detailfragen zum Setting und bittet auch mich zu einem Interview.
Irgendwann um halb zwei Uhr morgens kippe ich todmüde von der Wolke, auf der ich geschwebt habe, aus dem Taxi, in das ich irgendwie gekommen bin, in mein Quartier. Die Uhren schweigen. Mein Gastgeber hat tatsächlich die Batterien rausgenommen. Das Bett ist immer noch hart, aber das macht nichts. Daß ich nicht schlafen kann, muß irgendwie mit der Euphorie zusammenhängen.
4. Akt: Sonntag -- "Zugabe!"Nach ein wenig nettem Geplauder mit den Gastgebern meiner Unterkunft verlasse ich etwas wehmütig Leipzig. Am Bahnhof bleibe ich noch ein wenig in einem gut besuchten Literaturcafé sitzen. Ein intellektuell wirkendes Paar mit Teenager-Sohn setzt sich mangels freier Tische zu mir. Wir kommen ins Gespräch. Als ich gehe, fragen sie mich noch ausdrücklich nach einem Flyer zum "Falkenflug", den ich ihnen mit Freuden dalasse.
Im Zug, auf der anderen Seite des Mittelgangs, sitzen zwei Damen, die, ihrem Gespräch nach zu urteilen, auch auf der Messe waren. Wir kommen ins Gespräch. Als ich mich als Fantasy-Autor vorstelle, heißt es: "Sie sind meine Rettung! Mein Sohn hat mir aufgetragen, ihm auf der Messe ein Fantasy-Buch zu besorgen." Wieder bin ich einen Flyer los, diesmal signiert. Kurz vor Berlin halte ich den beiden Damen noch eine improvisierte Lesung im Zug. Sogar diejenige, die gesagt hatte, Fantasy sei eigentlich nicht ihr Genre, hängt an meinen Lippen. Ich muß grinsen wie ein Honigkuchenpferd: Dafür lebe ich!
Hinter Berlin habe ich die Messe endgültig hinter mir gelassen.
Ich freue mich auf die nächste.