@Huntress: Kannst du mal ein etwas ausführlicheres Beispiel machen, wann für dich ein auf der Makroebene linear aufgebautes Szenario RR ist und wann nicht?
Schwierige Frage. Ich versuchs mal:
Das Abenteuer geht um eine Karawane durch eine lebensbedrohliche Wüste voller Räuber und Monster. Im Schnitt 40 Tage soll die Reise dauern. Das Setting ist ein Low Magic Fantasy Setting, in dem solche reisen nicht durch Teleportation oder fantastische Reisegeräte (Luftschiffe) obsolet werden. Die Karawane transportiert neben den notwendigen Vorräten auch wertvolle Güter und eine Person, die aus irgendeinem Grund in die Zielstadt gebracht werden soll, aber nicht unbedingt von sich aus hin will. Beispielsweise (ein bisschen sexistisch) eine Tochter des Karawanenherren, die zwangsverheiratet werden soll. Unter den Karawanenarbeitern befindet sich ein Verräter, der für ein konkurrierendes Handelshaus arbeitet und versuchen wird, im Laufe der Karawane so viel Schaden wie möglich anzurichten und sogar die Begleitperson entführen will. Da die Karawane sehr klein ist, werden nur die Charaktere als Wachen angeheuert.
Sowas ist ein wunderbares Feld für vorgegebene Szenen auf der Makroebene. Die Charaktere können praktisch nur einen Weg entlang gehen, nämlich den Pfad der Karawane, weil links und rechts nur Wüste ist. Der Spielleiter hat eine Liste von Begegnungen vorbereitet:
- Erster Räuberüberfall
- Wüstenwölfe greifen Lastkamele an
- hilfreiche Beduinen
- Überzeugungsversuch der Begleitperson (z.B. Verführung, Bestechung)
- Erster Sabotageakt: Warenvernichtung
- Provokation durch Begleitperson (z.B. Streit unter den Händlern)
- Treibsand mit Riesenameinsenlöwen
- Fluchtversuch der Begleitperson
- Zweiter Sabotageakt: Verpflegung
- Zweiter Raubüberfall
- Sandsturm
- Verirrung
- Monster (Mantikor)
- Entführung + Befreiung der Begleitperson
- Ankunft in der Zielstadt
Die Reihenfolge dieser Szenen ist vorgegeben. Sie enthält sogar eine gewisse Dramaturgie. Das würde ich sagen, ist auf der Makroebene linear.
Ziel des Ganzen ist wohl schon, dass die Karawane sich immer weiter ausdünnt und die Charaktere am Ende mit nichts als ihrem nackten Leben und der Begleitperson halb verdurstet in der Zielstadt ankommen und mittlerweile eingesehen haben, dass es falsch ist, die Begleitperson zu ihrem weiteren Schicksal zu zwingen.
Die Voraussetzung für Railroading wird mMn dann vorliegen, wenn die Resultate jeder Szene vorgegebene sind und vom Spielleiter unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen durchgeboxt werden:
Wenn beim ersten Überfall der gefürchtete Räuberhauptmann sich komme was wolle zurückziehen kann und die Charaktere auf jeden Fall genau 1 Warenkamel verlieren - aber nie mehr.
Wenn bei der Wolfsbegegnung auf jeden Fall ein Lastkamel draufgeht, aber auf keinen Fall mehr.
Wenn die Beduinen auf jeden Fall helfen, egal wie unverschämt die Charaktere auftreten.
Wenn die Charaktere gar nicht auf den ersten Überzeugungsversuch der Begleitperson eingehen dürfen.
Wenn der Saboteur auf jeden Fall Erfolg hat und nie gefasst werden kann.
Wenn die Provokation zwangsläufig in einer Gewalttat endet.
Wenn auf jeden Fall 1 Verpflegungskamel im Sand versinkt und/oder vom Ameisenlöwen gefressen wird.
Wenn der Saboteur wieder zwangsläufig Erfolg hat.
Wenn der Räuberhauptmann auch im zweiten Kampf entkommt (weil er mit dem Saboteur zusammenarbeitet und erst bei der Befreiung der Begleitperson getötet werden darf).
Wenn im Sandsturm zwangsläufig die Gruppe von allen übrigen Kamelen und Treibern getrennt wird.
Wenn die Verirrung so lange anhält, bis die Charaktere eine vorgeschriebene Erschöpfungsstufen durch Verdursten erlitten haben.
Wenn im Kampf mit dem Monster (oder denen davor) die Würfel gedreht werden, um den Tod der Begleitperson oder der Charaktere zu verhindern.
Wenn der Saboteur die Begleitperson auf jeden Fall erfolgreich entführen kann.
Wenn die Charaktere unabhängig von all ihren Reiseereignissen zu spät ankommen, um die Begleitperson ihrem Schicksal zuführen zu können/müssen (dann nimmt das Abenteuer den Spielern diese Entscheidung ab) oder auf jeden Fall rechtzeitig ankommen, um es zu tun (dann werden die Aktionen der Charaktere für ein schnelleren/langsameres Vorankommen der Karawane nicht berücksichtigt).
Aber alle diese Szenen könnte man auch offen und mit unterschiedlichen Konsequenzen für den späteren Verlauf spielen. Dann kommen am Ende die Charaktere vielleicht nicht halb verdurstet an, und die Begleitperson ist auf halber Strecke geflohen oder tot, aber der Saboteur wurde trotzdem früh gefasst, oder es bleiben ein paar Kamele mit Waren übrig, für die es eine Extrabelohnung gibt. Man kann auch nur einen Teil der Szenen als Konfliktszenen spielen und einige als Atmosphäre oder Infobeschaffung (z.B. die Beduinen, die Gespräche mit der Begleitperson), aber wichtig ist, dass die Szenen, wo die Spieler glauben, dass ihre Charaktere etwas bewirken können, das unterschiedliche Konsequenzen hat, auch tatsächlich solche Szenen sind und unterschiedliche Konsequenzen haben.