Gibt im Prinzip nicht immer der SL den Ton an?
Wenn
allein der SL den Ton angibt, ist das Regelwerk - und die Charakteroptionen, die darin enthalten sind - letztlich nur Blendwerk.
Sollte man sich darauf verständigen, dass der SL es sein sollte, der die Gleichgewichte innerhalb des Abenteuers herstellt, reicht ein schlankes System wie das von Dungeon World, wo der SL mit einigen Maximen ausgestattet wird, in welcher Weise er "balance" herstellen kann.
Zum Beispiel: Zeig einem Spieler die Schwäche seiner Klasse auf.
Soll die "balance" aus dem Regelwerk selber kommen, braucht man eine strengere Formalisierung und ein Verständnis davon, was genau im Fokus der Ausgewogenheit stehen soll. Bei der Austarierung des Echtzeitstrategiespiels "Starcraft 2" wird auch immer wieder betont, dass es nicht allein die Rassen sind, die gegeneinander ausbalanciert werden müssen, sondern insbesondere die
Karten, auf denen sie aufeinandertreffen. Auch die D&D-Klassen existieren ja nicht im luftleeren Raum; stattdessen brauchen sie ja einen Ort, wo sie sich erproben müssen.
Surtur hat oben schon zu Recht gesagt, dass man sich erst einmal darauf einigen müsste, was der Standard sein soll, wonach die "Leistung" einer Klasse bewertet werden müsste. Die 4E sagt das ja ziemlich klar - es ist der Dungeon-Crawl mit einer vorgefertigten Menge an Kampf-Encountern, die in Sachen Schwierigkeit vom Level der Gruppe abhängen; und die Effizienz der Klassen hängt von ihrer Tüchtigkeit innerhalb einer von vier festgelegten Rollen ab.
Das bedeutet nicht, dass man in diesem System nichts anderes mehr spielen kann, aber abseits dieses Bezugsmusters ist die 4E auch nicht mehr "balanciert".
Die 3.Xer Version ist weniger formalisiert, tut aber mit ihren Challange Ratings so, als wäre sie es. Auch die überschwänglichen Charakterbaumöglichkeiten suggerieren dem Spieler, dass er sich taktisch an seinem Charakterblatt austoben könne und dies dann eine gewichtige Rolle beim späteren Spiel finden soll.
Dagegen spricht dann, dass es letztlich doch wieder die Aufgabe des Spielleiter zu sein hat, das Gleichgewicht innerhalb der Gruppe mit Dungeon-World-artigen Moves herzustellen, das durch die Charakterbauoptionen erst durcheinandergeraten ist. Natürlich kann ein erfahrener - und allmächtiger - Spielleiter dem Wizard qua einer Kampagnenwelt voller Augentyrannenmütter, aus deren Augen Beholder quellen, seine Grenzen setzen.
Dass es aber diesen allmächtigen Spielleiter allererst braucht, um das Gleichgewicht zwischen Kämpfer und Magier zu wahren, zeigt doch ganz deutlich, dass das Grundgerüst debalanciert ist und man sich da weder auf die Normen zur Encounterherstellung noch auf die Kaufabenteuer verlassen kann, um die Ausgewogenheit in der Gruppe zu sichern.
Das komplexe und "harte" Regelwerk der 3E macht aber gerade diese Aufgabe sehr schwierig. Doch gerade, weil es schwierig ist, finden ja viele "Veteranen" unter den Spielleitern diese Aufgabe besonders reizvoll.
Ich versuche (ernsthaft) zu verstehen, wie ein System generell für alle möglichen Spieler gebalanced werden soll, wenn die Spielumgebung für jede Gruppe so individuell ist.
Ich denke, dass verschiedene Spiele hier unterschiedliche Wege gehen. Aber der allmächtige und erfahrene SL ist nicht in allen die Antwort.
Bei Marvel Heroics ist der SL im festsetzten seiner Schwierigkeitsgrade selber an eine taktisch einsetzbare Würfelressource gebunden; bei Fate-Spielen ist der Einfluss der Spieler durch die Ökonomie der Fate-Punkte gesteuert.
Die 4E geht dann konsequent den Weg einer viel strikteren Formalisierung, während Dungeon World sich ganz auf narrative Kontrolle verlegt und den SL dafür mit Moves - und nicht mit simulationistischem Regelkleinklein - ausstattet, um zu verhindern, dass sich irgendwer unter den Spielern benachteiligt oder übervorteilt fühlt.