OK. Einmal Rundumschlag im Gedankenstrom. Gedankensprünge inbegriffen. Misery Porn. Als Literaturgenre vor der Diskussion hier war mir das nicht begegnet. Natürlich hatte ich zwischenzeitlich recherchiert. Wie dem auch sei. Der Begriff beschreibt für mich das Phänomen des Katastrophen-Tourismus. Die Tatsache, dass wir seit ungefähr 10 Jahren in Nachrichten, Zeitungen, sozialen Medien bei Anschlägen oder was auch immer Blutlachen, Leichen oder Leichenteile zu sehen bekommen - der Auflage wegen. Finde ich persönlich furchtbar. Auch die Reaktionen darauf. Da werden bewusst Mitleid oder Schuldgefühle produziert, die sich trotzdem irgendwie wie aus Plastik anfühlen. Und eben auch eine seltsame Art von Voyeurismus.
Rollenspiel - gerade Fiasko - kann mEn auch in diese Richtung kippen. Man ist emotional beteiligt und eben auch nicht. Da greift ein ähnliches Prinzip, wie jenes, das man aus Horror-Schockern wie "The Ring" kennt. Ob Fiasko in diese Richtung kippt, hängt von den Spielenden UND deren Wahrnehmung ab. Ich kann z.B. die TableTop-Folgen zu Fiasco (
part1) als Misery Porn verstehen ODER als als Drama. Es kommt auf meine Brille drauf an. Welche Brille ich aufhabe hängt auch davon ab, was gerade in meinem Umfeld passiert. Ich bin auf jeden Fall deutlich sensibler, wenn finster-bodenlose, unablässig rufende Abgründe offenstehen, welche echte Leben auf ewig und ohne Hoffnungsschimmer zu verschlingen drohen. In solchen Lagen schwindet mein Verständnis dafür, wenn Leute Spiele wie Fiasko (oder Dread - um ein anderes Spiel ins Spiel zu bringen) für den fiktionalen Tanz mit dem Abgrund als großartigstes Spiel EVAR! belobhudeln. Und der Vorwurf, der dann fallen kann - nämlich wie sich Leute an Misery Porn nur so aufgeilen können - ist ernst gemeint. Ob das gut ausgehen kann, hängt davon ab, ob in der Diskussion die Brillen abgenommen werden können und eine ehrliche Begegnung möglich ist.
Wie schon gesagt: Ich finde Misery Porn von Grund auf problematisch, kann aber ein gewisses Interesse daran nachvollziehen. Ob ich's OK finde oder nicht, hängt auch von der "Gesinnung", mit der man sich im Einzelfall dem "Genre" nähert ab. In einer Diskussion kann auch rauskommen, dass die Leute eigentlich Drama spielen oder spielen wollen. Man kann sich auch bekriegen. Vorzugsweise, wenn Rücksichtnahme der (vermeintlich?) schwächeren Seite fehlen. Und dann gibt es da für mich noch die Frage: Wenn ich mich mit so zweischneidigen Themen einlassen, die andere als abscheulich empfinden - warum sollte ich mich durch das Label "Misery Porn" angreifen lassen. Selbst wenn es tatsächlich das ist, was ich spielen will. Wer zwingt mich dazu in den Augen meines Gegenübers als "moralisch einwandfrei" dazustehen oder überhaupt dessen Auffassung von Moralität als relevant anzusehen. Ich kann ja - in der Diskussion - hier schon ein "agree to disagree" reinwerfen.
... Cthulhu habe ich nie in Richtung "misery porn" erlebt, sondern als "verschärfte?" Form von Drama, bei dem gerade nicht der Abgrund das letzte Wort hat, sondern das schwache Licht der Hoffnung wider Erwarten von der Finsternis nicht verschlungen werden kann. Wo der "göttliche Funken" von Menschen (in dem Fall Spielfiguren) zu leuchten beginnt. (Das eben Geschriebene trifft für mich überigens noch viel stärker auf Urchin zu.)