Tatsächlich ist dies ein Effekt von Klassen, aber ob man das Schublade, Orientierungshilfe oder Nischenschutz nennt (und von Drängen, Unterstützen oder Verteilen spricht) macht einen gewaltigen Unterschied aus.
Ja, das macht einen Unterschied.
Ich fange mal hinten an: Nischenschutz finde ich gerade in Spotlight-orientierten Runden sehr wichtig. Es bedeutet praktisch, dass jeder einen Aspekt hat, in dem er glänzen kann.
Nischenschutz erreicht man am besten in ausbalancierten Systemen und wenn die Spieler vorher über ihr Wunschrollen sprechen.
Das Klassen Nischenschutz nicht unbedingt fördern, sieht man sehr leicht, wenn zwei Spieler sich die gleiche Klasse auswählen: Wenn bei D&D zum Beispiel 2 Kämpfer vorhanden sind, wird es mit dem Nischenschutz echt schwer. Wenn ich bei Gurps oder Savage Worlds zwei Kämpfer habe, gibt es kein Problem damit, dass beide Kämpfer unterschiedliche Nischen finden.
Orientierungshilfe besagt ja erstmal, dass ein Neuling einen Leitfaden hat, an dem er sich entlanghangeln kann. Das kann durchaus eine Klasse sein. Viel effizienter dafür finde ich jedoch Beispielcharaktere: Wenn einfach mal 5 Beispielcharaktere abgebildet sind sowie eine Beispielgenerierung für einen der Beispielcharaktere, dann ist das imho wesentlich hilfreicher.
Klar, Beispielcharaktere kann es in klassenbasierten und klassenlosen Systemen geben. Aber in allen Fällen hilft so eine Auswahl von Beispielcharakteren wesentlich mehr als Klassen.
Schublade besagt, dass zwei Personen, die spezielle Eigenschaften gemein haben, sich auch in anderen Eigenschaften sehr ähneln. Zum Beispiel: Wenn jemand gut mit dem Schwert umgehen kann, dann kann er auch schwere Rüstungen tragen. Wenn jemand schleichen kann, dann kann er gut mit Dolchen umgehen. Wenn jemand aus einem Buch zaubert, dann ist er intelligent und hat an einer Akademie das Zaubern gelernt. Wenn jemand Naturgebunden zaubert, dann kann er sich auch in ein Tier verwandeln. Wenn jemand am besten Pfeil&Bogen beherrscht, dann ist er im Wald großgeworden. Wenn jemand sehr gut mit bloßen Händen kämpfen kann, dann ist er ein Mönch.
Das alles sind Beispiele für Schubladen. Und so etwas wird nunmal durch Klassen gefördert.
Klassenlos kann man diese problemlos brechen: Dort kann man auch einen Magier von einer Akademie spielen, der nicht aus Büchern zaubert und sich in Tiere verwandeln kann. Dort kann man waffenlose Nahkämpfer spielen, die nicht im Kloster großgeworden sind.
Disclaimer: Das ganze jetzt am Beispiel eines speziellen Klassen-RPGs. Für andere klassenbasierte RPGs mag es andere solcher Zusammenhänge geben, aber sie existieren.
Ich glaube eher nicht. Im RL würde eine solche Antwort eher Befremden auslösen. Man rechnet auf die Frage, wer oder was man sei, doch tatsächlich mit Schubladenantworten wie: Ich bin Steuerberater, Familienvater, Student, Mediziner, Selbstständiger, Arbeitsloser oder dergleichen.
Richtig.
Aber es kommt eben immer wieder vor, dass man aus der Schublade ausbricht:
Der Steuerberater, der als Hobby Bergsteigen oder Karate hat.
Der Student, der sich zu Hause um seine drei kleineren Geschwister kümmern muss und deswegen gar nicht richtig zum studieren und/oder feiern kommt.
Der Akademiker, der seinen Titel nur durch Bestechung bekommen hat.
Der Arbeitslose, der dank Lotto-Spielen Millionär geworden war und deswegen seinen Job gekündigt hat.
Der Selbstständige, der sich ein eigenes Grundstück gekauft hat und dort halb-autark mittels Subsistenzwirtschaft lebt.
Oder weshalb es weniger kreativ sein, mehr Einschränkungen mit sich bringen sollte, wenn man im Spiel genauso vorgeht wie im richtigen Leben auch?
Ich habe kein Problem damit, dass man sich mit der Sache vorstellt, die einem hauptsächlich prägt. Ich habe halt eher ein Problem damit, dass diese Sache dann auch den ganzen Rest von dir bestimmen soll.
Klar, das Klischee sagt, dass Steuerberater unsportlich und geldgierig sind. Aber was spricht dagegen, ein Steuerberater zu sein, der in seiner Freizeit bergsteigen und Mittelalterfechten betreibt? Klar, wenn die Person sich vorstellt, wird sie sich nicht als Bergsteiger oder Mittelalterfechter vorstellen. Sie wird sich immernoch als Steuerberater vorstellen. - Aber dennoch sagt das jetzt nichts darüber aus, ob sie auch gut bergsteigen und/oder fechten kann.