Classic World of Darkness.
Quasi ein wohlwollenderer Ausdruck für "Old World of Darkness" (=oWoD).
@topic:
Da das meiste schon gesagt wurde, mal kurz noch meine Einschätzung zur
cWoD – die nWod habe ich nie wirklich gespielt, zum einen weil ich bei Erscheinen das Geld lieber für andere Rollenspiele ausgeben wollte; zum anderen, weil damals der cWoD-Mainstream Deutschlands die Neuauflage weitgehend boykottiert hat (besonders die deutsche Vampire-Spielerschaft habe ich da in negativer Erinnerung)... es war einfach unmöglich in meiner Umgebung (Mittelrhein) jemanden zu finden, der die Bücher hatte und bereit gewesen wäre, es zu leiten. Und da ich mit der cWoD ohnehin bereits ein, meiner Ansicht nach, interessantes Portfolio an Settings in die Richtung hatte, sah ich keinen Anlass, mich da selbst reinzuknien. In der Nachbetrachtung mag das anders sein.
Eine Sache, die vielleicht noch nicht erwähnt wurde (oder gar nicht genug betont werden kann):
Die cWoD ist ein Spiel, das X behauptet zu sein, dabei aber in Wirklichkeit Y ist, obwohl die Autoren ursprünglich eigentlich Z wollten. Konkret: Du wirst in der cWoD immer wieder den phänomenal unzutreffenden Begriff des
Gothic-Punk lesen. Die cWoD ist
Gothic-Punk, heißt es. Die Implikationen dieses Begriffes sind: Alles ist wie in unserer Welt nur eine Spur stärker in Richtung schwarz gedreht. Die Städte sind voller und schmutziger. Die Slums hoffnungsloser. Die Menschen korrupter. Die Wälder schattiger und gefährlicher. Die Kirchen haben mehr Wasserspeier und die U-Bahntunnel mehr hingeschmierte Anarchosymbole. Ein dunkler gotischer Schleier (gotisch im Sinne von Poe? Oder von Dickens vielleicht? Die cWoD wird da nicht unbedingt explizit) liegt über allem. Alles ist irgendwie
angsty. Depression Deluxe. Das ist der Kern eines jeden cWoD-Spiels. Dieses Bild von
Gothic Punk. Steht in jedem cWoD-Grundbuch ganz vorne, glaube ich. Das ist unser
X.
Gerade die Flufftexte lassen aber keinen Zweifel daran, worum es den Autoren eigentlich ging:
Horror. Die cWoD behauptet von sich, ein Horror-Spiel zu sein. Ein Spiel also, das dich gruselt, dich schreckt, dich in dieses Gefühl wohliger Angst versetzt. Laut den Autoren ist der Auslöser dieser Angst aber nicht eine Bedrohung von außen, wie im Slasher-Film oder beim Survival Horror, sondern eine Bedrohung von Innen. Du bist in der cWoD selbst das Monster und du kommst ganz und gar nicht klar damit. Es ist nämlich Scheiße, ein Monster zu sein. Denn dem Monster nachzugeben, bedeutet, sich zu entmenschlichen (das ist zumindest bei Vampire und Werwolf noch so, aber dazu später). Es gibt in einigen Settings der cWod auch noch Anklänge an kosmischen Horror á la Cthulhu und über allem hängt das drohende Ende der Welt (in verschiedenen Würzstufen übrigens: Bei Vampire könnten die drohenden "letzten Nächte" genauso gut die paranoiden Hirngespinste der uralten Vampir-Bourgeoisie sein, während bei Werewolf die Apokalypse schon im Titel steckt und entsprechend viel Raum im Setting einnimmt und bei Mage... da geht es, wenn wir ehrlich sind, doch um was vollkommen anderes). Aber: Die Macher betonen zumindest bei Vampire und Werwolf den Horroraspekt sehr stark. Und ich glaube um dieses Gefühl der Ohnmacht, ein Monster zu sein, ging es den Autoren auch eigentlich. Das ist unser
Z.
Die Wahrheit ist: X und Z erfüllt die cWoD nicht so wahnsinnig gut. Klar, auf der Story-und der Gruppenebene kann man alles machen, aber auf der Story- und Gruppenebene durchdringt "der langsame Dolch auch den Armatrutz" oder Aliens landen auf Faerun. Die Regeln versuchen zwar etwas dafür zu tun, dass der Spieler Nachteile dadurch hat ein Monster zu sein. Doch tatsächlich ist es so: Vampire haben coole Kräfte. Werwölfe haben coole Kräfte. Magier haben Superstar-McHammergeile-Kräfte. Es gibt keine Ohnmacht: Man ist zu jeder Zeit empowered und viele der "Nachteile" ein Monster zu sein spielen nur dann eine Rolle, wenn der Spieler sie an sich ranlässt – auf der Story- und Gruppenebene eben. Und weil das so ist müssen die Bedrohungen, die sich den SC entgegenstellen natürlich auch eine Stufe krasser sein als normal – hier kommt der kosmische Horror ins Spiel. Aber auch diese Stufen sollen für den Spieler zumindest theoretisch erreichbar sein. Das cWoD-Spiel "Wraith: The Oblivion" ist in seiner Hoffnungslosigkeit und mit seiner Schattenmechanik noch das, was am Ehesten die Ansprüche an ein Horrorspiel erfüllen kann – und das fiel bei den cWoD-Fans gnadenlos durch. Vielleicht weil es zum Spieler eben auch gnadenlos war.
Sidenote:
Eben weil es in der cWoD so toll ist, ein Monster zu sein, ist die cWoD auch das Setting-Konglomerat, dass am Meisten in Allmachts- und Bosheitsphantasien geschwelgt hat. Es ist irgendwo das "Grand Theft Auto" der Rollenspiele: Nirgendwo sonst gibt es meines Erachtens nach so viele Sourcebooks mit Optionen für Charaktere, die sich an den Grenzen des "Moralischen" und des "Guten Geschmacks" bewegen oder diese sogar weit überschreiten. Das geht dann wieder in Richtung Gothic-Punk VS. Horror: Wenn die Welt schon so böse ist, dann darf der SC auch der böseste Badass im Raum sein.
So gesagt: Auf jeden Fall! Die cWoD ist eigentlich
Y und das ist
Urban Fantasy. Besonders bei Changeling und Mage sieht man das sehr schön, denn die
Gothic-Punk-Anteile verschwinden bei diesen Spielen nahezu völlig, zumindest meiner Meinung nach. Changeling ist bunt! Mage ist abgedreht! Die beiden Spiele sind auch weniger, wie soll ich sagen,
körperlich als Vampire und Werewolf. Weniger Blut, weniger Splatter, weniger Dysternis.
Und da ist auch das Problem mit dem Crossover. Die Spiele bewegen sich nicht so sehr in unterschiedlichen Mythologien als vielmehr in unterschiedlichen Farbschattierungen oder gar USK-Bewertungen: Werwolf und Mage z.B. benutzen exakt die gleichen mythologischen Grundannahmen, doch Werwolf ist ein episches Spiel mit Splatter und kosmischem Horror und drohendem Weltuntergang und Mage ist ein eher "gesellschaftliches" Spiel um den Kampf der Weltbilder und den Widerstreit zwischen Sicherheit und Freiheit, Grenzen und Grenzenlosigkeit. Und dann wären da noch die Powerniveaus der einzelnen Splats: Magier können einfach alles, Geister einfach gar nichts. Soviel zum Thema Balancing.
Also, die cWoD bietet exzellenten Stoff, um Superhelden mit Fangzähnen/Wolfsklauen/Zauberformeln/whathaveyou... zu spielen. Es ist in sofern wirklich wie
Buffy: Es tauchen ständig fiese Horrorgestalten aus der Weltmythologie auf... aber Angst habe ich eigentlich nie. Nichtmal geschockt war ich. Außer bei der Szene wo
Und das ist, man ahnt es... genau Story- und Gruppenebene.
(Tatsächlich bin ich mir inzwischen ziemlich sicher, dass das Flair, was die Macher eigentlich mit dem Begriff Gothic-Punk und Horror umreißen wollten, das des
Neo Noir sein müsste. Die Autoren wollten übernatürlichen Neo-Noir in einer grauen Welt mit fähigen, korrupten Antagonisten und ebenso fähigen, kaputten Protagonisten. Die cWoD wollte vielleicht lieber
Constantine sein als
Anne Rice. Jedenfalls lässt sich die cWoD unter dieser Prämisse sehr gut spielen. Das angegebene Flair der nWoD
Dark Mysteries geht auch in der Tat schon eher in diese Richtung.)
Zusammenfassend: Bei der cWoD sind Anpruch, Regelwerk und Settingflair nicht aus einem Guss.
Aber ich liebe diese Settings (oder zumindest ein paar davon), sie haben mich begeistert und begeistern mich auch heute noch – schön sauber auseinandergehalten und jedes für sich betrachtet; beim Crossover halte ich es wie Scimi.
Denn, und das muss man White Wolf lassen, sie haben ein echtes Gespür für
starke Themen (nicht nur in der WoD, das gilt auch für andere Spiele wie "Exalted" oder "Scion". Sie wissen wie sie Splats, Settings und Gruppen mit interessantem Fluff aufladen. Sie nehmen Populärkultur und Mythologie und fügen die souverän zu einem organischen Ganzen, einem motivierenden Ganzen. Vampire ist ein gutes Beispiel: Klar, das Spiel greift nicht alle Vampirmythologien auf, die es auf der Welt gibt... aber die Clans sind die beste Aufarbeitung des Popkultur-Vampirs, die ich bislang gesehen habe. Sie sind klar, auf dem Punkt und wir haben sie alle in der ein oder anderen Form schon mal in Büchern, Filmen und Serien gesehen. Selbiges gilt für die Traditionen bei Mage, die sämtliche Klischees des "irgendwie rumzaubernden Typen" aufnehmen und die Stämme bei Werewolf, die doch sehr dünne Werwolfmythologie der Welt einfach auf ein Fundament von Kulturen pflanzen. Die Hintergrundmythen der einzelnen Fraktionen sind ähnlich stark, ähnlich durchdacht und ähnlich interessant. Allein die Triade der kosmischen Kräfte bei Werwolf: Ich feiere diesen Aspekt des Spiels heute noch als eines der stärksten SL-Tools für das Erzählen mythischer Geschichten, das ich je gesehen habe... und die Vampir-Kains-Mythologie. Nachvollziehbar, grundsätzlich schlüssig.
(Wahrscheinlich ist mein Problem mit der nWoD auch, dass genau diese Organisationen, die Splats, gar nicht mehr besser sein können als sie bereits waren... die der Alten sind einfach schon so gut und ich kann mich auf die einlassen. Es ist für mich mithin logisch, dass Nosferatus hässlich sein müssen...)
Also, White Wolf kann:
Organisationen und
Setting-Mythologien. Können die einfach.
...aber das gilt quasi nur für die GRUNDREGELWERKE und die ersten vorsichtigen Settingbuchversuche. Sobald die Nachfrage steigt und mehr und mehr Bücher von den Fans erfragt werden, neigt WW dazu ihre eigenen Settings sehr stark zu verwässern und ihre grundsätzlich starken Themen abzuschwächen. Da kommen dann obskure Frankenstein-Clans bei Vampire dazu oder Cyberware bei Werwolf. Je länger ein Produkt bei WW läuft, desto weniger Vertrauen scheinen die Autoren für ihre starken Themen zu haben, für die großen Zahnräder, die ihre Welten eigentlich antreiben. Statt die starken Grundprämissen zu variieren, werden die über den Haufen geworfen und neue Fässer aufgemacht, zum Teufel mit unserem Geschwätz von gestern. (Auch das gilt ebenso für andere White Wolf-Spiele: Bei "Exalted" werden die starken naturvölker-mythologischen mit Sonne, Mond und Elementen plötzlich um Roboter, obskure Höllenwesen und ein Settingbuch zum ach-so-vergangenen Zeitalter ergänzt... und bei "Scion" gibt es plötzlich Uncle Sam als Gottheit.)
Und noch ein Aber: So gut White Wolf mit Settings ist, so schlecht sind sie mit Abenteuern oder NPCs für diese Settings. Die sind meistens reißbrettartig, basal, uninteressant, nicht spielbar. Ich bin ein echter Werewolf-Fanboy, aber ich hab in all meinen Büchern noch keinen einzigen NPC gesehen, von dem ich das unbändige Verlangen hatte, ihn benutzen zu wollen. Und bei Vampire fremdschäme ich mich eigentlich nur.
Um's auf den Punkt zu bringen: Solange du bei der cWoD dein eigenes Ding machst kann ich nur sagen: Für mich sind die Sachen immer noch mit die besten Urban-Fantasy-Settings, die du finden kannst. Also wenn du die Möglichkeit hast, gib dem eine Chance.
Die nWoD ist wahrscheinlich aber ähnlich gut. Aber sie hat einen anderen Fokus.