Aber auf Dauer ist der Schritt von der impliziten zur expliziten Regel zur Konfliktresolution dann doch mal sinnvoll.
Ja, das kann schon sein. Aber muss das so sein? Kann es nicht vielleicht auch sein, dass man, wenn man genug gewürfelt hat, irgendwann die explizite Konflikresolution wieder minimieren möchte? Ich fühle mich manchmal so (aber nicht immer!). Und warum eigentlich ununterbrochen Konfliktresolution? Bei Fate wird vom Spielleiter verlangt, Fan seiner Spielercharaktere zu sein. Toll, aber brauche ich explizite Regeln zur Konfliktresolution wenn ich als Spielleiter Fan der Spielercharaktere bin? Wieso muss es zu nein-doch-nein-doch-nein-doch kommen, wenn der Spielleiter Fan der Spielercharaktere ist?
Ich muss an "Archipelago III" denken, ein norwegisches Erzählrollenspiel mit minimalen Regeln. Ich erzähle euch kurz, wie das aussieht: Es gibt keinen Spielleiter. Zu Beginn des Spiels wird ein Setting besprochen, in dem jeder Spieler ein Element zugeordnet bekommt, über das er im Spiel die Entscheidungshoheit bekommt (Magie, Geographie, Kultur, was auch immer). Die Charaktere werden frei herbeierzählt. Es gibt keine Spielwerte. Es wird empfohlen, dass der Charakter eine Beziehung zu einem anderen Charakter hat. Ob das aber der Charakter eines anderen Spielers ist, oder eine Nebenfigur bleibt offen. Zu Beginn jeder Spielrunde schreibt jeder Spieler für die Charaktere der anderen Spieler ein "Schicksal" auf. Das ist einfach ein Thema, von dem der Spieler es spannend finden würde, wenn sich der fremde Charakter in der aktuellen Spielrunde damit beschäftigen würde. Der Spieler des Charakters wählt dann hinterher aus der Reihe der Vorschläge das Schicksal aus, das er für seinen Charakter zur bevorstehenden Spielrunde am geeignetsten findet. Eine Spielrunde dauert im Idealfall solange, bis alle ihre aktuellen Schicksale zu einem befriedigenden Abschluss geführt haben. Wenn ein Spieler an der Reihe ist, beschreibt er schlicht und einfach, was seinem Charakter widerfährt. Einmal pro Spielsitzung kann der Spieler, wenn er will, eine Karte ziehen. Diese Karten entsprechen den Resolution Cards von Itras By und enthalten die inzwischen schon einigermaßen bekannten Begriffe "Yes, but...", "Yes, and...", "No, but...", "No, and..." und noch ein paar Variationen davon. Wohlgemerkt: Diese Karten werden nicht immer dann gezogen, wenn man mit einem Schwert einen Ork haut, sondern höchstens einmal pro Spielabend (und zwar wahrscheinlich dann, wenn es darum geht, auf welche Art sich das Schicksal des Charakter im Spiel auswirkt). Bis es soweit ist, erzählen die Spieler einfach nur die Geschichte ihres Charakters. Sollten sie mit ihrer Erzählung ins Stocken geraten gibt es einen zweiten Kartensatz mit sogenannten Schicksalskarten, die ein paar Ereignisse vorgeben. Da stehen dann Dinge wie: "Der Charakter macht sich einen Feind innerhalb des Settingelements über das du die Entscheidungshoheit hast"... und das war´s dann. Auch von diesen Karten sollte man höchstens eine pro Spielabend ziehen. Abgesehen davon gibt es für alle Spieler einfach ein paar Schlüsselsätze, die sie verwenden können, ob sie an der Reihe sind, oder nicht. Die meisten sind selbsterklärend. Hier sind sie: "Versuche das auf eine andere Weise", "Beschreibe das genauer", "Das ist vielleicht nicht ganz so einfach", "Ich hätte gern ein Zwischenspiel", "Härter!", "Hilfe erwünscht!". Wenn ein Spieler an der Reihe ist, können die anderen Spieler Nebenfiguren übernehmen... entweder, wenn es ein Spieler wünscht, oder wenn sie selbst Lust darauf haben. Wenn ein Settingelement ins Spiel kommt, über das ein Spieler die Entscheidungshoheit hat, kann er darüber entscheiden und eventuell auch Veto sagen. Die Regeln klären nicht, ob die Charaktere irgendwie eine gemeinsame Gruppe bilden oder mehrere Einzelgeschichten stattfinden.
Ich lese diese Regeln nun zum vierten Mal und immer wieder habe ich das Bild dieser gechillten Typen in ihren Schaukelstühlen auf der Veranda vor ihrem Haus vor Augen. Die kennen sich schon seit Jahren, trinken einmal in der Woche dort zusammen ein Bier und spielen Archipelago III. Die Aufforderungs-Sätze fallen immer seltener. Man ist aufeinander eingespielt und weiß, was die anderen gutheißen. Auch die Schicksalskarten werden immer seltener gezogen. Inzwischen weiß man, wie man den anderen eine Geschichte erzählen kann und ist in der Erzählung drin... was soll man da Schicksals-Karten ziehen? Gegen Ende des Treffens, wenn es um die Erfüllung des Schicksal der Charaktere für die aktuelle Spielrunde geht, wird eben noch eine Entscheidungskarte gezogen und interpretiert. Vielleicht - wenn sie nicht passt - wird sie sogar ignoriert. So what? Die expliziten Regeln machen sich nach und nach selbst überflüssig. Danach trinkt man schweigend noch ein zweites Bier und verabschiedet sich. Das ist das Minimum an expliziter Konfikt-Resolution... und es hört sich für mich verdammt attraktiv an.