Autor Thema: MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"  (Gelesen 840 mal)

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Offline Blutschrei

  • Hero
  • *****
  • Beiträge: 1.035
  • Username: Blutschrei
MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"
« am: 3.03.2015 | 20:20 »
Hallo liebe Forengemeinde,

Ich möchte kurz eine Beobachtung aus dem PC-Spiele-Bereich beschreiben, und dann versuchen, eine Paralelle zum Pen and Paper zu schaffen:

Level-Content:
Vor rund 12 Jahren fokusierten sich PC-Rollenspiele, zu denen ich auch die MMOs zählen will, auf möglichst umfangreichen "Level-Content": Spielinhalt war das möglichst endlose Verbessern des Charakters, der American Dream auf ebene der Spielmechanik; vom Bauernjungen zum Drachentöter, von 5 Schadenspunkten, zu 5000.
Durch den Fokus auf das "immer besser werden", traten andere Spielinhalte wie spannende Kampfdynamik und Story in vielen Spielen in den Hintergrund. Gleichzeitig bedeutete "immer besser werden können", dass man mit seinen Mitspielern gleichauf sein musste, um spaßbringend gemeinsam spielen zu können.

Endgame:
In den letzten Jahren, scheint sich diese Tendenz im Mainstream-Bereich etwas zu ändern:
Der Fokus namhafter MMOs liegt zunehmend auf den Spielinhalten, die ab Erreichen des Maximallevels zugänglich sind. Sozusagen dort, wo das Wettrüsten längst vorbei ist, wo es nur noch symbolische oder marginale Charakterverbesserungen zu erreichen gibt. Und meiner eigenen Erfahrung nach hat dies viele Vorteile: Durch den gekürzten, und separierten Part des Wettrüstens, ist man in nicht allzu langer Zeit mit all seinen Mitspielern gleichauf, und kann sich unabhängig von investierter Zeit, oder Charaktervorsprung gemeinsam spannenden Herausforderungen stellen. Man kann sich auf Augenhöhe duellieren, und man stiehlt sich kein Spotlight.
Auch die Spieleentwickler haben den großartigen Vorteil, die Charakterstärke einschätzen zu können, und zu einem gewissen Grad Garantie für spannende Encounter bieten zu können.


Die Paralelle zum Pen and Paper:
Mir drängt sich der Eindruck auf, als wäre klassisches Rollenspiel (damit meine ich DSA RAW, DnD, Runequest, Shadowrun...) hinsichtlich der reinen Spielmechanik in der "Level-Content"-Phase.

Das geht meiner Auffassung nach mit einigen Problemen einher, die teils denen der damaligen MMOs ähneln, teils jedoch noch signifikanter scheinen:
  • Da Pen and Paper Spiele versuchen, viel mehr Spielinhalte abzudecken, als Kampforientierte MMOs das tun, wird ein Balancing, ein gleichverteiltes Spotlight sehr viel schwerer erreichbar, wenn die Charaktere nicht ganz gezielt auf der gleichen Kompetenzstufe spielen.
  • Eine weitreichende Charakterentwicklung fordert weite Wertebereiche, bzw spürbare Unterschiede zwischen den Entwicklungsstufen. Gleichzeitig versucht sich das Rollenspiel auf einfache Probenabhandlung per Würfel zu stützen. Durch die relative Grobkörnigkeit von Würfeln, und unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen bei variierenden Würfelzahlen, wird es jedoch irrsinnig schwer, ein System zu erstellen, das alle Kompetenzstufen einer weiten Charakterentwicklung sinnvoll abbilden kann.
  • Zuletzt ergibt sich durch den Anspruch, interessante, spannende Geschichten erleben zu wollen weiterhin das Problem, dass die Kampfstärke der Gegner und Encounter im Pen and Paper Rollenspiel in den allermeisten Fällen an die der Spielercharaktere angepasst werden muss. Damit wird der Charakterfortschritt weitgehend zur immersiven Illusion.

Würde es dem klassischen Pen and Paper gut tun, die mehr oder weniger steile Charakterentwicklung zu deckeln? das Spiel auf einem gewissen Powerlevel anzusiedeln, auf dem es sich nach und nach einpendelt? Und die gesamte Mechanik entsprechend auf diesen Wertebereich zu optimieren?
Ich verlange das wohlgemerkt nicht auf breiter Front, ich möchte nur die Frage danach stellen, ob im Rahmen der Zielsetzung von klassisch-gamistischem Pen and Paper Rollenspiel der spielmechanische American Dream mehr im Weg steht, als dass er Möglichkeiten und Freiheiten schaffen kann.


Dass man Rollenspiel auch sehr storylastig und losgelöst von allen Regeln und allem Balancing spaßbringend spielen kann ist mir bewusst, soll hier jedoch kein Thema sein.
« Letzte Änderung: 3.03.2015 | 20:47 von Blutschrei »
BLOOD, DEATH AND VENGEANCE!!

Offline Edvard Elch

  • Genianse
  • Famous Hero
  • ******
  • Teilzeitbanderbär
  • Beiträge: 2.328
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Edvard Elch
Re: MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"
« Antwort #1 am: 3.03.2015 | 20:44 »
Mein Eindruck bisher ist, dass die meisten klassischen Systeme in einem bestimmten Levelbereich einen … Sweet Spot … haben, an dem die Regeln insgesamt am besten laufen, ineinander greifen, am meisten Spaß machen. Davor ist das Spiel meistens etwas hakelig, mühsam und manchmal einfach verdammt tödlich. Danach sind die SC so mächtig, dass sie die Spielmechanik sprecngen und es keine sinnvollen regeltechnischen Herausforderungen mehr gibt. Das ist in der Regel der Punkt, an dem eine Kampagne zu Ende sein sollte.
Kants kategorischer Imperativ, leicht modernisierte Fassung: „Sei kein Arschloch.“

Drømte mig - mein Rollenspielblog.

Offline Blutschrei

  • Hero
  • *****
  • Beiträge: 1.035
  • Username: Blutschrei
Re: MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"
« Antwort #2 am: 3.03.2015 | 20:57 »
Zitat
Das ist in der Regel der Punkt, an dem eine Kampagne zu Ende sein sollte.

Siehst du das Eskalieren der Spielmechanik im Rahmen der Charakterkompetenz, und das beenden der Kampagne als sinnvolles miteinander an? Also bedingt es sich gegenseitig? Oder ist es die Spielmechanik, die dazu zwingt, die Kampagne dann zu beenden?
BLOOD, DEATH AND VENGEANCE!!

Offline YY

  • True King
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 19.661
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: YY
Re: MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"
« Antwort #3 am: 3.03.2015 | 22:57 »
Würde es dem klassischen Pen and Paper gut tun, die mehr oder weniger steile Charakterentwicklung zu deckeln? das Spiel auf einem gewissen Powerlevel anzusiedeln, auf dem es sich nach und nach einpendelt? Und die gesamte Mechanik entsprechend auf diesen Wertebereich zu optimieren?

Das würde es mMn tatsächlich an vielen Stellen, und gerade einige D&D-Varianten bieten da schöne Beispiele, wo ein SL explizit sagt (Zahlen frei rausgegriffen) "Diese Kampagne startet auf Level 5 und endet bei Level 12".
Da wird also genau das schon gemacht.

Andere Systeme machen das als Standard so: Kompetente Startcharaktere und wenig Verbesserungsmöglichkeit, oftmals wenig mehr als den Anschein, dass sich was am Charakter tut.

Das sind oft auch Systeme, wo die absolute Spanne bei der Kampfstärke von SCs und NSCs nicht so groß ist und man daher nicht so sehr darauf achten muss, keine zu starken oder zu schwachen Gegner auflaufen zu lassen bzw. wo auch starke Gegner mit der richtigen Vorgehensweise von relativen Anfängercharakteren besiegt werden können.


Zuletzt noch mal zum aktuellen Endgame-Konzept bei MMORPGs:
Ich finde den Sachstand ziemlich bizarr, weil man z.B. auf höchster Stufe und mit guter Ausrüstung starten kann, also direkt im "Endgame".
Das ist natürlich historisch so gewachsen; kein Designer würde ein Spiel entwickeln, bei dem man zig Stunden Spielzeit abreißen muss (und zugleich überspringen kann), um zum eigentlichen Spiel zu gelangen.

Solche MMORPGs würden, wenn man sie von Grund auf mit der aktuellen Zielsetzung und Spielkonzeption neu entwerfen würde, auf die Rollenspielelemente verzichten können/müssen und wären reine Action-/Taktikspiele.

Und wie gesagt: Da waren gerade die D&D-Spieler schneller, die schon in grauer Vorzeit die enorme Werte- und Kompetenzspanne über die verschiedenen Level erkannt und sich den für ihre Ziele passenden Bereich ausgesucht haben.
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
- Pyromancer

Eulenspiegel

  • Gast
Re: MMO-Parallele: "Endgame" und "Level-Content"
« Antwort #4 am: 3.03.2015 | 23:13 »
Zuletzt ergibt sich durch den Anspruch, interessante, spannende Geschichten erleben zu wollen weiterhin das Problem, dass die Kampfstärke der Gegner und Encounter im Pen and Paper Rollenspiel in den allermeisten Fällen an die der Spielercharaktere angepasst werden muss. Damit wird der Charakterfortschritt weitgehend zur immersiven Illusion.
Am Anfang kämpft man gegen eine Räuberbande.
Später kämpft man gegen erfahrene Soldaten.
Und im Endgame kämpft man dann gegen Drachen.

Sicherlich: Der Kampf mit Anfänger-SCs gegen Räuber ist genau so schwer wie der Kampf mit Profi-SCs gegen Drachen. Trotzdem freue ich mich darüber, weil die Herausforderungen sich doch geändert haben. (Die relative Schwierigkeit der Herausforderungen ist gleich geblieben. Aber die Art der Herausforderung hat sich geändert.)

Ich persönlich mag Spiele, wo man als durchschnittlicher SC anfängt, der alltägliche ABs löst. Und wie die ABs im Laufe der Kampagne immer epischer werden. - Ich habe keine Lust, nur alltägliche ABs zu lösen. Aber ich habe genausowenig Lust, nur epische ABs zu lösen. Ich möchte schon gerne die Entwicklung.