Die fixe Idee, Drama (gerne auch umschrieben mit "eine gute Geschichte") könne nur mit einem starken SL funktionieren, ist meiner Meinung nach einer der ärgerlichsten und am schwersten totzukriegenden Irrtümer der Geschichte unseres Hobbys. Zugrunde liegt ein solcher Sumpf von Missverständnissen, dass es einer Herkulesaufgabe gleichkommt, ihn trocken zu legen. Das größte aller Missverständnisse aber ist dieses:
"Die Spieler sind die Feinde des Dramas. Wenn man den Spielern ihren Willen lässt, machen sie alles kaputt. Deswegen braucht man den SL, um die Spieler unter Kontrolle zu halten." Natürlich, wenn man mal kurz drüber nachdenkt, ist das absurd. Wenn die Spieler kein Drama wollen, warum sollte man es ihnen dann aufnötigen? Wer hätte denn etwas davon? Und warum wollen die Spieler das Drama nicht? Kann natürlich sein, dass es einfach nicht ihr Ding ist, aber vielleicht ist es schon ihr Ding, nur eben nicht so, wie der SL es macht. All diese traurigen Negativbeispiele beruhen im Wesentlichen darauf, dass also der SL den Spielern nicht zutraut, ein ordentliches Drama zu spielen, und die Spieler dem SL dasselbe ebenso wenig zutrauen. Und manchmal vielleicht sogar zu Recht.
Wenn du hingegen Mitspieler hast, die ein gutes dramaturgisches Gespür haben, die kreativ und auf einer Wellenlinie sind, die bereit sind, einander zu vertrauen und Kontrolle abzugeben, dann ergibt sich alles Weitere von selbst. Dann hängt es von den Erfordernissen der Handlung ab, wer wie dominant ist. Es gibt spielergetriebenes Drama, hier verfolgen die SCs eigene Ziele und fechten ihre eigenen Konflikte aus. Und es gibt SL-getriebenes Drama, bei dem NSCs und äußere Umstände eine wichtige Rolle spielen, bei dem es auch ohne ein Eingreifen der SCs eine Handlung gibt, die dann in der Regel böse enden würde. Vielleicht hat der SL eine relativ klare Vorstellung davon, was die SCs dann wohl dagegen unternehmen und wie alles ausgeht, und vielleicht kommt es dann auch genau so, weil die Spieler dabei mitziehen, aber der SL muss die Spieler dafür begeistern, und er muss die Ideen und Beiträge der Spieler so aufnehmen, dass sie sich in das Drama einfügen, dass sie ein Bestandteil davon werden, und nicht bloß an der vom SL inszenierten Handlung abperlen. Und natürlich gibt es auch Mischformen, bei denen beides parallel stattfindet.
Ich persönlich bevorzuge auch eher spielergetriebenes Drama oder Mischformen gegenüber dem rein SL-getriebenen Drama, habe aber neulich auch mal wieder letzteres geleitet und es war auch gut.
Wer übrigens glaubt, dass das ursprüngliche Vampire auf SL-getriebenes Drama bis hin zu Railroading ausgerichtet war, der liegt so falsch, wie man nur liegen kann. Ich empfehle die Lektüre des Artikels "The Art of Storytelling" von Mark Rein-Hagen im V:tM Storyteller's Guide, 1st Edition.