Ich verstehe nicht ganz, warum man für Systeme, die man gar nicht spielt tatsächlich Charaktere baut (wenn man die nicht als Beispielcharaktere anderen Spielern in die Hand drücken will). In meiner gesamten Rollenspielkarriere habe ich das glaube ich zwei mal gemacht (einmal um die DSA4.1-Charaktererschaffung zu testen, weil das doch ein großer Sprung von DSA3 war; und einmal habe ich den Charakter mehr gedanklich gebaut und nie auf Papier gebannt).
Abgesehen davon, dass mir das ein viel zu hoher Zeitaufwand zu sein scheint, würde so etwas natürlich mein Prinzip torpedieren, dass Charaktere am Tisch in Sitzung 0 zusammen erschaffen werden, damit die Figuren verbunden und aneinander angeglichen werden können.
Charaktere erschaffen ist - natürlich abhängig davon, was das System in der Beziehung hergibt - tatsächlich eine meine Lieblings-Solobeschäftigungen mit Rollenspielen. Gerne auch in Form der Gruppenerschaffung, wenn ich gerade Zeit habe. Das ist für mich seit jeher die bevorzugte Methode, mich in ein System einzufühlen oder auch einfach nur, mich ein bisschen damit zu beschäftigen, wenn eine Runde nicht in Aussicht steht.
Wie gesagt, hängt natürlich von dem System ab. Bei Traveller ist das ja wirklich als Spiel konzipiert, und es macht mir echt Spaß, mich durch die Lebensgeschichte meines Charakters zu würfeln. Mythras hat in der Richtung auch ganz gute Ereignistabellen. Reign hat eine Zufallsgenerierung, die mir immer wieder Freude macht.
Nur, wenn die Charaktererschaffung sich zu sehr auf "builds" konzentriert und dadurch nicht-linear wird, vergeht mir die Lust. Bei Traveller oder Mythras kann ich einfach Schritt für Schritt vorgehen, den Charakter wachsen sehen und habe am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas, das sich rund anfühlt und wahrscheinlich auch wenigstens halbwegs tauglich für den Spieltisch wäre. Bei Shadowrun habe ich mir jetzt einen Charakter erschaffen und festgestellt, dass ich immer wieder umdenken und Prioritäten herumschieben muss, um alles zu haben was man als Orkmagier halt so braucht. Da tritt dann die entstehende Gestalt leicht wieder in den Hintergrund oder wird durch irgendetwas zerschossen, was man jetzt doch besser wieder anders macht. So was mache ich nur für eine echte Spielrunde, nicht zum Spaß.
Das mag jetzt eine kontroverse Einstellung für ein Rollenspielforum sein: Aber vielleicht brauchst du mal ein wenig Abstand vom Rollenspiel. Leg die Settingbücher weg, such dir eine schöne Romanreihe, oder ein Sachbuch, das dir zusagt. Oder wenn du schon gar nicht drauf verzichten magst, dann norde deine Gruppe auf kurze One-Shot-Runden ein oder lege nicht einfach auf dem kurzen Weg fest, was gespielt wird, sondern triff dich mit deinen Leuten zu einem Klönabend, wo ihr einfach nur über Settings und Systeme redet und du aushorchst, wer wie wann für was zu begeistern wäre.
Da hast du sicher Recht! Wobei das meiste bei mir faktisch so ist: Ich lese keine dicken Settingbücher, wenn ich sie nicht für eine konkrete Runde verwenen will, sondern lieber Romane und Sachbücher, und wir klönen in meiner Online-Runde ziemlich viel und überlegen gemeinsam, ob wir gerade Lust haben zu spielen und was es in nächster Zeit sein soll.
Dieses inner Rumhupfen ist mehr ein PDF-Geblätter, Forengelese usw. als echte Einarbeitung. Die mache ich tatsächlich nur, wenn etwas ansteht. Aber das macht es ja nicht befriedigender, im Gegenteil ... tatsächlich wäre noch mehr Abstand da gut - sich einfach NUR dann ernsthaft mit einem System beschäftigen, wenn ich es wirklich spiele oder wenn ich wirklich Freude daran habe, es intensiv zu lesen, anstatt mal hier und mal da reinzuschauen.
Aber Rollenspiel repräsentiert in meinem Leben eben auch das, was ich einerseits nur für mich und zu meinem Vergnügen mache, wo ich aber andererseits auch meine kreativen Ambitionen verwirkliche und Anerkennung suche. Das ist immer eine problematische Kombination, weil das "Vergnügen" impliziert, sich nur mit dem zu befassen, was mir wirklich Freude macht, während die Ambitionen/die Suche nach Anerkennung natürlich erfordern, dass ich das Suche, womit ich bei anderen gut ankomme.
Ich schaffe es immer mal, mich für das eine oder andere (im besseren Fall das Vergnügen) zu entscheiden und das dann eine Weile durchzuhalten; aber ich rutsche dann immer wieder in die eigentlich stressige Zweigleisigkeit, bei der ich gleichzeitig Systeme Suche, die ich ambitioniert leiten oder für die ich sinnvoll schreiben könnte.
Und frage dich: Willst du das Zeugs, das ihr gerade spielt, überhaupt spielen? Oder ist der Rasen vielleicht tatsächlich grüner, weil du z.B. auf SR6 wirklich keine große Lust hast?
Shadowrun ist ein gutes Beispiel: Ich habe wirklich Lust, das Setting in der Runde zu spielen, ich habe aber eigentlich keine Lust, mich mit den Regeln - oder auch tiefgehend mit dem Setting - auseinanderzusetzen. Das ist aber andererseits okay, der SL möchte es gerne anbieten, und ehrlich gesagt: Wenn es nicht Pathfinder ist, spiele ich bei ihm eh alles mit. Und an Shadowrun haben wir gemeinsame gute Erinnerungen. Ist also so ähnlich wie mit DSA: Das machen wir, weil wir uns alle was drunter vorstellen können und das am Tisch wahrscheinlich locker-flockig laufen wird und wir es mit den Regeln dann eh nicht so genau nehmen. Für's Spiel befriedigt das also eigentlich genau das, was ich auch will, nur die Ambitionen, was "Interessanteres" zu machen, stehen dabei ein bisschen hinten an.
Ähnlich ist es bei mir mit Earthdawn, das habe ich echt Lust zu lesen und zu leiten, empfinde das aber auch als "unambitioniert". Was gut so sein sollte, mir dann aber doch nicht reicht.
Mir ist auch aufgefallen: Du denkst immer in "mittleren bis großen Kampagnen", oder? Aber muss das denn sein? Und, viel wichtiger müssen diese Kampagnen denn
a) zusammenhängen, also auch am Stück gespielt werden oder
b) groß und lang sein?
Es kann oft ganz gut sein, die Dinge auch einfach aus dem eigenen Hirn zu ballern, indem man einen Fewshot spielt, der auf 4 bis 5 Abende terminiert ist. Dann hat man's gespielt, kann das abhaken und gut ist. Denn dieweil es schon Rollenspiele gibt, die man höchstens zwei oder drei Abende spielen kann, bevor sie ausgespielt sind (zumindest in der einen Konstellation), ist mir noch kein Rollenspiel untergekommen, dessen Mindestspielzeit sich auf "lange Kampagne" beliefe. So gut wie jedes Spiel macht auch auf Kurzstrecke noch Spaß. Und im Zweifelsfall ist man mit der EP-Vergabe halt großzügiger, na und?
Das mache ich eigentlich - wenn ich von einer kurzen Kampagne rede, meine ich 4-6 Sitzungen (unsere Mythras-Kampagne hat es auf glaube ich ganze 12 oder 13 gebracht, das ist echt viel für meine Verhältnisse). Damit bin ich auch meistens ganz zufrieden (obwohl dabei oft vieles unabgeschlossen bleibt).
Aber Da wir uns nur 1-2x im Monat treffen, ist das dann auch schon verdammt viel Zeit, bis wieder was Neues kommt.