Meinerseits würde ich auch sagen, dass die Frage, welches Regelwerk man verwendet, nicht die zentrale Frage ist, wenn es darum geht, wie Neulingen ein schöner Start in die Welt des Rollenspiels ermöglicht werden kann. Aber ganz unwichtig ist es auch nicht.
Ich würde mal unterscheiden zwischen
Genre
Setting
Abenteuer
Regelwerk
Regelergänzungen.
Genre: grob gesprochen würde ich für Neulinge was suchen, was vom Genre oder Genremix her irgendwo an bekannte Filme, Bücher oder (noch besser) Serien anschließt. Spontan würden mir Fantasy mit nicht so auffälliger und überall präsenter Magie und dafür einem Schuss Western oder Urban Fantasy mit einem Schuss Detektiv- bzw. Polizeiserie einfallen.
Fantasy: So eine Mischung aus Herr der Ringe, eine EDO-Welt, mit Western-Elementen wie in Defiance (klar, ist Sci-Fantasy) oder Serentity/Firefly. Die Charaktere sind ein einer kleinen, schwach befestigten und von feindseligen elementen umgebenen Grenzsstadt mit allerlei skurrilen Bewohnern, die teilweise miteinander zerstritten sind. Statt der Sci-Fi-Elemente aus Definace nehme man bekanntere Fantasy-Elemente. Orcs und Elfen statt Aliens, Magie statt PSI usw.
Urban Fantasy: Hier können so Sachen wie Grimm, Buffy oder Lost Girl Vorbild sein, evtl auch Once upon a time gemischt mit Homeland oder Fringe. Die Spieler sind entweder mythische Wesen (wie die Fae bei Lost Girl) oder jagen diese (Grimm, Buffy, Fringe).
Setting: Hier wirds ein bisschen konkreter. Wie soll das Genre ausgeprägt sein? Welche Konflikte zwischen welchen Parteien stehen im Mittelpunkt? An der Stelle lohnt es sich aus meiner Sicht gerade bei Neulingen zu fragen, wie sie ihre Charaktere ins Setting hineinschreiben wollen. Sind sie die Ordnungshüter in unserer Fantasy-Westernstadt? Oder beschützen sie bestimmte Personen? Arbeiten sie für oder gegen eine Fraktion? Sind alle Fraktionen bekannt?
Abenteuer: Für das erste Abenteuer wäre es mMn ganz gut, wenn es ein klar erkennbares Ziel gäbe, also attraktive Abenteueraufhänger für die Charaktere und Spieler. Dazu eine Abwechslung zwischen Atmosphäre, Informationsvermittlung, offener sozialer Interaktion, Auseinandersetzung mit der Umwelt und Kämpfen. wenn die Charaktere Klassen oder erkennbare Schwerpunkte haben, vielleicht ein oder zwei Spotlight-Szenen für jeden - einmal als soziale Interaktion, einmal als Auseinandersetzung mit der Umwelt. Also für den Dieb ein Gespräch mit halbseidenen Informanten und eine Einbruchs- oder Schleichszene, für den Kämpfer ein Wortgefecht mit rauflustigen Soldaten und eine Szene, wo Reitkunst oder Athletik gut zur Schau kommen, für den Magier eine Diskussion in der Akademie und Recherche im alchemistischen Laboratorium oder der Bibliothek usw.
Regelwerk: Ans Regelwerk kann man nun die Fragen stellen, wie es Genre-, Settings- und Abenteueranforderungen gut bewältigen kann und wieweit es zum Einstieg in ein neues Hobby geeignet ist. Meine persönliche Empfehlung ist immer (weil es meinen Vorlieben entspricht) ein möglichst unbürokratisches Regelwerk zu nehmen, das einen gewissen Wert auf Balance/Ausgeglichenheit der Charaktere legt und alle Charaktere sinnvoll in Kämpfe einbindet.
Savage Worlds hat den Vorteil, dass die beiden oben genannten (und noch mehr) Genres abdeckt, relativ gut die Stärken der Charaktere ausgleicht und mit dem Bennie und Handicap-System auch von Anfang an interessante Charaktere erschafft. Im vergleich zu Schwergewichten wie Pathfinder oder DSA ist es auch regelleicht, trotzdem hat es eine ganze Reihe an Eigenheiten. Außerdem gibt es jedem Genre einen gewissen "wilden" touch, auch wenn es kein reines Pulp-Spiel ist.
FATE Core ohne allzu viel Schnickschnack wäre auch ein Spiel, das für viele Genres, inklusive der oben genannten, geeignet ist. Der Riesenvorteil ist, dass man das Ergebnis aller möglichen Szenen, nicht nur der Kämpfe, mit den gleichen Mechaniken ermitteln kann. Der Riesennachteil ist, dass die FATE-Punkt-Mechanik eine eigene Kunst ist.
Sowohl für Fantasy als auch für Urban Fantasy gibt es Regelsysteme aus der World-Ecke: Dungeon World, Monster of the Week und (mit extra viel Chick Lit Einfluss) Monster Hearts. Mir gefällt an der World Engine, dass sie einen sehr beschreibungsintensiven, erzählspielerischen Ansatz hat, ohne auf Würfel und Mechanik bei der Ermittlung von Szenenverläufen, Ausgängen und Konsequenzen zu verzichten.
Gumshoe könnte ich mir vielleicht für die Urban Fantasy-Variante vorstellen. Wenn Du ein ganz eigenes Setting dafür machen willst, empfehle ich die Mutant City Blues Variante als Ausgangspunkt. Aus den Superkräften werden dann die Zauberkräfte der im Verborgenen lebenden Supernaturals. Für reine menschliche Jäger des Übernatürlichen dagegen würde ich Nights Black Agents vorschlagen. Gumshoe stellt Ermittlungen in den Mittelpunkt, verregelt aber auch recht einfach und eingängig die Action-Einlagen im Rollenspiel.
Dungeonslayers könnte ich mir tatsächlich für die Fantasy-Variante vorstellen. Der große Vorteil ist natürlich, dass es auf deutsch ist.
Was ich eigentlich auch vom Lesen her als ganz eingängig ansehe, ist D&D 5. Fantasy-Western im wilden Grenzgebiet sind eigentlich ein Ur-Thema von D&D, das neue Regelwerk verzichtet auf die verwirrenden Verästelungen in der Charaktererschaffung seiner beiden Vorgängereditionen (insbesondere der dritten) und scheint auch Kämpfe und Fertigkeitsanwendung wieder einigermaßen überschaubar zu machen.
Ebenfalls für Einsteiger geeignet halte ich im Fantasybereich 13th Age. Die Welt ist vielleicht ein bisschen sehr bunt für Menschen, die nicht so an D&D-artige Fantasy gewöhnt sind, aber das kann man anfangs ein wenig herunterschrauben. Die Charakterklassen haben in den ersten Stufen eine überschaubare Anzahl von Fähigkeiten und Spezialeffekten, die Kämpfe verlaufen schnell und das Würfelsystem ist einfach. Positiv finde ich besonders sie Anbindung der Charaktere an die Spielwelt durch "Fraktionswürfel".
Regelergänzungen:
Damit meine ich Sachen, die man aus verschiedenen Rollenspielen klauen kann, um Neulingen den Einstieg und die besondere(n) Art(en) des Rollenspielens deutlich zu machen.
Gut finde ich erstens eine Charaktervernetzung, wie es von den World-Systemen oder FATE vorgesehen ist. Bei den World-Systemen hat jeder SC zu jedem anderen eine besondere Verbindung, die in einem Satz beschrieben wird, z.B. Ich weiß ein Geheimnis des [Klerikers] oder Ich schulde der [Magierin] mein Leben. Bei FATE schreibt jeder Charakter/Spieler in kurzer Form sein "erstes Abenteuer" auf, durch das er aus seinem Alltagsleben gerissen wurde, und zwei andere Spieler/Charaktere schreiben einen Absatz dazu, wie sie dem Charakter dabei begegnet sind und ihm geholfen oder ihn behindert haben.
Zweitens finde ich eine Vernetzung der SCs zur Spielwelt gut. Bei 13th Age z.B. gibt es 13 Ikonen, die gleichzeitig Fraktionen und eine gewisse Weltsicht repräsentieren, und jeder Charakter hat drei Punkte, die er einer oder mehreren Fraktionen zuordnen kann. Am Anfang jedes Spielabends wird anhand der Punkte gewürfelt, inwieweit die Fraktionen Einfluss aufs Spielgeschehen haben. Die Spieler hängen also von Anfang an nicht in der Luft herum, sondern sie legen fest: Mein Charakter hat ein angespanntes, aber nicht feindseliges Verhältnis zum König und zum Königreich bzw. Die Fae der Finsternis nehmen mich als feindlich wahr.
Drittens gefällt mir eine Verbindung von Charakternachteilen und Gummipunkten, wie sie es bei Savage Worlds oder FATE gibt. Auf die Art wird für die Spieler ersichtlich, dass es beim Rollenspiel nicht nur darum geht, irgendwelche vom Spielleiter vorgesetzten "Probleme" oder "Aufgaben" möglichst ressourcenschonend, clever und pragmatisch zu "lösen", oder einer Story möglichst ohne viel wirbel zu folgen, sondern auch mal einen Charakter mit seinen Nachteilen, Schwächen und fatalen Neigungen auszuspielen und zu schauen, was dann passiert.