Dieses ganz klar "Wir wissen was das gute ist und kämpfen dafür" ist eine Einstellung die man sehr stark von den USA hat und sie ist Teil des Superheldengenres (abgesehen von einigen Ausnahmen, die schon eher Genrekritik sind).
Erst einmal: Selbst wenn das stimmt, erklärt das ganz und gar nicht, warum Superheldensysteme in Deutschland selten gespielt werden. Denn was ist das beliebteste Rollenspiel in Deutschland? DSA, ein Spiel, in dem man im Einsteigerabenteuer mit der Keule eingebläut bekommt, dass man die GUTEN spielt. Auch sonst im Fantasy: Moralische Grautöne oder Zweifel der Helden sehe ich im Herrn der Ringe auch nicht wirklich, da ist ziemlich klar, was und wer gut und böse ist - und ich würde behaupten, dass der Großteil der Fantasyrunden genau in der Richtung spielt und nicht lange rumdiskutiert, welche Rechte Orks und Untote haben oder welche gesellschaftlichen Veränderungen ein Wetterspruch mit sich bringt.
Ansonsten bewegst du dich hier gefährlich nahe an True Scotsman-Gewässer heran ("Bei Superhelden weiß man, was gut und was böse ist, wenn man es nicht weiß, ist es Genrekritik.") Watchmen ist inzwischen über 20 Jahre alt und was da diskutiert wurde, hat den Superheldenmainstream schon längst erreicht. Natürlich gibt es nach wie vor bunte Actionabenteuer und epische Storylines über den Kampf gegen kosmische Schurken (und das ist auch gut so!), aber es gibt daneben extrem viele Reihen, in denen die Helden sich nicht sicher sind, ob sie das Richtige tun oder sogar genau das Falsche tun, in denen zweifelhafte Methoden für höhere Ziele eingesetzt werden, in denen der Platz in der Gesellschaft gefunden werden muss, in denen sie Identitätskrisen haben, mit ihren Charakterschwächen kämpfen und ihre Ideale verraten. Noch mal: das ist kein Randphänomen, das ist mitten im gerade publizierten Superheldencomic-Mainstream.
Und genau das kann man im Rollenspiel natürlich auch machen.
Bei einer sehr schicken "With Great Power"-Runde auf dem Großen haben wir eine Gruppe aus Helden gespielt, die zu den Heavy Hittern ihres Universums gehören (Doctor Strange-Niveau) und sich von ihrem Äquivalent der Justice League abgesetzt hatten, weil ihnen "wir hauen den Bösen auf den Kopf" nicht mehr gereicht hat. Mit ihren Kräften könnten sie die Welt nachhaltig zum besseren verändern - aber dürfen sie das? Oder sind sie nicht sogar moralisch dazu verpflichtet, auch gegen Widerstände? Profitieren nicht am Ende alle davon, wenn sie einfach eine Utopie erschaffen?
In der aktuellen Marvel Heroic-Runde spielen wir die Civil War-Storyline und wer da die Bösen sind... Ist es Iron Man, der meint, dass die Superhelden sich bei der Regierung registrieren sollten, weil die Öffentlichkeit das will und weil ein gewisses Maß an Kontrolle das Leben für alle sicherer macht? Ist es Captain America, der meint, dass man niemanden zur Registrierung zwingen sollte, weil viele Helden ihre Identität aus gutem Grund geheim halten und man nur die gefährdet, die eigentlich die Menschen schützen?
Ich spiele Cap und der ist inzwischen ganz schön am Zweifeln, ob er und seine Ideale eigentlich noch relevant sind - so weit, dass er schon Iron Man seine Maske vor die Füße geworfen hat, damit der sich einen neuen Captain America suchen kann.
Das gesagt: Ich sehe absolut nichts Kindisches und Falsches daran, einfach mit coolen Kräften um sich zu werfen und die Guten (tm) zu spielen. Und ich ärgere mich jedesmal, wenn das impliziert wird.