Martin Luther, der sich am Nebel an die Wittenberger Kirche schleicht, ein zerknittertes Pergament in der Hand, der Regen peitscht ihm die Haare ins Gesicht. Der Blick huscht nach rechts, nach links; zögernd, ob ihn jemand erwischen mag; unsicher, ob er das Richtige tut und welche Folgen sein Aufbegehren gegen die Ordnung haben wird. Zugegeben: So spannend stellen sich wohl die wenigsten Rollenspieler ein Szenario vor, bei dem es um
Kirchenreformation geht. Umso großartiger und mutiger, dass Stefan Unteregger und sein Team sich an so eine Thematik herangewagt haben. Genau so gut hätte man die Reformation der Praioskirche wohl in einigen Botenartikel abhandeln können, aber Unteregger hat sich überlegt, dass er dieses Ereignis für Spieler erlebbar machen will, und dafür zolle ich ihm großen Respekt.
Vorweg: Ich habe die Kampagne nur als Spielerin erlebt und das Buch bislang nicht gelesen. Außerdem spielen wir mit Fate, d.h. ich kann keine Aussagen zur Regeltreue der Kampagne machen und es kann sein, dass wir die Handlung an einigen Stellen stark abweichend erlebt haben.
Worum geht's? Im Jahr des Feuers ist das hl. Licht der Praioskirche verschwunden und das ist natürlich in einer Welt, in der Götter
real sind, ein ziemlich erschütterndes Erlebnis. Überall in Aventurien ziehen Pilger los, um Spuren des Lichtes zu finden, und die Gelehrten streiten darüber, warum Praios den Menschen sein Geschenk entzogen hat, während überall im Land die Widersacher der Ordnung erstarken. Dieses Setting hat so viele wunderbare Dimensionen und ist tief in der DSA-Geschichte verankert: Konflikte gegen das Erstarkende Böse, Kämpfe um die Herzen der Gläubigen, Ringen um die Zukunft der Kirche. Die Kampagne selbst ist eigentlich
ein langer Road-Movie eine Pilgergeschichte, die in verschiedene Ecken Aventuriens führt. Jedes der drei Hauptabenteuer beschäftigt sich mit einem der Grundpfeiler des Glaubens und zum Einstreuen zwischendurch gibt es noch einige kleinere oder größere Szenarien, bis die Kamapgne schließlich in ein Finale mündet.
Die einzelnen Abenteuer: Die Abenteuer spielen in verschiedenen Ecken Aventuriens und grade der Ausflug in das Ewige Eis (Aeternitas) im hohen Norden hat bei unserer Gruppe für einen gehörigen Sense of Wonder gesorgt (ich sag nur: "Überlebenskampf im Eis", "uraltes Bernsteinschloss", "äonenalte Gryphonen"). Der Überlebenskampf im Eis ist super, die Entdeckung des Bernsteinschlosses, das fast physische Fühlen der Verzweiflung und der Müdigkeit der Charaktere, die sich hier in den sicheren Tod durch Hunger und Kälte schleppen. Ganz großes Kino! In Veritas deckt man auf maraskanischen Inseln uralte, dunkle Geheimnisse der Praioskirche aus der Zeit der Priesterkaiser auf und muss sich dabei gegen einen sehr konservativen Wahrer der Ordnung durchsetzen. Gut gefallen hat hier, dass das Szenario einen zwingen kann, harte Entscheidungen zu treffen und die drohende Gefahr durch Schwarzmaraskan spürbar ist. Auch das erzkonservative Praiosdank ist ein interessanter Schauplatz (wie sehr meine Magierin ihn gehasst hat...). Ein bisschen schade war, dass die Belagerung Praiosdanks im Buch wohl nicht stark ausgearbeitet ist - hier hat unser SL ein bisschen improvisiert und ein paar coole Actionszenen zusammengeschustert. Außerdem etwas schade, dass man den Erzschurken des Abenteuer (Belharion Menning) nie zu Gesicht bekommt, und dass das schließlich aufgedeckte Geheimnis für uns als Spieler irgendwie nicht besonders spektakulär war (auch wenn es die Kirche erschüttern mag) - aber hier kann man als SL den Fiesheitsgrad ja noch ein bisschen hochschrauben und noch irgendwelche finsteren namenlosen Geheimnisse einbauen, wenn man mag.
Am Ende hat man ein verwunschenes Schwert, das erst gereinigt werden muss, damit es seinem Träger keine düsteren Visionen mehr sendet - sehr schön! Das dritte Hauptabenteuer haben wir ganz, ganz anders gespielt - eine Gerichtsverhandlung um die Verfehlungen unserer Magierin -, deswegen kann ich zu dem eigentichen Szenario nichts sagen.
Die Nebenszenarien sind durchwachsen. Berge und Propheten hat unser SL ziemlich abgewandelt, weil er die Handlung zu absurd fand. In Durch Finsternis zum Licht kann man in der von Orks besetzten Stadt Gashok dem Kult der Dualisten nachforschen und einen Phosphoros (Mini-Heiliges-Licht
) finden. Spannendes Setting, allerdings vermute ich einige Flaschenhälse im Detektivteil, wir zumindest haben während des Abenteuers eigentlich nie verstanden, was eigentlich so vorgeht. Mord im Sonnenlicht, bei dem man eine innerkirchliche Verschwörung in Gareth aufdeckt, fanden wir alle ganz spannend, wobei es einen etwas unlogischen Einstieg hat (die Auftraggeberin kennt die Umstände unserer Einstellung eigentlich auch nicht so genau). Dafür war es schön bedrohlich und schaffte es die Helden in die Mittelpunkt zu stellen, obwohl es in der Stadt der Problemlöse-Infrastrukturen (Gareth) spielt. In Schweigen ist Gold suchen die Helden nach einer Lösung, den Gong des hl. Owilmars wieder zum Schlagen zu bringen, nachdem er verstummt ist. Auch wenn ich theoretisch verstehen kann, worum es in dem Szenario geht (Soll man den Gong per Hand schlagen, wenn er plötzlich aufgehört hat, oder ist es ein göttliches Zeichen, das man akzeptieren muss?), hat es bei uns nicht gut funktioniert - wir haben die ganze Zeit vermutet, dass das Dorf irgendeinen Frevel begangen hat, sodass der Gong nicht mehr schlägt, bis wir herausfanden, dass einfach nur irgendwelche Orks den Schlägel zusammen mit der Leiche eines Geweihten auf die Blutfelder geschleppt haben und er deswegen nicht mehr schlägt. Ich vermute auch hier einige Recherche-Flaschenhälse. Naja, immerhin gab es ein spannende, actionreiches Finale in den Blutfeldern, das zumindest mit Fate gut funktioniert hat, das hat uns wieder versöhnt.
Sonst haben wir keine der Nebenszenarien gespielt.
Das gefiel mir gut: Der Hintergrund der Kampagne ist großartig und die vielen verschiedenen Szenarien sind toll geeignet, sich mit Praiosglauben bzw. Glauben an sich in einer Welt, in der Götter real sind, auseinander zu setzen. Es gibt auch eine schöne Mischung zwischen epischen Szenarien und kleineren Konflikte, die aber genau so berühren. Die Kampagne hilft ganz klar, Praiosgeweihte differenzierter wahrzunehmen, als man das normalerweise so tut, und viele zentrale Fragen der Praioskirche sind superspannende Fragen fürs Rollenspiel. Was ist Gerechtigkeit? Ist im Krieg gegen das Böse jedes Mittel recht? Können Menschen selbst entscheiden oder müssen sie von einer wissenden Macht angeleitet werden? Was ist Wahrheit, und was ist zuviel Wahrheit?
Der sense of wonder ist auch groß (s.o.). Die einzelnen Abenteuer sind in ihrer Grundprämisse sehr abwechslungsreich und über den Zeitraum der Kampagne erlebt man mit, wie sich die verschiedenen Strömungen in der Praioskirche entwickeln. Das ist cool, und sicher nochmal ein Stück cooler, wenn ein Teil der Charaktere selbst irgendwie in der Kirche involviert ist und die Entwicklung mitprägen kann. Ein wichtiges Thema der Kampagne ist auch Verführung durch das Böse und die vielen Nuancen, in der diese geschehen kann - das hat bei unserer Gruppe auch super funktioniert (aber wir sind auch Fatespieler, wir machen auch Männchen, wenn man uns dafür Fatepunkte gibt
) und für tolle Szenen gesorgt.
Das gefiel mir nicht so gut: An manchen Stellen finde ich die Kampagne zu verkopft. Ich
verstehe, wie ein Konflikt funktionieren soll, warum er hier ist, aber er packt mich emotional nicht. Ein bisschen fehlt der Kampagne auch der rote Faden, weshalb sie sich mehr wie ein lose aneinandergereihter Roadmovie spielt - die wiederkehrenden NSCs und Orte fehlen. Unser SL hat da welche hinzu improvisiert und das sind auch fast die einzigen NSCs (den badass-Sonnenmarschall mal ausgenommen), die mir eindrucksvoll im Gedächtnis geblieben sind. Für mich persönlich war es ein großes Problem, dass man auf seiner Reise auf irgendwelche Abenteuer stößt, aber selbst nie in der Situation ist, proaktiv zu handeln oder Pläne schmieden zu können. Vieles in der Kampagne ist (zugegebenermaßen eindrucksvolles!) Sightseeing und Aufdecken von Settinggeheimnissen oder Fraktionen in der Praioskirche; aber insgesamt bietet die Kampagne wenig Situationen, eigene Pläne zu schmieden und auf die Spielwelt einzuwirken. Wir haben irgendwann, als wir ein bisschen Ruhm in der Kirche angesammelt hatten, einen neuen Laienorden gegründet, in dem wir den Anwärtern unsere Werte vermittelt haben, aber das war wohl mehr unsere Eigeninitiative als Teil der Kampagne. Vielleicht ist diese Einschätzung aber auch sehr subjektiv, weil mir Gestaltungsmöglichkeiten in der Spielwelt und proaktives Spielen sehr wichtig sind.
Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass einige der Szenarien bedrohlicher sind - immerhin ist die Praioskirche grade ziemlich geschwächt, ich als böser evil mastermind würde jetzt hergehen und versuchen, möglichst viele Tempel zu schänden. Ich finde es ausdrücklich gut, dass es bei der Kampagne nicht um Gut-gegen-Böse, sondern um einen internen Wandel der Kirche geht, aber eine etwas größeren Bedrohung (auch im Hintergrund) hätte ich spannender gefunden.
Insgesamt gibt's von mir 4 von 5 Punkten dafür!