Zunächst: Ich halte Eclipse Phase für unübetroffen und habe dementsprechend ohne zu zögern die volle Punktzahl vergeben. Die Kritik an den Regeln kann ich trotzdem nachvollziehen, wobei ich das verwendete Prozentsystem grds. mag und als eine gute Wahl für hard-SF/Horror sehe. FATE bspw. verändert das Setting und der offizielle
Conversion Guide trägt dem meiner Meinung nach auch Rechnung.
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Was ist Eclipse Phase?
EP ist "
The Roleplaying Game of Transhuman Conspiracy and Horror".
Transhuman, weil die Menschheit in EP - im Gegensatz zum konservativen Transhumanismus anderer Settings - einige zentrale Dimensionen ihrer Existenz aus den Angeln gehoben hat. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass das eigene Bewusstsein nicht mehr an den Körper als biologische Hardware gebunden ist, sondern digital emuliert, gespeichert, kopiert und in andere biologische oder synthetische Körper übertragen werden kann.
Uploading, Backups,
Resleeving und - bis zu einem gewissen Grad -
Forks sind für die transhumanity Normalität.
Conspiracy, weil die SC zu Firewall, der größten Verschwörung des Sonnensystems, gehören.
Horror, weil die Erde von den TITANs, gefährlichen künstlichen Intelligenzen, zerstört worden ist und sich die verbliebenen Außenposten der transhumanity auch zehn Jahre nach dem sog. Fall in einer prekären Lage befinden. Kaum jemand ahnt allerdings, dass hinter dem ganzen Geschehen noch eine andere, schwer fassbare Gefahr lauert.
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Wohin mit Eclipse Phase? Eine (Gattungs-)Frage, die über die sieben Jahre, in denen es das Setting jetzt gibt, immer wieder anders beantwortet worden ist. Handelt es sich um missionsbasierten "Cyberpunk" à la Shadowrun? (SF-)Horror wie CthulhuTech oder Delta Green? Eine dunklere Version von Transhuman Space? Oder zieht man Literatur und Film heran und vergleicht EP mit Altered Carbon, dem Revelation Space Universum oder Ghost in the Shell? Wie viel hard-sf steckt drin? Ist EP ein politisches Spiel, weil die Autoren
Vorstellungen der transhumanistischen Bewegung aufgreifen und linken, anarchistischen oder libertären Ideen viel Raum geben? Ist EP deshalb eine Utopie? Oder doch eher eine Dystopie? Der Punkt ist: EP schöpft aus zahllosen Quellen und gewinnt damit als Setting enorm an Tiefe.
'Wohin mit Eclipse Phase?' kann man natürlich auch im Hinblick auf das Rollenspiel fragen. In den Erdorbit, wo man auf einflussreiche Banken, die stagnierende Lunar-Lagrangian Alliance, unterdrückte clanking masses in ihren synthetischen Körpern und aggressive Reclaimer, die der untergegangenen Erde hinterhertrauern, trifft? Zum nationalistischen Widerstand auf dem Mars, der zwischen den glitzernden Metropolen der post-fall transhumanity agitiert? Zu den Brinkern und Exhumans im Uranus-Orbit oder anderen entlegenen Ecken des Outer System? Schon das Grundbuch bietet ein dicht beschriebenes, originelles, authentisch und lebendig wirkendes Geflecht verschiedenster Gruppierungen, Orte und Ereignisse an, das sich indes nicht mit trockenen Fakten und überflüssigen Details aufhält.
Wohin mit Eclipse Phase? In eine erfolgreiche Reihe von Rollenspielbüchern, die auch deswegen hervorragend geschrieben sind, weil sie großen Wert auf "fiction" legen und das Setting aus der Perspektive verschiedener Figuren erzählen, statt es nur zu beschreiben. Dementsprechend hat Eclipse Phase mittlerweile - und da schließt sich tatsächlich der Kreis zum gefeierten Delta Green - auch eine eigene
Kurzgeschichtensammlung hervorgebracht. Präsentiert werden alle Bücher in einem tollen Layout und - wegweisend - unter einer Creative Commons Lizenz.
Wohin mit Eclipse Phase? Ins Unbekannte. Das Setting lädt - nicht nur im Hinblick auf hochkomplexe Fragen nach Identität und Selbst
- zum Erkunden ein, bietet es doch zahlreiche Möglichkeiten, einen bewusst offen gelassenen Metaplot in der eigenen Runde zu füllen. Dafür wird EP übrigens viel zu selten gelobt, finde ich. Die Ideen, die EP anbietet, um das Setting in absolut entgegengesetzte Richtungen weiterzuentwickeln, sind super.
Wohin mit Eclipse Phase? Ins Nirgendwo!? Das Setting hat definitiv einen düsteren, desorientierten und bisweilen hoffnungslosen Ton - die medizinische Bedeutung von 'Eclipse Phase' sagt da alles -, aber gemeint ist, dass es mit Firewall, dem Delta Green von EP, eine um die Geheimorganisation herum aufgebaute corestory gibt, an der man jederzeit Szenarios und Kampagnen aufhängen kann. Verlieren wird man sich als SL/Spieler(in) also nicht und dem Gerede, EP sei unspielbar, ist kein Glauben zu schenken.
Wohin mit Eclipse Phase? In den Müll, zumindest die Regeln!? Da muss ich klar widersprechen. Wenn man die zugegebenermaßen viel zu aufwendige Charaktererschaffung - die Lifepaths und Pakete in
Transhuman machen das erträglicher - erstmal hinter sich hat, ist der Rest nicht übermäßig kompliziert. Das einfache Prozentsystem ähnelt Cthulhu/Unknown Armies und wird überall einheitlich benutzt, was leider dazu führt, dass teilweise eine unübersichtliche Menge an Modifikatoren im Spiel sein kann; Kämpfe sind schnell und tödlich; der einzige Regelteil der etwas komplizierter wird - aber immer noch weit entfernt bspw. von SR - betrifft das Hacken.
Wohin mit Eclipse Phase? In die Zukunft! Nein, natürlich muss man den Transhumanistinnen und Transhumanisten ihre Visionen nicht abkaufen. Vielmehr geht es darum, dass EP, was technologische, philosophische, politische Fragen und das SF-Genre angeht einfach aktuell ist und es wohl noch für eine Weile bleiben dürfte. Außerdem hat das Spiel eine stabile Fanbasis, ein engagiertes Team und regelmäßige Neuerscheinungen.
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Sämtliche Publikationen für EP stehen auf
Rob Boyles Blog kostenlos zum Download zur Verfügung.