Danke für die Beiträge bis hierher.
Es mag sein, dass ich den Begriff des "Misery Porn" nicht analog genug zu "Starship Porn" aufgefasst und zu negativ ausgelegt habe. Doch MoZ hat ja hier im Thread zugegeben, dass auch er ihn negativ benutzt, nämlich um einen Spielstil (eigentlich mehr eine Spaßquelle im Rollenspiel) explizit abzulehnen. Es ist also für unsere Beschäftigung hier nicht nötig, den Begriff irgendwie positiv umzudefinieren. Wir wissen jetzt, wie es gemeint war. Ich habe mich nur darüber aufgeregt, dass dieser Begriff überhaupt fällt, weil wir bereits einen Begriff haben, der den vermeintlichen "Misery Porn"-Spielstil neutral benennt: Das hier bereits viel zitierte
Dramarollenspiel.
@ Mann ohne Zähne (so du überhaupt noch mitliest):
Kannst du eine konkrete Grenze ziehen, wo Misery Porn für dich anfängt? Ich frage deshalb, weil ich verstehen möchte, wo genau für dich die Geschichte anfängt, für dich auch unangenehm zu werden. Ich will deine Perspektive einfach nachvollziehen können.
Du sagst ja, dass sämtliche "Problemchen-hier-Problemchen-da"-Rollenspiele dir auf den Kamm gehen. An anderer Stelle sagst du, dass du "emotionale, psychologische Folter" kategorisch aus deinen Runden verbannst. Und das große Oberthema, zu dem dein Beitrag entstand, war ja "Romantik und Liebe". Ach ja, und Scheitern der Charaktere an ihrer Aufgabe, da siehst du kein Problem dran.
Fallen all diese Dinge unter den Begriff "Misery Porn"? Also, wie du an anderer Stelle sinngemäß schreibst alle emotional stark aufgeladenen Momente im Rollenspiel?
Fällt unter Misery Porn (hier gehe ich von Rollenspielsituationen aus):
... wenn der Chef/Johnson/König deines Charakters ihm sagt, dass er mit seiner Arbeit nicht zufrieden ist und ihn von seinen Aufgaben enthebt.
... ein Charakter mit der Prinzessin, die ihr gerade vor dem Drachen gerettet habt, flirtet.
... ein Charakter gezwungen ist, eine moralische fragwürdige Aufgabe, wie einen Diebstahl, durchzuführen, um jemanden zu retten
... ein Charakter den Orkhäuptling hasst, weil dieser sein Dorf niedergebrannt hat
... der Geliebte eines Charakters sich von ihm trennt, weil man sich auseinander gelebt hat
... der Charakter eine Tochter hat, um die er sich kümmern muss
... diese Tochter weint, weil sie Angst vor etwas hat
... der Charakter am Totenbett eines Kameraden ein paar Tränen weint
... der Charakter eine glückliche Beziehung ohne Drama mit jemandem eingeht
Und wie steht es damit, wenn diese Sachen nur in der Hintergrundgeschichte einer Figur stattfinden, also quasi "Off-Table". Ist das dann okay? Ist das dann Misery-Porn?
Ich frage deshalb, weil sich mir nicht erschließt, warum emotionale Folter auf der einen Seite (die ein schwieriges, extrem heikles Thema ist, wenn man sie im Rollenspiel einbringen will) und "Problemchen-hier-Problemchen-da" auf der anderen Seite ("Oh, ich muss meine Kinder noch von der Schule abholen, aber dann verpasse ich meinen Frisörtermin und sehe heute abend im Country Club scheiße aus, weil ich mich in der letzten Zeit habe gehen lassen, all der Stress, und dann lacht Caroline sicher über mich, diese B****, und dann kann ich die Fahrgemeinschaft ganz vergessen.")... ich weiß einfach nicht, warum diese beiden zusammen unter dasselbe Label fallen sollen. Für mich handelt es sich hier um zwei Extreme, es sei denn du verstehst "Problemchen-hier-Problemchen-da" anders als ich.
Bezogen auf das Oberthema Romantik gibt es für mich einen Unterschied zwischen:
Liebesdramen wie "Blue Valentine" und Liebesdramen wie "Schlaflos in Seattle" und Liebes"dramen" wie "Nie wieder Sex mit der Ex". Alle drei thematisieren Liebesbeziehungen aber auch auf so unterschiedliche Weise, dass es mir, obwohl es alles theoretische Liebesfilme sind, schwer fällt die irgendwie in eine Kategorie zu packen. Ja, natürlich bei "Nie wieder Sex mit der Ex" ist Jason Segals Figur traurig darüber, dass Kristen Bells Figur ihn verlassen hat und alles... aber er schreibt zur Kompensation ein
Muppet-Dracula-Musical. Der ganze Film ist überzeichnet und auf Comedy ausgelegt. Er ist lächerlich. Ist er Misery Porn? Und wenn er es nicht ist: Ist der humorvolle, positive Umgang mit Romantik im Rollenspiel dann auch kein Misery Porn für dich, Mann ohne Zähne?
Das ist kein Trolling, ich will wirklich wissen, wie du dazu stehst.
@all:
Rollenspiel - gerade Fiasko - kann mEn auch in diese Richtung kippen. Man ist emotional beteiligt und eben auch nicht. Da greift ein ähnliches Prinzip, wie jenes, das man aus Horror-Schockern wie "The Ring" kennt. Ob Fiasko in diese Richtung kippt, hängt von den Spielenden UND deren Wahrnehmung ab. Ich kann z.B. die TableTop-Folgen zu Fiasco (part1) als Misery Porn verstehen ODER als als Drama.
Im Grunde dieselbe Frage wie an Mann ohne Zähne, wo verläuft diese Grenze zwischen Drama und Misery Porn. Wenn es auf die Wahrnehmung ankommt, dann wohl für jeden unterschiedlich.
Bei "Fiasko", das zu meinen Lieblingsrollenspielen zählt, kann ich das übrigens absolut bestätigen: Ich hatte schon mehrere Fiasco-Runden, die mir tatsächlich unangenehm waren: In einer wurde Gewalt für meinen Geschmack viel zu grafisch eingesetzt, in einer anderen wurde Kindesmissbrauch marginalisiert. Beides empfand ich als Rollenspielerfahrungen, die ich nicht nochmal haben muss. Es gibt also ganz klar Grenzen. Andererseits empfand ich aber auch gerade viele der sehr klamaukigen Fiascos irgendwie als oberflächlich (Fiasco selbst nennt das "Gonzo"). Ich denke Fiasco kann die etwas ernsthafte Beschäftigung mit Themen leisten und das ohne dass man gleich ins Absurde kippt. Ist aber eben eine Gratwanderung.
Sehr gute Erfahrungen habe ich an dieser Stelle übrigens mit "Montsegur 1244" gemacht. Da habe ich bis jetzt zwei Runden gespielt und beide hatten einen ernsten Ton, der aber wie ich finde nie ins Voyeuristische abgeglitten ist. Aber vielleicht habe ich auch die falsche Brille auf.
Wenn man etwas zu sehr "humorisiert", habe ich eigentlich sogar eher ein Problem damit. Ich glaube dann nämlich: "Hier wird das Thema nicht ernst genommen." Ein gutes Beispiel ist etwa das 2. Weltkriegs-Setting im "Scion Companion". Nazi-Halbgötter. Ein SS-Offizier als Beispielcharakter. Und dann das Bild von der KZ-Insassin, die die französische Flagge schwingt. Sowas ertrage ich nicht. "The Last Train out of Warshaw" würde ich hingegen (mit den richtigen Leuten und wahrscheinlich nur einmal) spielen, einfach weil ich eher den Eindruck hätte, dass das Spiel das Thema ernst nimmt.