Kniffliges Thema.
Bis vor gar nicht langer Zeit war ich auch noch kategorisch gegen Böse SCs, und konnte mir auch selbst nicht vorstellen, einen solchen sinnvoll zu spielen. Habe es ein paarmal probiert (Mitspielern zuliebe die das machen wollten) aber immer sehr schnell das Interesse verloren.
Inzwischen hat sich das zumindest soweit geändert, dass ich mir inzwischen vorstellen kann, einen Bösen SC zu spielen. Dabei gehe ich primär von D&D-artigen Gesinnungen aus, aber im Prinzip würde das sicherlich auch für andere Settings gelten.
Zunächst mal ganz wichtig der Unterschied: "Böse" ist nicht deckungsgleich mit "psychopathisch". Zwar ist sicherlich jeder Psychopath böse, aber eben nicht umgekehrt jeder der böse ist automatisch auch ein Psychopath.
Leider, muss ich mich auch erinnern, sind ein Großteil der "Böse" gespielten Charaktere nichts Anderes als Psychopathen. Die nur ihre eigenen Interessen kennen, auf alle anderen scheissen, und ihren Gruppenkameraden von einer Sekunde auf die andere in den Rücken fallen können. Die völlig grundlos bzw aus purem Spaß andere quälen und töten. Und so jemanden würde ich nach wie vor nicht in der Gruppe haben wollen.
Aber von dieser Art "Gernebös" will ich jetzt nicht weiter reden. Mich interessiert viel mehr, wie man Böse Charaktere sinnvoll darstellen kann.
Da lohnt sich zum einen die Unterscheidung: Böse als Ideologie oder Böse als reiner Pragmatismus?
Mit Ideologie meine ich so Überzeugungen wie: "Es ist falsch, den Schwachen zu helfen. Wer sich nicht selbst helfen kann, hat es auch nicht besser verdient". Oder übersetzt in die Ethik der Stoiker: "Wer den Schwachen seiner Gemeinschaft hilft, verschwendet dadurch Ressourcen. Die Gemeinschaft wird stärker, wenn man die Schwachen aussiebt".
Die Maxime der Bösen Pragmatik ist hingegen schlicht "Warum soll ich mir das Leben unnötig schwer machen?" -- wenn sich da z.B. ein besiegter Feind ergeben will, geht bei den Guten die Debattierei los, was man jetzt mit dem Gefangenen machen soll, und man muss ihm ja Pardon gewähren, aber laufen lassen kann man ihn nicht, also mitschleppen, blablabla -- der Böse hingegen sagt "Sendeschluss" und gibt dem Feind den Gnadenstoß.
Man könnte auch sagen, Böse Charaktere können die gleichen Ziele verfolgen wie die Guten -- nur sind sie weniger wählerisch in der Wahl der Mittel. Nehmen wir als Dilemma sowas wie "Tausende können gerettet werden, wenn ihr eine Handvoll Unschuldiger opfert".
Klassisches Abenteuerszenario: Neugeborenes Baby soll in einem Ritual dem Dämonenfürsten als Gefäß zur Verfügung gestellt werden. Fährt der Dämon in den Körper ein, wird er ein Chaos veranstalten, dem Abertausende zum Opfer fallen werden.
Für den Guten ist das erstmal ein "Kommt nicht in Frage", er sucht die Win-Win-Situation (den Dämon besiegen, ehe es soweit ist, und dann Kind und Mutter glücklich nach Hause bringen), und würde lediglich in höchster Not und zähnekirschend eine solche Entscheidung treffen (wenn überhaupt), und sich danach noch ewig Vorwürfe machen.
Der Böse hingegen wägt die Chancen ab, sagt "Guter Deal!", murkst das Baby ab und lacht den Dämon aus, der jetzt wieder für 666 Jahre schmoren muss.
[Dazu fällt mir sogar ein reales Äquivalent ein: im 2. Weltkrieg wussten die Alliierten über Auschwitz bescheid, konnten sich aber nicht entschließen, die Krematorien zu bombardieren. Hätten sie es getan, wäre dort der Vernichtungsbetrieb auf Monate oder Dauerhaft zum Erliegen gekommen. Sie haben es aber nicht getan, aus Angst, mit den Bomben Häftlinge zu töten. Weil sie es ablehnten, einen Kollateralschaden von ein paar hundert Häftlingen in Kauf zu nehmen, mussten noch Zigtausende sterben. Es sei aber gesagt, dass die Allierten sich nicht über das Ausmaß des industrialisierten Massenmordes im Klaren waren.]
Ferner:
Ein Böser Charakter ist ebenso fähig wie jeder andere, menschliche Bindungen aufzubauen und Freunden die Treue zu halten. Im Gegenteil, er wird die Personen, die er liebt, über alles Andere stellen. Hier verkehrt sich das obige Beispiel ins Gegenteil: kann der Böse seine Freundin retten, indem er eine ganze Stadt in den Untergang stürzt, wird er das tun. Und sie reiten bereits glücklich in den Sonnenuntergang, während der Good Guy noch mit seinem Schicksal hadert und wieder mal nach der Win-Win-Situation sucht.
Soweit erstmal meine Gedanken zu dem Thema.