Nachdem ich ja an anderer Stelle im Forum schon mit schöner Regelmäßigkeit meinen Senf abgebe, warum nicht auch hier, wo es hin gehört?
Wie von einigen Vorrednern schon aufgeführt, ist das große Problem von SR5 der Vergleich zu SR4
Die Regeländerungen sind großteils zum Negativen oder tun zumindest nicht das, was sie sollen - Paradebeispiel Limits oder die Begrenzung im GRW auf eine Attacke pro Durchgang mit allem, was daran hängt (was dann in Kreuzfeuer hurtig mit einer optionalen Regel beseitigt wurde, nachdem man gemerkt hat, wie viele ungewollte Nebeneffekte daran hängen. Trotzdem muss man sich als Leser in SR Anarchy einen blöden Spruch seitens der Autoren über das ganze Thema anhören
).
Man sieht dem System an vielen Stellen an, dass sich die Autoren bewusst rückwärts gewandt haben und Elemente aus SR1-3 in den neuen Regelkern von SR4 integriert haben.
Das fällt jüngeren Rezensoren logischerweise nicht auf, weil sie nur SR4 zum Vergleich haben.
Da wären z.B. die neuen, alten Ini-Regeln, bei denen der Wurf auch die Zahl der Durchgänge bestimmt anstatt nur die Reihenfolge.
Auch die Prioritätenerschaffung hat ihr Comeback und wird - man muss schon sagen traditionsgemäß - in Erweiterungen durch sinnvollere Alternativen ersetzt.
Vielleicht wird die 6. die erste Edition mit einer Charaktererschaffung ohne rechnerische Macken und Lücken.
Fluffmäßig ist das größte Manko, dass die Autoren beim Leser tiefergehende Kenntnisse des Settings stillschweigend voraussetzen. So werden Sachen nur angeschnitten, die früher zumindest in verständlicher Länge erklärt wurden.
Andererseits gibt es auch neuen Fluff, der einen nicht minder verwirrt zurück lässt.
Die Grid Overwatch Division und die neue globale SIN-Registerstelle z.B. schieben SR5 weit ins Territorium von "modernen" Überwachungsdystopien, ohne dabei fluff- oder regelseitig zu erklären, in welche Lücken man als Runner stoßen kann und muss.
Dementsprechend finden sich in Foren öfter mal Diskussionen, wie man denn als Runner überhaupt noch agieren können soll - ein Kritikpunkt, der sich letztlich nur mit dem Rückgriff auf jetzt fehlenden Fluff früherer Editionen (!) beseitigen lässt.
Regeltechnisch hat man alte, große und kleine Widersinnigkeiten behalten, etwa die Trennung von Scharfschützengewehren und Sturmkanonen (Robocop (1987) sei Dank...) oder die völlig unspielbare chunky salsa-Regel.
Immerhin wird einem jetzt mit einem Rechenbeispiel erklärt, dass die tatsächlich so unsinnig ist, wie man früher immer vermutet hat...
Aber es werden auch neue Unsinnigkeiten eingeführt, wie etwa die Wireless-Boni und eine neue Variante eines letztlich unspielbaren Matrix-Regelsatzes.
Bei letzterem wird ähnlich wie in der 4. Edition verkannt, dass das Problem des Deckers nie war, dass er sich irgendwo einstöpseln muss, sondern dass die zugehörigen Regeln umständlich und zeitraubend waren.
Beim Magier ging die Extratour Astralraum schließlich meistens recht flüssig über die Bühne - das war also nie ein konzeptionelles, sondern immer nur ein Umsetzungsproblem.
Daran scheitert dann auch die 5. Edition, diesmal aber nicht nur in der Matrix, sondern über die Wireless-Boni auch bei dem Versuch, dem Decker eine individuelle Möglichkeit zu geben, im Kampf sinnvoll zu agieren.
Für diesen gescheiterten Versuch dann auf Fluffseite einen zweiten Matrixcrash und die Rückkehr zum Cyberdeck zu postulieren, ist dann nur noch das i-Tüpfelchen.
Der größte Schwachpunkt der 5. Edition zieht sich durch das gesamte Werk:
Schlechtes Lektorat, zweideutige Regelformulierungen und wenig zielführendes Regeldesign.
Hier steht einfach keine Gesamtvision im Hintergrund, stattdessen wurstelt man irgendwo zwischen "haben wir schon immer so gemacht" und Neuerungen um der Neuerungen willen vor sich hin.
Im direkten Vergleich zur 4. Edition ist das Grundregelwerk fluff- und regelseitig sehr unvollständig.
Die fünfte Edition von SR ist die erste, bei der ich den Editionswechsel letztlich nicht mitgemacht habe und stattdessen eine eigene Konvertierung auf ein anderes System spiele.
Diese Konvertierung hatte ich in früheren Editionen auch schon angedacht, aber unterm Strich waren SR3 und 4 allemal gut genug, um das nicht zwingend nötig erscheinen zu lassen.
Mit SR5 war der Leidensdruck jetzt groß genug, um das ernsthaft anzugehen - diese Feststellung ist für sich genommen schon Rezension genug.