Autor Thema: [Gedicht] Virus  (Gelesen 987 mal)

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Offline Grey

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[Gedicht] Virus
« am: 3.02.2014 | 22:22 »
Hiho zusammen,

das nachfolgende Gedicht stammt nicht von mir. Leider kenne ich den ursprünglichen Verfasser nicht (außer unter Pseudonym), sonst hätte ich ihn ergoogelt und angeschrieben. Ursprünglich entstanden ist dieses Gedicht um 1990, und zwar -- haltet euch fest -- als Verarsche im Rahmen einer Projektwoche an einem Essener Gymnasium. Dem federführenden Literaturlehrer wurde hier (mit Erfolg) vorgegaukelt, es gäbe eine Literaturgattung namens "Depressionismus", der u.a. auch Sartre zugerechnet werde.

Meiner Einschätzung nach gibt es diese Literaturgattung; es handelt sich dabei um die Sammlung der Gedichte, die eigens für diese Projektwoche entstanden. Auch wenn die Datumsangaben und Dichter-Biographien frei erfunden waren: Die Gedichte waren Kunst, und dieses hier ist aus der ganzen Sammlung mein Favorit.

Hier also, damit es der Nachwelt erhalten bleibt und sich vielleicht, seinem Namen getreu, im Netz weiterverbreitet: "Virus" von Emeralda Grünstein.


Zitat von: Emeralda Grünstein
Virus

Allgemeine Bettruhe wird verordnet
auf den Feldern der Ehre.
Flakscheinwerfer jagen über die geschorenen Schläfen der Schläfer
und kriechen unter die schweren Lider
die zu finden, die sich weigern
das Denken einzustellen.
Die wenigen Delinquenten werden abgeführt
vor den glasigen Augen automatischer Totenwachen.

Es ist egal, so egal.
Wen würden Sie heute heiraten, wenn morgen die Welt unterginge?
Es ist egal, so egal.
Nichts, wofür es sich lohnt,
einen Schwur zu leisten,
so wahr mir Gott helfe.

Unbekannter Bruder, zieh dir warme Sachen an.
Das dritte Programm sendet Schnee.
Mach eine Lawine aus deinen Gedanken
und begrab mich darunter.
Und in viertausend Jahren, unbekannte Schwester,
bin ich der Beweis,
daß wir gelebt haben.
Keiner wird mich fragen, ob ich Opfer
oder Täter war, auch ich
wüßte es nicht zu sagen.
Schalt mich ab, unbekannter Vater,
aber sag Mutter nichts, sie macht sich Sorgen
im anderen Programm.

Es ist egal, so egal.
Wen würden Sie heute im Stich lassen, wenn morgen die Welt unterginge?
Es ist egal, so egal.
Nichts, wofür es sich lohnt,
einen Schwur zu brechen,
so wahr mir Gott helfe.

Ein Hochglanztrauma
mit den besten Empfehlungen des Hauses.
Ein rasender Dilletanz ums rostige Kalb.
Eine Zigarettenpause fürs Gehirn.
Eine Impfung gegen Fragezeichen.
Eingeplanter Störfall.
Eine ewigbunte Explosion.
Ein schönes Leben.
Nur der Herzschlag stört.
Meine Augen wollen nicht mehr.

Es ist egal, so egal.
Schweigeminute.
Ich werd' euch lehren, ehrbaren Kaufleuten die Zitrusfrucht zu gurgeln!
--
Lust auf ein gutes Buch oder ein packendes Rollenspiel? Schaut mal rein! ;)