1. EinleitungWenn man sich unter Rollenspielern umhört, dann ist die größte Hürde für einen (Wieder-)Einstieg in DSA die absurde Komplexität bzw. Kompliziertheit* von Regeln, Abenteuern und Setting. Viele Leute stehen auf das komplette Paket und deshalb wäre ein generell reduktionistisch orientiertes Vorgehen vermutlich auch nicht die richtige Lösung. Deshalb heißt der Thread jedenfalls „Variation“ und nicht „Reduktion“.
Bei den Regeln wurde das offenbar/hoffentlich erkannt. Neben einem evolutionär weitergedachten DSA5 für die aktuelle Kernkundschaft wird offenbar auch an einem DSA Classic gearbeitet, welches Altfans erneut für DSA begeistern soll. Da bin ich wirklich gespannt wie ein Flitzebogen. Eine Diskussion, wie ein solches DSA Classic meiner Ansicht nach idealer Weise aussehen sollte, möchte ich in diesem Thread hier aber erst einmal nicht führen.
Stattdessen würde ich gerne als erstes einen anderen Punkt in den Mittelpunkt rücken. Deshalb wurde der Thread vorsorglich mit der (1) versehen. Vielleicht kommt es ja noch zu Folgethreads. Wir werden sehen.
Eine Hürde für den (Wieder-)Einstieg, welche abseits der reinen Regelebene meines Erachtens enorm groß ist, besteht in der Unzugänglichkeit des produzierten Materials. Das muss und sollte sich mit DSA5 ändern. Dabei sehe ich vor allem die folgenden Dinge als maßgeblich an: Umfang, szenische Dramaturgie, Handlung und Präsentation.
2. UmfangDie letzten Abenteuer waren quasi durch die Bank monströs im Hinblick auf die Seitenzahlen. Früher gab es Abenteuer mit weniger als 30 Seiten. „Hexennacht“ beispielsweise. Selbst tendentiell umfangreiche Klassiker wie „Das große Donnersturmrennen“ oder „Blutige See“ kamen mit 60 bzw. 72 Seiten aus und boten sehr lange Unterhaltung auf relativ wenig Seiten. Wenn wir den Qualitätsaspekt mal komplett beiseite lassen, dann stehen dem heute Abenteuer gegenüber, die kaum mal unter 128 Seiten umfassen, teilweise gar mit monströsen Seitenzahlen jenseits der 200 daherkommen. Es gibt Abenteuer, in denen bereits der Überblick über das Abenteuer samt Einführung in die Hintergrundgeschichte 12 Seiten benötigt.
Ich verstehe das nicht. Kürzere Abenteuer werden hingegen in Anthologien mit mutmaßlich deprimierenden Verkaufszahlen verbraten. Mir leuchtet das nicht ein. Eine Anthologie fühlt sich für mich lieblos an, so als seien die Inhalte zu wenig wert, um sie als alleinige Publikation bringen zu können. Dass diese Wahrnehmung falsch ist, verstehe ich. Trotzdem kaufe ich mir bis heute quasi nie oder nur auf Zuruf die Anthologien.
Das gilt übrigens nicht nur für Abenteuer, sondern oftmals auch für Settingmaterial. Die Gareth-Box mag inhaltlich wahnsinnig gelungen sein - aber sie ist schlicht zu mächtig. Wer soll das alles abseits des barbiespielenden Meisters lesen und umsetzen? Sind die reinen Sammler und Leser eine so bedeutende Zielgruppe? Ich kann mir das kaum vorstellen.
Wenn für DSA5 gerade am Anfang auch kürzere, knackigere Abenteuer erscheinen würden, bin ich mir sicher, dass viele Leute da gerne mal reinschauen würden. Vielleicht übersehe ich einen ganz wesentlichen Punkt, aber auch betriebswirtschaftlich müssten sich derlei Abenteuer doch auch sehr gut machen. Schließlich würde man für ein kürzeres Abenteuer einen im Vergleich zu den Monstren überproportional hohen Preis nehmen können. Aber das kann auch Unfug sein, dafür fehlt mir eventuell der Einblick.
Die Notwendigkeit, in der Länge der Abenteuer ganz wesentlich zu variieren, empfinde ich aber ganz deutlich. Sonst schreckt das selbst wohlmeinendste Wiedereinsteiger ab.
3. Szenische DramaturgieViele Abenteuer, darunter auch die sehr gelungenen, werden bei DSA noch immer viel zu stark aus der Autorensicht geschrieben. Die Umsetzbarkeit am Spieltisch bleibt mir da zu oft auf der Strecke. Das gilt für den reinen Umfang, also die Makroperspektive, ebenso wie für die szenische Umsetzung.
Just neulich ist mir das wieder schmerzlich anhand eines Beispiels aufgefallen. Wir spielen aktuell das Abenteuer „Träume von Tod“ aus der Splitterdämmerung mit 13th Age. Funktioniert wunderbar. In der nächsten Session lässt sich da wunderbar ein Teil aus „Eyes oft he Stone Thief“ reinwerfen und ich freue mich schon sehr darauf. Nun hab ich mir in der Vorbereitung durchgelesen, wie sich die Autoren den Fortgang des Abenteuers so vorstellen. Da sind tolle Ideen dabei. Aber vieles wird halt aus der falschen Perspektive designt. So kommt es zum Beispiel noch relativ am Anfang in Folge erster Erkundigungen zu einem Strategiemeeting. Und wer soll da alles dabei sein? Here we go:
- Gernot von Mersingen, Markgraf der Rabenmark
- Welfert von Mersingen, Heermeister der Rabenmark
- Borondria, Großmeisterin der Golgariten
- Gilborn von Bregelsaum, Kommandant der Truppen der Rommilyser Mark
- Ucurian Bernigandh, Praiosgeweihter und Hauptmann der Sonnenlegion
- Perdan Ehrwald, Perainegeweihter und Vertreter des Dreischwesternordens
- Bunsenhold von Ochs, Kommandant der kaiserlichen Truppen
- Aigilmar von Bregelsaum als Vertreter der Warunker Ritter
- Halike Rattel, Magistra magna am Informations-Institut von Rommilys.
Holy shit. Gibt es abseits eines falsch verstandenen Simulationismus irgendeinen Grund für diesen NSC-Overkill? No way. Würde man das by the book spielen, würde alleine die Vorstellung der Runde, das Abpinnen der Namen durch die Spieler und das Versehen der NSC mit jeweils charakteristischen Quirks einen Vorbereitungs- und Umsetzungsaufwand benötigen, der der Szene nicht im geringsten angemessen ist.
Wichtig sind eigentlich nur Gernot von Mersingen und Borondria. Man kann da dann noch eine dritte Person hinzufügen, um etwas Color ins Spiel zu bringen. DEn Praioten beispielsweise Aber 9 gewichtige NSC auf einem Haufen? Das ist schlechtes Abenteuerdesign aus einem falsch verstandenen Dramaturgieverständnis heraus. Selbst wenn man „storyorientiert“ oder „charakterorientiert“ oder „mit Tiefe“ oder dergleichen spielen möchte, tut man sich mit sowas keinen Gefallen.
Aus einem ähnlichen Grund habe ich den Nachfolger von „Von Eigenen Gnaden“ sehr schnell beiseitegelegt. In dem Monster mit 200+ Seiten gibt es im Anhang einen Personenindex mit den knapp 200 (sic!) NSC des Bandes, alle jeweils mit dramaturgischen Hinweisen in Symbolform. Es tut mir leid, aber das ist in dieser Form schlicht nicht umsetzbar und sollte nicht in Abenteuern auftauchen.
Es ist auch diese wirklich in jeder Hinsicht unnötige Detailfülle, welche die Leute massiv abschreckt. Meinetwegen soll es gerne für die Leute, die darauf stehen, immer wieder mal ein Abenteuern mit einer solchen Schwerpunktsetzung geben. Das darf aber keinesfalls der Standard sein.
4. HandlungAuch bei der Handlung wurde dem ehemals so verbreiteten Bauerngaming mittlerweile etwas entgegengestellt, das ich als metaplotorientierte Epik bezeichnen würde. Allenthalben werden Götter verteidigt, die Welt gerettet, Unsterbliche befreit und die Kraftlinien der Welt verschoben. Dazu gibt’s Dämonen im Dutzend, Heere prallen aufeinander, Generationen von Kaisern sind eingeführt und drei Kontinente neben Aventurien in Erkundung. Puh.
Parallel finden sich in den Abenteuern Querverweise auf Dutzende andere Quellen, welche immer wieder den Eindruck erwecken, dass man ohne Aventurien-Diplom nur an der Oberfläche zu kratzen imstande sein kann.
Es ist dringend Zeit, alternativ auch mal wieder etwas kleinere Brötchen zu backen. Dafür bietet sich der leichte Reset, der im Rahmen von DSA5 möglich ist, doch geradezu an. Weniger zentrale NSC im Setting, mehr langfristig definierte weiße Flecken im Setting, weniger vorausgesetztes Wissen in den Publikationen, bessere Zugänglichkeit sowie eine appetitlichere Darbietungsform in kleineren Häppchen wären diesbezüglich meine dringenden Ratschläge. Das Gegenteil soll es gerne auch weiterhin geben – nur halt nicht ausschließlich.
5. PräsentationSchließlich empfinde ich die bisherige Präsentation des Materials als ausgesprochen hinderlich für eine Verarbeitung am Spieltisch. Abbildungen und Farbe sind teuer, klar. Aber andere Verlage bekommen es mit deutlich geringeren Auflagen auch hin, die Produkte visuell ansprechend zu gestalten. Gerade schöne Bilder zentraler NSC sowie wichtiger Örtlichkeiten würde ich mir in höherer Qualität + Quantität und in Farbe wünschen. Außerdem bestehen mir die Produkte noch immer aus zu viel Wall of Text. Es mangelt an pädagogisch sinnvollen Trennungen.
Eine Katastrophe ist auch das Layout. So viele verschiedene Trennzeichen, Schriftarten, Hervorhebungen, Überschriften und so weiter. Als SL kann ich mich in DSA-Abenteuern deutlich schlechter zurechtfinden als bei Produkten von anderen Verlagen. Da können sich generell die deutschen Verlage meiner Ansicht nach noch eine ganze Menge bei den Amis abschauen.
Soweit erst einmal die Gedanken. Das klingt in Summe vielleicht etwas negativ, aber es soll ja auch ganz spezifisch um Verbesserungsvorschläge gehen. Fokus dabei ist die größere Variation der Komplexität der nicht-regelbezogenen Teile von DSA5 mit dem Ziel, die Barrieren für den Wiedereinstieg deutlich zu senken und damit mehr Leute zurück ins Hobby zu holen.
Bin gespannt auf Eure Kommentare und freue mich über konstruktive Beiträge!**
*: Bitte hier im Thread keine Diskussion über die Unterschiede dieser beiden Begriffe. Danke
**: Habe den Text relativ schnell im Rahmen einer größeren Ausdruckaktion runtergeschrieben. Ich nehme mir mal die Freiheit, das Konvolut nach und nach zu glätten und zu ergänzen, wenns recht ist. Bitte um Entschuldigung für Schludrigkeiten.