Hallo liebe Forengemeinde,
Ich möchte kurz eine Beobachtung aus dem PC-Spiele-Bereich beschreiben, und dann versuchen, eine Paralelle zum Pen and Paper zu schaffen:
Level-Content:Vor rund 12 Jahren fokusierten sich PC-Rollenspiele, zu denen ich auch die MMOs zählen will, auf möglichst umfangreichen "Level-Content": Spielinhalt war das möglichst endlose Verbessern des Charakters, der American Dream auf ebene der Spielmechanik; vom Bauernjungen zum Drachentöter, von 5 Schadenspunkten, zu 5000.
Durch den Fokus auf das "immer besser werden", traten andere Spielinhalte wie spannende Kampfdynamik und Story in vielen Spielen in den Hintergrund. Gleichzeitig bedeutete "immer besser werden können", dass man mit seinen Mitspielern gleichauf sein musste, um spaßbringend gemeinsam spielen zu können.
Endgame:In den letzten Jahren, scheint sich diese Tendenz im Mainstream-Bereich etwas zu ändern:
Der Fokus namhafter MMOs liegt zunehmend auf den Spielinhalten, die
ab Erreichen des Maximallevels zugänglich sind. Sozusagen dort, wo das Wettrüsten längst vorbei ist, wo es nur noch symbolische oder marginale Charakterverbesserungen zu erreichen gibt. Und meiner eigenen Erfahrung nach hat dies viele Vorteile: Durch den gekürzten, und separierten Part des Wettrüstens, ist man in nicht allzu langer Zeit mit all seinen Mitspielern gleichauf, und kann sich unabhängig von investierter Zeit, oder Charaktervorsprung gemeinsam spannenden Herausforderungen stellen. Man kann sich auf Augenhöhe duellieren, und man stiehlt sich kein Spotlight.
Auch die Spieleentwickler haben den großartigen Vorteil, die Charakterstärke einschätzen zu können, und zu einem gewissen Grad Garantie für spannende Encounter bieten zu können.
Die Paralelle zum Pen and Paper:Mir drängt sich der Eindruck auf, als wäre klassisches Rollenspiel (damit meine ich DSA RAW, DnD, Runequest, Shadowrun...) hinsichtlich der reinen Spielmechanik in der "Level-Content"-Phase.
Das geht meiner Auffassung nach mit einigen Problemen einher, die teils denen der damaligen MMOs ähneln, teils jedoch noch signifikanter scheinen:
- Da Pen and Paper Spiele versuchen, viel mehr Spielinhalte abzudecken, als Kampforientierte MMOs das tun, wird ein Balancing, ein gleichverteiltes Spotlight sehr viel schwerer erreichbar, wenn die Charaktere nicht ganz gezielt auf der gleichen Kompetenzstufe spielen.
- Eine weitreichende Charakterentwicklung fordert weite Wertebereiche, bzw spürbare Unterschiede zwischen den Entwicklungsstufen. Gleichzeitig versucht sich das Rollenspiel auf einfache Probenabhandlung per Würfel zu stützen. Durch die relative Grobkörnigkeit von Würfeln, und unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen bei variierenden Würfelzahlen, wird es jedoch irrsinnig schwer, ein System zu erstellen, das alle Kompetenzstufen einer weiten Charakterentwicklung sinnvoll abbilden kann.
- Zuletzt ergibt sich durch den Anspruch, interessante, spannende Geschichten erleben zu wollen weiterhin das Problem, dass die Kampfstärke der Gegner und Encounter im Pen and Paper Rollenspiel in den allermeisten Fällen an die der Spielercharaktere angepasst werden muss. Damit wird der Charakterfortschritt weitgehend zur immersiven Illusion.
Würde es dem klassischen Pen and Paper gut tun, die mehr oder weniger steile Charakterentwicklung zu deckeln? das Spiel auf einem gewissen Powerlevel anzusiedeln, auf dem es sich nach und nach einpendelt? Und die gesamte Mechanik entsprechend auf diesen Wertebereich zu optimieren?
Ich verlange das wohlgemerkt nicht auf breiter Front, ich möchte nur die Frage danach stellen, ob im Rahmen der Zielsetzung von klassisch-gamistischem Pen and Paper Rollenspiel der spielmechanische American Dream mehr im Weg steht, als dass er Möglichkeiten und Freiheiten schaffen kann.
Dass man Rollenspiel auch sehr storylastig und losgelöst von allen Regeln und allem Balancing spaßbringend spielen kann ist mir bewusst, soll hier jedoch kein Thema sein.