Hm, interessanter Post! Und zwei Antworten.
#1
Ich finde, dass D&D über die letzten beiden Edition massiv besser darin geworden ist, mit Konzepten und Ideen zu arbeiten. Die großen Kampagnen haben eigentlich fast alle ein gewisses Flair, eine Grundidee, und immer auch richtig coole Details, die am Spieltisch 1:1 übernommen endlos Spaß machen. (Ich habe tatsächlich eher Probleme mit den praktischen Verbindungen, wie beizeiten auch in der OSR.) In den frühen Abenteuern und auch bei Sachen wie Pathfinder hatte ich viel eher das Gefühl, dass auch mal random Encounter mit random Monstern aneinandergeklatscht wurden. Das kommt zwar heute auch noch vor, gerade in manchen Dungeons und gerade in den Anfangsjahren der Edition (Princes of the Apocalpyse war schon ein Graus zu LESEN ...), aber dieses Wegwerf-Feeling habe ich nur noch sehr selten.
Ja, an die abgefahreneren OSR-Abenteuer kommen die Abenteuer kaum ran, was Kreativität & Spezifität angeht, aber ...
#2
Gerade als OSR-Fan würde ich sagen, dass du diese "Inhaltsleere" von vanilla D&D unterschätzt. Die hat imho nicht nur einen Reiz für ein Medium, das praktisch aus dem Ausfüllen von Leere besteht, sie ist in einem gewissen Sinne sogar der Kern.
Die OSR selbst hält ja immer dazu an, fehlende Dinge spontan zu ergänzen. Der einzige Unterschied ist die (imho eher philosophische) Frage, was man den Lesern vorrangig bieten möchte: Unterstützung durch fertige, spezifische Ideen, mit denen man das Spiel am Tisch aufbaut, wie in der OSR, oder Unterstützung durch ein fertiges Grundgerüst, auf dem man das Spiel aufbaut, wie in D&D. Mancher denkt sich lieber eigene Ideen für ein Grundgerüst aus, mancher baut lieber ein eigenes Grundgerüst um fertige Ideen; ich kann mit beidem was anfangen, aber DAS RPG SCHLECHTHIN (tm) darf sich gerne auf das Gründgerüst fokussieren.
Insofern würde ich auch vehement widersprechen, dass Glattbügeln u.ä. keinen Mehrwert bietet: Die OSR ist für Supernerds wie uns, die D&D mehrfach durchdeklariert haben und neuen Stoff direkt in die Venen wollen. Meiner Erfahrung nach ist das den meisten Leuten viel zu viel, und oftmals viel zu speziell (Leute wie Raggi haben das gut verinnerlicht). Diese Leute nehmen dann lieber das "Glattgebügelte", finden dadurch einen sehr viel offeneren, weiteren gemeinsamen Nenner und bauen sich ihr eigenes Spiel darin auf.
Es ist in meinen Augen weder ein Zufall noch ein Problem, dass ziemlich viele Anfänger-Runden den großen Kampagnen ihren eigenen Twist verleihen oder nach ein paar (dutzend) Abenden in eine gänzlich andere Richtung abbiegen.
Wobei natürlich auch viele gute OSR-Abenteuer auf derselben Art von Leere basieren statt nur damit zu arbeiten. Ich habe bspw. gerade den "Black Wyrm of Brandonsford" gelesen, und ich glaube, ich habe noch nie so selbstverständlich beim Lesen gendergeswitched und interessante NSC-Details ergänzt, weil alles so basic und as written eher uninteressant ist. Das ist aber halt offensichtlich sehr gewollt.
Der Hauptgrund, warum sowas nicht dominant ist, dürfte genau die Abdeckung durch vanilla D&D sein. Hot Take also: Wären D&D-Abenteuer komplett interessant und kreativ wie die "wilden" Ecken der OSR, hätte sich eine OST entwickelt, die genauso wie unser D&D funktionieren würde, als Gegenbewegung. Allerdings wäre D&D dann auch nicht so erfolgreich wie es heute ist.
Vielen Dank für den Beitrag, bei dem ich rein smalltalk-mäßig anknüpfen und mit vollkommen anekdotischer Evidenz unterstreichen will:
Ich habe gerade eine Gruppe an Spielenden, die heilfroh um DnD 5e sind, obwohl sie definitiv außer dem Namen keinerlei Marketing-technischen Bezug zu D&D haben. 4/5 Spielenden schauen mWn kein Critical Role, nutzen die x Streams auf welchen Podcasts und Twitch und sonst wo auch immer nicht.
Wir hatten anfangs eine sehr offene, Hexfeld-basierte Kampagne gespielt und alle hatten Bock und Spaß, aber sie wünschten sich mehr Struktur. Ich hab das Ganze dann in Curse of Strahd überführt und gleichzeitig das System auf DnD5e gewechselt, weil ich keine Lust hatte, irgendwelche Stats umzuschreiben und ich das Gefühl hatte dass das etwas simplere Grundsystem der Gruppe helfen könnte (wir haben davor noch Genesys gespielt).
Seit wir CoS spielen (und nicht Hexcrawl) haben die Spielenden noch mehr Spaß, weil die Story viel strukturierter ist; sie genießen das System (from Zero to Hero to God) und die Kampagne, die wir spielen, hat inzwischen auch gar nicht wirklich was mit CoS zu tun, wie es geschrieben ist - weil meine Gruppe für Strahd arbeitet und gerade alles dafür tut, mit Lady Wachter das nächste Fest des Barons zu vermasseln.
Hier ne kleine Änderung von mir, nur weil ich wissen wollte, ob sie es tun werden: Sie werden die St. Andral Knochen selbst stehlen, um mehr Chaos zu verbreiten
Ich denke, den Erfolg von 5e nur auf Marketing zurückzuführen, ist ein bisschen eine Art des Attributionsfehlers... Klar: Die 5e hat Schwächen (das hatten aber mWn auch andere Versionen davor, ich habe nur geringer Einblick in 2e und 5e; aber eigentlich haben ALLE Rollenspiele Fehler, ich habe noch nie ein Rollenspiel gefunden, mit dem ich 100% zufrieden war); sie hat aber vielleicht dennoch einfach den sweet spot getroffen, der sicherlich viele "Supernerds" weniger begeistert als die Neueinsteiger oder die Gelegenheitsspieler. Meiner Gruppe gefällt es, und ich habe auch viel Spaß damit, also alles richtig gemacht. Ohne den Marketing-Einfluss.